FC Bayern München nach dem Aus im DFB-Pokal: Tuchels Aussage entspricht nicht der Wahrheit

Von Justin Kraft
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Von Thomas Tuchel hatte sich der FC Bayern München schon kurzfristig deutlich mehr Stabilität erhofft. Nach zwei Spielen müsste es für die Verantwortlichen rund um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic aber eine bittere Erkenntnis geben: Das Problem war vielleicht gar nicht Julian Nagelsmann. Ein Kommentar.

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"Natürlich bin ich jetzt verantwortlich, niemand sonst", sagte Thomas Tuchel nach dem bitteren Ausscheiden des FC Bayern München im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg. Es war ein bemerkenswerter Satz des Trainers, der den ganzen Druck, der auf ihm lastet, einfach so aufzusaugen scheint.

Schon auf den ersten Pressekonferenzen zeigte der 49-Jährige, dass er die Situation voll annimmt. Eine Situation, in die sich der FC Bayern selbst manövriert hat. Insofern ist die Übernahme der Verantwortung von Tuchel zwar das, was ein Trainer in dieser Situation tun muss, aber es entspricht inhaltlich nicht der Wahrheit. Schließlich war es nicht der 49-Jährige, der den Kurs des Klubs vor den wichtigsten Wochen der bisherigen Saison verändert hat.

Die Bosse des FC Bayern haben sich dazu entschieden, Tuchel zu installieren und Julian Nagelsmann zu entlassen, weil sie nicht mehr daran geglaubt haben, dass Letzterer die Probleme langfristig in den Griff bekommen kann. Kurzfristig, das kann man nach der Niederlage gegen Freiburg sagen, haben sie sich damit aber verzockt.

FC Bayern München: Neuer Trainer, alte Probleme

Sowohl der 4:2-Sieg gegen Borussia Dortmund als auch dieses unglückliche Aus im DFB-Pokal trugen die Handschrift von Nagelsmann. In beiden Spielen war man mitunter gut, aber eben auch in einigen Phasen schläfrig und unerklärlich fehleranfällig. "Wir haben immer wieder gute Momente, teilweise sehr gute Phasen, aber wir tun uns schwer, die Schlagzahl hochzuhalten, bis es dann in unsere Richtung kippt", analysierte Tuchel die Niederlage in der ARD.

Der Trainer ist ein anderer, die Probleme bleiben dieselben:

  • Inkonstanz in allen Bereichen: Sowohl individuell als auch kollektiv gelingt es nicht, einen Rhythmus zu entwickeln. Das betrifft die 90 Minuten eines Spiels ebenso wie die gesamte Saison, in der es kaum mal mehrere Monate am Stück gab, in denen das Team durchgängig gute Leistungen zeigte.
  • In der Offensive gelingt es den Bayern gegen tiefstehende Gegner nicht, Ideen zu entwickeln. Immer wieder fiel nach dem Freiburg-Spiel das Wort "Dominanz". Bayern hatte zwar viel Ballbesitz und auch die eine oder andere Chance zum zweiten Treffer, doch richtig dominant waren sie selten, weil der Druck auf das Freiburger Tor meist überschaubar war. Auf Phasen mit guten Kombinationen und viel Bewegung im letzten Drittel folgen regelmäßig Situationen, in denen das Spiel zu statisch und zu unpräzise ist.
  • Überhaupt ist Präzision ein Problem. Kaum ein Spieler in der Offensive schafft es, drei gute Aktionen am Stück zu zeigen. Zu schnell sind die Bälle wieder weg und Bayern muss neu angreifen.
  • Man gibt Spiele aus unerklärlichen Gründen aus der Hand. Allein in der Bundesliga haben die Münchner bereits sieben Elfmeter gegen sich bekommen. Die Abwehr ist zwar kein grundsätzliches Problem, wie das Spiel in Freiburg zeigte, aber individuelle Fehler bleiben ein Thema.

Und so stellt sich bereits nach zwei Spielen unter Tuchel die Frage, ob Nagelsmann gar nicht das große Problem war. In der Vergangenheit wurde die Mannschaft von den Bossen nur selten in die Pflicht genommen. Selbst nach dem Trainerwechsel wurde öffentlich wenig darüber gesprochen, dass die Spieler nun in der Verantwortung stünden. Stattdessen wurde Nagelsmann in den Mittelpunkt gestellt.

Dass Tuchel diese Probleme nicht mitten in der Saison lösen kann, war absehbar. Es ist fast schon bezeichnend, wie sehr der ehemalige BVB-Trainer in den letzten Tagen betont hat, dass er vom Zeitpunkt überrascht wurde. Eigentlich sei es sein Plan gewesen, im Ausland weiterzumachen.

