Über München schien am Freitag endlich mal wieder die Sonne, doch der Sturm, der sich über der Säbener Straße zusammengebraut hat, ist noch längst nicht verzogen. Dennoch wirkte Thomas Tuchel vor den Endspurt um die letzte noch mögliche Trophäe erstaunlich aufgeräumt.
"Im Zentrum des Sturms herrscht die berühmte Ruhe", versicherte er mit einem Lächeln. Auch seine Zusammenarbeit mit den beiden angeschlagenen Bossen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic sei "ruhig" und von "positiver Grundstimmung" geprägt.
Tuchel sah sich auch verpflichtet, Kahn und Salihamidzic in Schutz zu nehmen. "Dass wir alle nicht zufrieden sind, ist doch klar", räumte er ein. Und ja, er könne nachvollziehen, "dass drei Jahre ohne Halbfinale im DFB-Pokal" für den FC Bayern "nicht gut genug sind". Aber mit Blick auf das Aus in der Champions League betonte er auch: Er halte es für "unangebracht", ein Scheitern im Viertelfinale "pauschal als Krise anzusehen". Mindestens das Viertelfinale müsse der Anspruch sein, ja. Aber mehr gehe manchmal nicht.
Und weil er schon dabei war, die Ansprüche des FC Bayern der Realität anzupassen, hielt Tuchel auch gleich noch ein flammendes Plädoyer für den letzten noch möglichen Titel. "Die Meisterschaft ist ein Marathon, in dem die Konstante den Ausschlag gibt", dozierte er und betonte: "Wir müssen uns für den Meistertitel nicht schämen. Es wird abgewertet, was es bedeutet, in der Bundesliga zu spielen." Er, Tuchel, habe schon in Paris erlebt, "wie schade es ist, dass der Meistertitel als Selbstverständlichkeit angesehen wird".
FC Bayern München: Thomas Tuchel über die Unruhe
Und weil der FC Bayern die Meisterschaft "noch lange nicht in der Tasche" habe, hat Tuchel das Spiel am Samstag (15.30 Uhr) bei seinem früheren Arbeitgeber Mainz 05 auch zum "Charaktertest" ausgerufen. "Das wird eine brutal schwere Aufgabe", betonte er. Sie erfordere "Schweiß, Anstrengung und Mentalität". Und nein, ergänzte Tuchel, "es darf uns nicht peinlich sein, in Mainz den Kampf anzunehmen und auch mal einen knappen Sieg mitzunehmen." Bei nur zwei Punkten Vorsprung auf Borussia Dortmund gilt das allemal.
Der BVB hat seine Kampfeslust nach dem Frust durch das verrückte 3:3 beim VfB Stuttgart schon wiederentdeckt, wenn auch erst mal nur verbal. "Wir sind so nah dran wie nie an der Meisterschale. Und diese Chance wollen wir uns nicht nehmen lassen", sagte Trainer Edin Terzic mit Blick auf die sechs noch verbleibenden Spiele und ergänzte: "Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir alle bereit sein, den Extrameter zu gehen." Tuchel formulierte das für den FC Bayern anders, aber im Grunde genau so.
Von den anderen Turbulenzen um die Mannschaft will das Sturmzentrum Tuchel angeblich nichts mitbekommen haben. Wie sicher darf sich der intern offenbar umstrittenen Kahn noch fühlen? Wie sicher Salihamidzic als Hauptverantwortlicher für Kader und Transfers? Wie reagiert der Aufsichtsrat um Vereinspräsident Herbert Hainer und den nach wie vor sehr einflussreichen Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß? Tuchel kann nur betonen, dass er mit "Brazzo und Olli zielorientiert und lösungsorientiert" zusammenarbeite. Und: "Beide haben den Klub geprägt, beide tragen Siegeswillen in sich."
Und beide haben es mittlerweile fertiggebracht, einen für Tuchel bedeutsamen Transfer abzuschließen: Anthony Berry, mit dem Tuchel bereits beim FC Chelsea zusammengearbeitet hat, ist in München eingetroffen. "Endlich ist ein guter Trainer da", sagte Tuchel mit einem Lachen: "Jetzt geht es aufwärts."
FC Bayern München: Pressekonferenz mit Thomas Tuchel im Liveticker zum Nachlesen
Tuchel über Mathys Tel:
"Wir sehen seine Qualitäten. Er hat eine Explosivität und einen starken Abschluss. Das muss er sich behalten. Er hat erstmal die Rolle des Einwechselspielers. Wir reden über seine Zukunft zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht erst Ende August."
