Hätte sich Weltstar Raul nicht zum Wechsel nach Schalke entschieden, wäre wohl Mainz am kuriosesten Transfer der Sommerpause beteiligt gewesen. Aus dem Nichts gab FSV-Mittelstürmer Aristide Bance am Sonntag bekannt, dass er trotz des Interesses von Schalke, Hoffenheim und englischen Vereinen nach Dubai zu Al Ahli wechselt.
Ein im Grunde absurder Entschluss eines in der Blüte der Karriere stehenden 25-Jährigen, der einen weiteren bizarren Aspekt offenlegte: So zahlt Al Ahli marktgerechte 5,5 Millionen Euro Ablöse für den Torjäger - Mainz erhält davon jedoch nur rund die Hälfe. Die Differenz wird einem gewissen Dimitri Celuc überwiesen, seines Zeichens Bances Berater.
Ein wesentliches Vertragsdetail, das die Mainzer Suche nach einer neuen Angriffsspitze deutlich erschwert. "Es ist nicht einfach, auf die Schnelle einen Stürmer mit solchen Qualitäten zu finden", sagt Manager Christian Heidel.
Von Bances Wechsel abgesehen gelang es dem FSV aber, mit Weitsicht und Bedacht den Kader auszudünnen, den Altersschnitt zu senken und eine konkurrenzfähige Mannschaft zusammenzustellen, die die Anforderungen von Trainer Thomas Tuchel erfüllt.
Das ist neu
Die FSV-Strategie im Sommer lautete: Erfolgsmaximierung durch Verkleinerung und Verjüngung. Dimo Wache und Marco Rose wurden verabschiedet, Chadli Amri, Dragan Bogavac, Jahmir Hyka, Filip Trojan und voraussichtlich Felix Borja aussortiert. Schmerzlich sind nur die Abgänge der Leistungsträger Tim Hoogland, Bance und Malik Fathi.
Neu hinzugekommen sind Lewis Holtby (Schalke-Ausleihe), Sami Allagui (Fürth) und Christian Fuchs (Bochum), die allesamt zumindest zum erweiterten Stamm gehören, vor allem Holtby wusste in den ersten Wochen zu überzeugen und ist auf dem rechten Flügel gesetzt. Marco Caligiuri und Haruna Babangida sollen die Breite verstärken, außerdem wurde Martin Pieckenhagen als Interims-Ersatzkeeper verpflichtet, solange Christian Wetklo die noch einige Wochen verletzte Nummer eins Heinz Müller im Mainzer Tor vertritt.
Damit die Konkurrenzsituation nicht unter all den Abgängen leidet, wird der Kader mit Perspektivspielern aufgefüllt. Der Hintergrund: Neben dem Klassenerhalt sieht Tuchel seine zentrale Verantwortung darin, "die Jugendmannschaften enger mit der Profimannschaft zu verzahnen. Wir müssen der guten Arbeit im Nachwuchsleistungszentrum mehr Tribut zollen", wie es Tuchel im SPOX-Interview erklärt.
Angeboten haben sich insbesondere Innenverteidiger Jan Kirchhoff nach einjähriger Pause, der vielseitige Eugen Gopko sowie Stürmer Petar Sliskovic (alle 19 Jahre). Aufgrund der ernormen Leistungsdichte unter den Talenten werden Stefan Bell (1860 München) und Dragan Georgiew (vermutlich Zweitligist) verliehen
"Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die mit jedem Tag besser wird und überragende Perspektiven hat, auch weil die Verträge fast aller Spieler über 2011 hinaus laufen", sagt Heidel.
Die Taktik
Von seiner 4-2-3-1-Grundausrichtung wird Tuchel auch im zweiten Bundesliga-Jahr nicht abrücken, denn: "So haben wir große Sicherheit bei eigenem Ballbesitz." Die Innenverteidigung (Noveski mit Svensson/Bungert) hält sich im Aufbau dezent zurück, umso mehr sollen die Außenverteidiger nach vorne drücken.
