Wolf im Schafspelz war gestern

Von Marco Nehmer
Der VfL Wolfsburg belegte in der Vorsaison Platz fünf
© getty

Vor dem Start der 52. Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Der VfL Wolfsburg.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der VfL Wolfsburg will einen weiteren Schritt in Richtung Champions League machen - war aber in dieser Transferperiode relativ sparsam. Das Gerüst steht, Trainer Dieter Hecking will die Mannschaft sukzessive weiterentwickeln und zu einem Königsklasse-Aspiranten formen. Die letzte Saison war mit Platz fünf bereits ein Vorgeschmack.

"Wir sind insgesamt weiter als erwartet. In der vergangenen Saison haben wir drei Schritte auf einmal gemacht. Die Konkurrenz hat Respekt vor uns", so Hecking. Der Meister von 2009 will wieder im Konzert der Großen mitmischen, die Mitstreiter haben den VfL dem Zettel. Der Wolf im Schafspelz war gestern.

Das ist neu:

Wirtschaftliche Bescheidenheit. Die verschwenderischen Magath-Jahre sind Vergangenheit. Die großen, punktuellen Investitionen wie Luiz Gustavo und Kevin de Bruyne gab es in dieser Transferperiode auch nicht "Wir können nicht Jahr für Jahr ein Minus erwirtschaften. Die Lizenzierung muss stehen, wir müssen das Financial Fairplay im Auge haben", so Manager Klaus Allofs.

Dabei wurden am Mittellandkanal über Wochen große wie teure Namen gehandelt. Die Baustelle im Sturm drängte, Hochkaräter wie Fernando Torres, Alvaro Morata, Romelu Lukaku, Mattia Destro oder Mario Mandzukic geisterten durch die Gazetten - doch letztlich zauberte Allofs mit dem ablösefreien Nicklas Bendtner eine überraschende Lösung aus dem Hut.

Dem Dänen eilt zwar der Ruf des Skandalstürmers voraus, doch die Wölfe sind überzeugt, richtig gehandelt zu haben. "Wir haben das Pro und Contra erörtert und die Seite mit den Pro-Argumenten war entscheidend größer", so Allofs, der betont: "Wir denken, dass wir eine sehr gute Wahl getroffen haben und dass er einige Tore für uns schießen wird."

Mit Ausnahme des ebenfalls ablösefreien Ex-Bremers Aaron Hunt investierte der VfL aber in erster Linie in die Defensive. Sebastian Jung kam für die rechte Seite in der Viererkette, mit Josuha Guilavogui und Rückkehrer Mateusz Klich wurden zwei Alternativen für das Mittelfeldzentrum geholt. Die Bekenntnisse von Gustavo und Ricardo Rodriguez zum VfL sind weitere positive Faktoren.

Doch eine Garantie, in der kommenden Saison weniger als die 50 Gegentore aus dem Vorjahr zu kassieren (die meisten im oberen Tabellendrittel), ist das noch nicht. Bochum, Bayern und Cardiff schenkten der Hecking-Elf in der Vorbereitung je drei Tore ein. Das abschließende 1:5 gegen Atletico war ein Debakel.

Die Taktik:

Den Kern der taktischen Überlegungen von Dieter Hecking wird weiter das 4-2-3-1 bilden. Auf der Doppelsechs ist Gustavo gesetzt. Um die weitere Planstelle streiten sich Junior Malanda, Guilavogui, Klich und Slobodan Medojevic. In der offensiven Dreierreihe tummelt sich mit de Bruyne, Hunt, Ivan Perisic, Maximilian Arnold, Vieirinha und Daniel Caligiuri ebenfalls eine stattliche Auswahl.

Die Sorgenfalten in der Defensive könnten allerdings zumindest zeitweise zum taktischen Umdenken bei Hecking führen. Derzeit fehlen mit Jung, Patrick Ochs, Christian Träsch und Felipe Lopes gleich vier Optionen längerfristig. Besonders auf der Rechtsverteidigerposition herrscht Notstand. Vieirinha konnte im Pokal jedenfalls nicht überzeugen.

Die Wölfe experimentierten gegen Ende der Vorbereitung daher auch mit einem 3-5-2. "Das ist eine Option, die wir testen", so Hecking. Auch Linksverteidiger Rodriguez, im System mit Dreierkette als Flügelspieler eingeplant, betont: "Das ist etwas Neues, aber sicher keine schlechte Idee."

Der Spieler im Fokus:

Viele Augen werden auf Eigengewächs Arnold gerichtet sein. Kann der hochveranlagte 20-Jährige, seit Mai offiziell Nationalspieler, sein Niveau weiter stabilisieren und physisch eine Schippe drauflegen? Auch der Ur-Bremer Hunt, der sich in der Autostadt emanzipieren will und dem mit 27 Jahren die Weichenstellung für die weitere Karriere gelingen muss, wird unter Beobachtung stehen.

Zum Schlüsselspieler kann und soll aber de Bruyne avancieren. Der Belgier, im Winter für stolze 22 Millionen Euro verpflichtet und in der Rückrunde mit neun Scorerpunkten bereits ordentlich, absolvierte seine erste richtige Vorbereitung mit den Wölfen und hat das Potenzial, zu einer prägenden Figur der anstehenden Bundesligasaison zu werden.

Außerhalb des Platzes hat der 23-Jährige diese Rolle bereits angenommen. De Bruyne versuchte, seinen Nationalmannschaftskollegen Lukaku vom VfL zu überzeugen und forderte medial lautstark weitere Neuzugänge, um das Ziel Champions League zu erreichen. Auf dem Feld lieferte er im ersten Testspiel wenige Tage nach seinem Einstieg ins Training mit einer überzeugenden Leistung gegen Cardiff - Wiederholung zum Auftakt bei den Bayern erwünscht.

Die Prognose:

Das mittelfristige Zeit der Wölfe ist klar: Der Weg soll den VfL in die Königsklasse führen. "Dass es in den nächsten Jahren in Richtung Champions League gehen soll, daraus machen wir intern gar kein Geheimnis", so Allofs. Der frühere Bremer Sportdirektor weiß: "Wir sind in einem Umfeld, das kein Mittelmaß zulässt."

Ob die Champions-League-Hymne aber bereits zur Saison 2015/16 in der Volkswagen-Arena ertönt, ist ungewiss. Die Konkurrenz ist durch teils massive Investitionen nicht schwächer geworden, zudem ist besonders in den ersten Spielen fraglich, wie die durch Ausfälle gebeutelte Defensive funktioniert. Das Auftaktprogramm mit München, Frankfurt, Hoffenheim und Leverkusen ist hart.

Übersteht der VfL diese Phase aber relativ sorgenfrei, kann es hoch hinaus gehen. Die Mannschaft hat Heckings Spielidee mittlerweile verstanden und adaptiert, in der Rückrundentabelle liefen die Wölfe auf Platz vier ein. Das erneute Erreichen der Europa League ist realistisch, die Champions League zumindest greifbar.

Bedingung dafür ist, dass der VfL ohne weitere Ausfälle durch die Saison kommt. Alle Mannschaftsteile sind hochkarätig besetzt, die zweite Reihe jedoch fällt gegenüber den Platzhirschen wie Bayern und Dortmund ab. Allofs ist aber vorsichtig optimistisch: "Im Idealfall bestätigen wir die Leistung der Vorsaison und machen einen kleinen Schritt nach vorn." Das wäre Platz vier.

Alle Infos zum VfL Wolfsburg