Tuchel über den Kampf um die Meisterschaft:
"Es ist wichtig, wie die Mannschaft mit der Situation umgeht. Es ist viel passiert in dieser Saison. Das Team hat viel erlebt. Ich habe es selber in Paris erlebt, wie schade es ist, dass die Meisterschaft als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Es darf nicht selbstverständlich sein. Klar, werden wir nicht so abgefeiert, wie wenn ein Underdog Meister würde. Unseren Anspruch, Meister zu werden, werden wir nicht künstlich kleinreden. Eine Meisterschaft ist störungsunanfälliger, da du über einen längeren Zeitraum Zeit hast. Da können Probleme kompensiert werden. Wir kämpfen um den Titel. Wir dürfen uns dafür nicht schämen. Auch in Paris war es irgendwann nicht mehr genug, Meister zu werden. Es wird dann abgewertet, was es bedeutet, Bundesliga zu spielen. In unserem Tagesgeschäft steckt viel Arbeit drin. Es ist eine spezielle Situation. Wir müssen uns erlauben, auch in einzelnen Spielen zu kämpfen und ready zu sein."
Tuchel über Anthony Barry:
"Er ist gerade angekommen. Endlich ist ein guter Trainer da. (lacht) Ich bin sehr glücklich. Wir wollten ihn unbedingt dabeihaben. Seine Persönlichkeit, seine Leidenschaft und seine Qualität zeichnen ihn aus, bei Details oder auch Standardsituationen. So ein Niveau habe ich zuvor nicht gesehen."
Tuchel über die Offensivabteilung:
"Manchmal denkt man aktuell, es fehlt uns ein Schuss Zielstrebigkeit und ein Schuss Egoismus. Es geht am Ende um Entscheidungen. Die Spieler kommen teilweise aus einem 70-Meter-Sprint und dann einen kühlen Kopf behalten... Ich habe in meiner Karriere nie ein Tor geschossen. Ich will nicht auf dem Rasen rumreiten, aber der Platz in der Arena ist auf jeden Fall ein Thema. Sie sehen, wie oft wir den Stand verlieren. Auch gegen Dortmund bei der Chance von Kingsley Coman, bei der er am Torwart vorbei ist und förmlich im Rasen versinkt. Aber klar, man muss in solchen Situationen einen kühlen Kopf bewahren. Wir brauchen eine gute Mischung aus Egoismus, Zielstrebigkeit und dem Willen, die Situationen selber zu regeln, aber auch der Ruhe, eine gute Entscheidung zu treffen, wenn jemand besser steht. Wir sind dran."
Tuchel erneut über Müllers Rolle:
"Ich war extrem beeindruckt, wie er die Entscheidung aufgenommen hat. Er hat eine extrem harte Entscheidung gegen sich bekommen. Aber das ist mein Job, es ist alles gut. Thomas verdient meinem maximalen Respekt und bekommt ihn auch."
Tuchel über die Unruhe im Umfeld:
"Viele Sachen kann man nicht beeinflussen. Bayern steht im Mittelpunkt des Interesses. Wir müssen solche Dinge akzeptieren und gut damit umgehen. Ich blende es komplett aus und lese gar nichts. Ich bin hier zusammen mit meinem Team, ich würde es spüren, wenn etwas im Argen liegt. Ich schließe nicht aus, dass eine gewisse Unruhe die Spieler beeinflusst. Aber es wird nie ganz ruhig sein. Wir fokussieren uns auf die Dinge, die wir selbst beeinflussen können. Ich kenne keinen anderen Weg."
Tuchel über die nun fehlenden englischen Wochen:
"Es ist die schlimmste Situation als FC Bayern, keine englische Wochen zu haben. Wir haben jetzt dreieinhalb Wochen zusammen. Wir werden den Spielern auch mal frei geben. Das gibt uns die Möglichkeit, neue Abläufe einzuschleifen."
Tuchel über Mainz-Coach Bo Svensson:
"Er hat schon als Spieler getickt wie ein Trainer. Das hat mich bisschen an mich selbst erinnert. Er war schon als Spieler sehr kritisch und hat vieles hinterfragt. Er hat schon als Spieler sehr vorausschauend Fußball gespielt. Er war kein Sprinter, aber hat trotzdem auf diesem Niveau gespielt. Wir konnten uns alle vorstellen, dass er ein guter Trainer wird. Der Kontakt ist nie abgebrochen, er ist ein fantastischer Mensch. Christian Heidel ist zurück und der Verein ist beruhigt. Er hat wieder einen starken Trainer gefunden. Der Kern, der Mainz 05 ausmacht, ist gefunden. In der Tabelle sieht es gut aus. Das ist Bos und Christians Verdienst in allererster Linie. Aber jetzt genug Lob: Wir reisen dahin, um zu gewinnen."
Tuchel über die Personallage:
"Wir erwarten alle im Training. Wenn nichts passiert, sind alle dabei."
Tuchel auf die Frage, ob die Mannschaft satt ist:
"Die Spieler sind nicht zu satt. Uns hat auch im Pokalspiel gegen Freiburg und gegen Hoffenheim etwas gefehlt, ja. Ich kenne noch nicht ganz den Grund dafür. Wir sind aber nicht zu satt. Ich spüre eher eine Verunsicherung, eine Unruhe, die uns ein bisschen lähmt. Lähmt, frei, kreativ zu agieren. Ich möchte die Sache beruhigen und kein großes Fass aufmachen. Wir wünschen uns Dampf von der Auswechselbank. Da können wir eine Schippe drauflegen. Das sprechen wir in aller Deutlichkeit an. Da müssen wir öfter die Unzufriedenheit in Energie umsetzen."