Entscheidend für die Spielbalance ist die Doppelsechs: Die defensiven Mittelfeldspieler bekamen letzte Saison zwar nur wenig Lob - doch sie waren mitentscheidend dafür, dass der FSV trotz sehr offensiver Flügelstürmer nur selten das Gleichgewicht verlor. Womöglich sind Karhan und Soto das meist unterschätzte Sechser-Duo der Liga.
Die Spieler in der Dreier-Offensivreihe werden durch Simkas Hereinnahme als klassischer Spielmacher etwas seltener die Positionen tauschen, dennoch sollen die beiden Außen Schürrle und Holtby je nach Bedarf ihre Seiten wechseln.
Solange kein Bance-Ersatz gefunden wurde, wird wohl Allagui die Sturmmitte besetzen - wobei es fraglich ist, ob der Deutsch-Tunesier seinen Vorgänger ersetzen kann. Bance zeichnete neben seiner Torgefahr besonders seine physische Präsenz aus, wodurch er vor allem im Spiel gegen den Ball als erste Speerspitze des FSV-Pressings extrem effektiv und wertvoll war. Allagui hingegen fehlt bei aller Schnelligkeit die Robustheit.
Der Spieler im Fokus
Andreas Ivanschitz. Nach furiosem Beginn in der Vorsaison baute der Österreicher zusehends ab und erholte sich nicht mehr vom Leistungsknick. Ein Einbruch, der vordergründig mit kleineren Verletzungen, hintergründig jedoch mit seinem häufig kritisierten Phlegma erklärbar ist.
Während Tuchel den Österreicher anfangs mit einer Stammplatz-Garantie und verbalen Streicheleinheiten erfolglos aufzubauen versuchte, zeigt der Trainer nun seine kompromisslose Seite. Die Zehner-Rolle gehört Simak, auf den Flügeln sind Schürrle und Holtby eingeplant. Ivanschitz bleibt die Bank.
Sprich: Nachdem Ivanschitz noch vor einigen Jahren als eines der größten Talente Europas gehandelt wurde, muss er mittlerweile um seine Zukunft in der Bundesliga kämpfen. Sollte er in Mainz scheitern, wird sein Leumund womöglich bis zum Karriereende darunter leiden.
Das Interview
SPOX: Haben Sie während der WM besonders auf Müller geschaut?
Andre Schürrle: Mir haben Spieler wie Diego Forlan, David Villa oder Keisuke Honda sehr gut gefallen, weil sie wie ich immer wieder rochiert sind und den Weg über die Außen gesucht haben. Aber Thomas war schlichtweg sensationell. Manchmal habe ich mir die Wiederholungen der deutschen Spiele angeschaut und genau beobachtet, wie seine Laufwege in die Spitze waren, wann er von außen nach innen zog und wie er sich generell taktisch verhalten hat. Besseren Anschauungsunterricht gibt es nicht.
Das ganze Interview mit Andre Schürrle zum Nachlesen
Die Prognose
Die vergangene Saison war nahezu vollkommen. Mit Frankfurt, Hoffenheim, Mönchengladbach und Köln wurden gleich vier finanzstärkere Mannschaften auf die Plätze verwiesen, außerdem erlebte der FSV beim 2:1 gegen den FC Bayern eine der glanzvollsten Stunden der Vereinsgeschichte.
Doch nun folgt die womöglich schwierigste Aufgabe: Konsolidierung auf hohem Niveau. Um neue Reize zu setzen, verpasste die sportliche Führung der Mannschaft ein weitreichendes Facelifting - was jedoch die Frage aufwirft, ob Mainz nicht zu radikal den zugegeben talentierten Eigengewächse vertraut. "Uns kann nichts Besseres passieren als wenn wir wieder wie im Vorjahr als erster Absteiger genannt werden. Damit sind wir sehr gut gefahren", zerstreut Heidel die Bedenken.
Was für eine erneut erfolgreiche Runde spricht: Tuchel musste letzte Saison nach der Andersen-Entlassung im Schnellverfahren der Mannschaft seine Philosophie näher bringen - und war trotz der fehlenden Vorbereitung erfolgreicher als Ikone Jürgen Klopp. Was gelingt ihm erst, nachdem er einen kompletten Sommer Zeit hatte?