Man muss schon den Hut vor Markus Kauczinski ziehen. Wie er trotz der Dramatik des Rückspiels der Bundesliga-Relegation nach Spielende sachlich blieb und bei allem Schmerz und aller Emotionalität dem HSV gratulierte, war aller Ehren wert.
Kein böses Wort in Richtung Manuel Gräfe, der in der 90. Minute mit einem Pfiff seine bis dahin blendende Leistung zunichte machte. Kein Nachtreten, nichts. Als fairer Sportsmann präsentierte sich der KSC-Trainer nach 120 Minuten voller Kampf und Dramatik.
Bruno Labbadia war da freilich emotionaler, auch wenn er nicht vergaß, dem KSC Respekt zu zollen: "Ich möchte Markus und der Mannschaft ein riesen Kompliment machen."
Man sah dem HSV-Trainer die Strapazen der vorausgegangenen zwei Stunden deutlich an: "Wir haben nie aufgegeben, haben immer an uns geglaubt. Was die Mannschaft heute geleistet hat, ist unglaublich."
Verlängerung ein Geschenk Gräfes
Der HSV wird also auch im nächsten Jahr erstklassig sein und in seine 53. Bundesligasaison gehen. So knapp wie in dieser Spielzeit stand der Dino aber noch nie vor dem Absturz und einer ungewissen Zukunft.
120 Sekunden hatten gefehlt und Hamburg hätte zwei Fußball-Zweitligisten gehabt. Marcelo Diaz aber hob den Freistoß in der 90. Minuten unhaltbar für Dirk Orlishausen ins linke Eck, nachdem Schiedsrichter Gräfe auf Handspiel von Jonas Meffert entschieden hatte. Karlsruhes Mittelfeldspieler war aus nächster Nähe von Slobodan Rajkovic angeschossen worden, von einem absichtlichen Handspiel konnte keine Rede sein. Dem HSV wurden so noch einmal 30 Minuten Bundesliga geschenkt.
In der anschließenden Verlängerung war es dann Nicolai Müller, der für die Entscheidung sorgte. Ausgerechnet Müller möchte man sagen, denn der Ex-Mainzer spielte alles andere als eine überragende Saison. Aber wer spielte die schon beim HSV? Aber Müller, der vor zwei Jahren noch zwei Länderspiele für Deutschland absolvierte, steht stellvertretend für die Hamburger Wochen unter Labbadia, in denen die Aussortierten, die Perspektivlosen und die vermeintlichen oder tatsächlichen Fehleinkäufe das Heft in die Hand nahmen.
Der in Karlsruhe gesperrte Gojko Kacar prägte den Endspurt der regulären Saison, im Hinspiel gegen Karlsruhe waren es Dennis Diekmeier und Ivo Ilicevic, die mit ihren ersten Torbeteilungen in der Saison dafür sorgten, dass sich der HSV in eine annehmbare Ausgangssituation brachte. "Teilweise waren bei uns sechs Leute ohne Verträge für die neue Saison auf dem Platz. Da sieht man, dass Fußball einfach mehr ist als Geld. Es waren extreme sechs Wochen. Das erlebt man im normalen Leben nicht", sagte Labbadia nicht ohne Pathos.
Besondere Momente, besondere Fähigkeiten
Ob verdient oder nicht, die Uhr im Volksparkstadion, wie die Arena ab der kommenden Saison wieder heißen wird, tickt weiter, weil die Mannschaft bewies, was der Trainer im Vorfeld sagte: Dass sie in besonderen Momenten besondere Fähigkeiten an den Tag legen könne.
Mitte April, sechs Spiele vor Schluss, übernahm Labbadia den HSV als Feuerwehrmann. Die Hanseaten hatten den absoluten Tiefpunkt erreicht. Acht Spiele war man davor sieglos geblieben, hatte ganze zwei Tore bei 21 (!) Gegentreffern in dieser Phase erzielt. Platz 18 war die Folge und eine so überraschende wie ineffiziente Trainerrochade von Joe Zinnbauer zu Peter Knäbel.
Doch Labbadia schaffte die Wende. Mit einer riesigen Portion Teamgeist, ganz viel Herz und harter Arbeit. Und nicht zu vergessen: mit jeder Menge Glück.
Mental unabsteigbar
Gräfe, Diaz, Müller - am Ende hielt der HSV die Klasse, weil es sich schlicht weigerte, des Eindrucks konnte man sich zumindest nicht erwehren, am 281. Tag im 51. Jahr seiner Bundesliga-Zugehörigkeit klein beizugeben. Der nach dem Spiel im Wildpark völlig ekstatische Pierre-Michel Lasogga fasste grob zusammen: "Der KSC kann eigentlich froh sein, dass es nicht 4:1 steht nach 90 Minuten. Wir hatten acht, neun Hundertprozentige in den letzten zehn Minuten."
So bitter es auch für die Karlsruher am Ende auch ist, der HSV bewies abermals, dass man unabsteigbarer gar nicht sein kann. Wer so oft am Boden liegt und sich letztlich doch noch rettet, der hat eine gewisse Qualität bewiesen. Zumindest mental.Ob man in Hamburg aus einem solch dramatischen Abstiegskampf für die nächste Saison sogar etwas Positives ziehen kann, wird man sehen. Labbadia hat bewiesen, dass er die Mannschaft erreicht, dass er in kurzer Zeit ein Team geformt hat, das nie aufgibt. Er hat in acht Spielen, wenn man die Relegationsspiele mitrechnet, 14 Punkte geholt. "Wir werden uns jetzt hinsetzen auch mit Bruno, unserem Coach. Ein ganz großes Lob und ein ganz großes Dankeschön an Bruno und seinen Stab", sagte Sportchef Dietmar Beiersdorfer nach dem geglückten Klassenerhalt.
"Dann halt nächstes Jahr"
Wie langfristig Labbadia in Hamburg arbeiten kann, wird die nächste Saison zeigen. Der Kader muss und wird im Sommer einmal auf links gedreht werden.
Bereits im Vorjahr rettete der HSV seine Haut über den Umweg der Relegation. So knapp und dramatisch wie diesmal war es aber nicht. Weltmeister Toni Kroos twitterte kurz nach Spielende mit einem Augenzwinkern: "Dann halt im nächsten Jahr."
Das Verrückte ist, dass dem Hamburger SV in der nächsten Spielzeit tatsächlich alles zuzutrauen ist. Nur viel mehr Dramatik geht nun wirklich nichts mehr. Aber eins ist sich: Langweilig wird es mit dem HSV in der Bundesliga nicht. Sicher auch nicht im 53. Bundesliga-Jahr.
Karlsruhe - Hamburg: Die Statistik zum Spiel