Tuchel zur mangelnden Chancenverwertung:
"Man kann viele Videos zeigen und Gespräche führen, aber für die Offensivspieler hilft nur ein Tor oder eine Torbeteiligung. Leroy hatte große Chancen in Freiburg und gegen City und wenn du Ergebnisse benötigst, brauchst du Effektivität auf höchstem Niveau. Im Rückspiel hätten wir eine große Effizienz gebraucht. Man muss auch mal aus einer Halbchance, aus dem Nichts ein Tor machen. Das fällt uns aktuell schwer, das ist offensichtlich. Wir haben die Möglichkeiten, aber wir brauchen mehr Effektivität."
Tuchel über Thomas Müller:
"Ich bin großer Thomas-Müller-Fan. Er hat eine Undefinierbarkeit in Weltklasse-Ausprägung. Die Manchester-Spiele haben nicht perfekt auf ihn gepasst. Ansonsten hätte er wahrscheinlich gespielt. Viele Spiele sind Müller-Spiele. Alles ist momentan okay. Ich habe mich über seine Reaktion gestern auf dem Trainingsplatz gefreut. Ich war extrem beeindruckt. Er ist vorbildlich damit umgegangen. Er hat einfach Gas gegeben und das Team mitgezogen. Ich muss aber meine Entscheidungen treffen, manchmal sind sie hart. Da ist keine persönliche Note drin. Jeder muss es akzeptieren in einer Konkurrenzsituation."
Tuchel über Mainz:
"Es wird sehr schwierig. Mainz wird die Zeit nutzen, sich intensiv auf dieses Spiel vorzubereiten. Sie haben ihren ganz eigenen Stil, sie performen über. Sie sind Dritter der Rückrundentabelle. Sie surfen auf einer Welle, es wird eine brutal schwere Aufgabe. Zu diesem Zeitpunkt in Mainz zu spielen, wird hart. Es wird eine große Aufgabe, wir müssen morgen bereit sein. Aber in der Ruhe liegt die Kraft. Wir werden heute erstmal Kraft tanken. Es wird ein physisch anspruchsvolles Spiel."
Tuchel über das Verhältnis zur Vereinsführung:
"Ob Sie es mir glauben oder nicht: Ich lese absolut gar nichts. Ich komme morgens hier her und spüre eine ruhige Atmosphäre, eine fokussierte und positive Energie. Ich versuche zu beeinflussen, was ich beeinflussen kann. Die Gerüchte will ich nicht kommentieren. Meine Zusammenarbeit mit der Vereinsführung ist ziel- und lösungsorientiert und in einer positiven Grundstimmung. Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic haben den Verein geprägt. Dass wir nicht zufrieden sind, ist klar, trotzdem sind die Gespräche von Vertrauen geprägt. Es hat sich nichts geändert."
Tuchel über die Ziele nach dem CL-Aus:
"Ich kann absolut nachvollziehen, dass drei Jahre ohne Halbfinale im DFB-Pokal nicht genug sind. Da hinken wir unseren Ansprüchen hinterher. Aber wir standen auch drei Jahre in Folge im Champions League-Viertelfinale. Ich halte es für unangebracht, ein Ausscheiden im Viertelfinale pauschal als Krise zu sehen. Wir dürfen nicht alles hinterfragen. Da gehört auch immer Realitätssinn dazu. Wir sollten nicht vergessen, mit wem wir uns messen in Europa. Viele große Klubs standen nicht im Viertelfinale. Liverpool war nicht im Viertelfinale, Arsenal war nicht im Viertelfinale - das sind große Klubs. Wir bleiben aber ehrgeizig und wir wollen immer mehr. Wir sind in der Bundesliga immer noch Erster."
Vor Beginn: Los geht's um 11.30 Uhr.
Vor Beginn: Nach dem Ausscheiden aus der Champions League gegen Manchester City trifft der FC Bayern München am Samstag in der Bundesliga auf den 1. FSV Mainz 05. Wir begleiten die Pressekonferenz mit Thomas Tuchel vor dem Spiel im Liveticker.
FC Bayern vs. BVB: Das Restprogramm in der Bundesliga
Spieltag | BVB | FC Bayern |
29 | Eintracht Frankfurt (H) | Mainz 05 (A) |
30 | VfL Bochum (A) | Hertha BSC (H) |
31 | VfL Wolfsburg (H) | Werder Bremen (A) |
32 | Borussia M'Gladbach (H) | Schalke 04 (H) |
33 | FC Augsburg (A) | RB Leipzig (H) |
34 | Mainz 05 (H) | 1. FC Köln (A) |