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FC Bayern München: Falscher Zeitpunkt für einen Trainerwechsel?

Es wurde spekuliert, dass Tuchel auf ein Engagement bei Inter Mailand geschielt hatte - dann zur neuen Saison. Aus der Argumentation des FC Bayern ging hervor, dass man den Zeitpunkt nutzen wollte. Doch war Tuchel wirklich nur jetzt zu haben? Oder hätte man die entscheidende Saisonphase mit Nagelsmann noch abwarten können, um dann eine Entscheidung treffen zu können?

In jedem Fall ist der kurzfristige Effekt, den sich Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und Co. von dieser Entscheidung erhofft haben, nicht eingetreten. Die langfristige Vision, die sie bis vor Kurzem noch mit Nagelsmann teilten, haben sie über Bord geworfen, um in der jetzigen Saisonphase möglichst viele Titel zu sichern.

Der erste ist bereits weg. Nagelsmann kann man dafür aber kaum noch verantwortlich machen. Tuchel aber eben auch nicht. Und so führt kaum ein Weg an der sportlichen Leitung vorbei. Der in den letzten Monaten und vor allem im Sommer hochgelobte Kader offenbart im Saisonverlauf immer mehr Probleme. Angefangen beim Experiment, Robert Lewandowski nicht direkt ersetzen zu wollen - oder wegen der schwierigen Marktlage nicht ersetzen zu können.

Nagelsmann war an der Idee nicht unbeteiligt, ohne weiteren Neuner in die Saison zu gehen. Doch Salihamidzic trägt die Hauptverantwortung dafür. Die Harmlosigkeit gegen leidenschaftlich verteidigende Freiburger unterstrich abermals, dass diese Offensive keinen Spieler aufbietet, der enge Spiele entscheiden kann - und das regelmäßig. Mit Sadio Mané hat man einen weiteren teuren Spieler geholt, der zwar in der Mixed Zone versprach, bald wieder in der Form zu sein, die ihn bei Liverpool auszeichnete, davon aber noch sehr weit entfernt ist.

Der Senegalese ist einer von vielen Spielern im Kader, für die Bayern viel Geld ausgab, die aber nicht in der Lage sind, ihr Leistungsvermögen konstant abzurufen. Bisher konnte man das Nagelsmann anlasten. Nun geht das nicht mehr.

FC Bayern München: Julian Nagelsmann war womöglich nicht das größte Problem

Für Tuchel werden es jetzt intensive Wochen. Schon am Samstag muss sein Team in Freiburg ein anderes Gesicht zeigen, um nicht auch in der Bundesliga wieder ins Hintertreffen zu gelangen. Die Liste an Problemen, die er in kürzester Zeit und fast ohne Trainingseinheiten beheben soll, ist lang.

Es ist möglich, dass der FC Bayern am Ende mit einem oder sogar ohne Titel dasteht. Tuchels Verpflichtung ist zwar auch langfristig angelegt, doch mit dem sofortigen Trainerwechsel war eben die Hoffnung verbunden, endlich wieder das Double zu holen. Der Klub erhofft sich von ihm endlich Stabilität auf allen Ebenen. Kurzfristig aber hat man durch die risikoreiche Entscheidung eher für das Gegenteil gesorgt: Irritation und Verunsicherung.

Es ehrt Tuchel, dass er die Verantwortung dafür übernehmen möchte. Aber diesen Titel hat nicht er verloren. Die Verantwortung liegt bei einer Mannschaft, der laut Joshua Kimmich abermals die "Leidenschaft" gefehlt hat - und die nicht in der Lage zu sein scheint, gute Leistungen zu bestätigen. Sie liegt aber auch bei den Bossen, die schon jetzt feststellen müssen, dass Nagelsmann womöglich gar nicht die Ursache aller Probleme war.

BVB vs. FC Bayern München: Das Restprogramm in der Bundesliga

SpieltagBVBFC Bayern
27Union Berlin (H)SC Freiburg (A)
28VfB Stuttgart (A)TSG Hoffenheim (H)
29Eintracht Frankfurt (H)Mainz 05 (A)
30VfL Bochum (A)Hertha BSC (H)
31VfL Wolfsburg (H)Werder Bremen (A)
32Borussia M'Gladbach (H)Schalke 04 (H)
33FC Augsburg (A)RB Leipzig (H)
34Mainz 05 (H)1. FC Köln (A)
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