"Eigentlich ging mir das alles ein bisschen zu schnell", sagt Xherdan Shaqiri. Kein Wunder. Der Mittelfeldspieler vom FC Basel hat die letzten 18 Monate im Zeitraffer durchlebt.
Anfang 2009 spielte er noch für die Nachwuchsmannschaft, teilte sich in der bescheidenen Wohnung seiner Eltern ein kleines Zimmer mit zwei Brüdern und machte nebenher eine Ausbildung als Herrenausstatter. Mit seinem Lehrlingsgehalt half er mit, die Familie finanziell über Wasser zu halten.
Thorsten Fink fördert Shaqiri
Im Juni aber übernahm Thorsten Fink den Trainerjob von Christian Gross in Basel, erkannte das Talent und nahm es unter seine Fittiche. Anderthalb Jahre später ist Shaqiri Meister und Pokalsieger, jüngster WM-Teilnehmer der Schweiz in Südafrika - und die Hoffnung einer ganzen Fußballnation.
"Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen", sagt der heute 19-Jährige, "aber ich weiß auch, dass ich aufpassen muss. Ich will Xherdan bleiben und den Boden unter den Füßen nicht verlieren."
Keine leichte Aufgabe. Denn mit jedem Dribbling, jedem gelungenen Pass und jedem Tor wuchs der Hype um den gebürtigen Kosovaren. Sein Trikot ist mittlerweile der Verkaufsschlager im Baseler Fanshop, selbst der rhetorisch eher sparsame Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld bezeichnete ihn als das größte Talent der letzten zehn Jahre, und es vergeht kaum eine Woche, in der nicht über das Interesse eines europäischen Topklubs berichtet wird.
Verhandlungen mit dem HSV
"Der Shaqiri-Wahnsinn!", titelte der Schweizer "Blick" ungewollt selbstreferentiell und brachte die Hysterie auf den Punkt: "Es ist die spannendste Frage der Fußball-Schweiz: Wann wechselt Xherdan Shaqiri und wohin?" Der FC Arsenal, Liverpool, Juventus Turin, der FC Bayern - alle waren angeblich hinter dem 1,69 Meter kleinen Linksfuß her.
Konkret verhandelt wurde im Sommer allerdings nur mit dem Hamburger SV. Der Transfer scheiterte jedoch an der Ablösesumme. Kolportiert wurden damals acht bis zehn Millionen Euro - für einen Teenager, der gerade einmal 17 Startelf-Einsätze in der Super League auf dem Buckel hatte, ein stattlicher Betrag.
"Mir wurde nie was in den A... geschoben"
"Ich habe gelernt, mit Geld umzugehen", versichert Shaqiri allerdings auch angesichts der finanziellen Größenordnungen in seinem neuen Leben: "Mir wurde nie etwas in den A... geschoben. Ich stamme ja nicht gerade aus der reichsten Familie. So wurde ich erzogen und das hilft mir jetzt."
Trotzdem war es vor allem sein Trainer Thorsten Fink, der die rasante Entwicklung auch kritisch beobachtete: "Wenn die Euphorie und die Unbekümmertheit des ersten Jahres weg sind, wird sich zeigen, ob er das alles auch verkraftet hat. Dann kommt der Druck", warnte der ehemalige Bayern-Profi im Sommer.
Und er sollte Recht behalten. Das Feuer und die Unbekümmertheit, die Shaqiri zuvor ausgezeichnet hatten, schienen tatsächlich gelitten zu haben. In der laufenden Saison folgten einem starken Auftritt in der Regel mehrere schwächere Spiele.
Plötzlich neue "Freunde" und Verwandte
Für einen Jugendlichen sicher keine außergewöhnliche Entwicklung. Trotzdem nahm ihn sich Fink zur Brust: "Shaq hat ein riesiges Potential, aber er muss es auch konstant abrufen. So, wie er jetzt spielt, kann er seine Auslandspläne vergessen. Jeden Tag klopfen ihm x Leute auf die Schulter und sagen ihm, wie gut er ist. Aber im Moment ist er noch nicht so gut."
Tatsächlich meldeten sich haufenweise neue Freunde, selbst Cousins und Cousinen standen plötzlich vor der Tür, die er noch nie zuvor gesehen hatte: "Es tauchen auf einmal Verwandte auf, die ich gar nicht kannte, dauernd klingelt das Telefon und jemand will mich kennen lernen. Das ist mühsam", erzählt Shaqiri.
Trotzdem lacht er dabei. Denn erstaunlich selbstbewusst und gelassen scheint sich der junge Mann inzwischen in der ungewohnten Situation zurechtzufinden. "Ich weiß, wem ich vertrauen kann, und meine Familie hier kann gut damit umgehen. Meine Eltern sind stark im Kopf und das bin ich auch - was im Fußball sehr wichtig ist. Ich habe Spaß am Fußball und bin eigentlich nie nervös. Ich halte viel aus."
Zu viel Druck für den "Kraftwürfel"
Inzwischen hat er sich ein neues Handy zugelegt, sein 21-jähriger Bruder Erdin, der selbst im Nachwuchs des FC Basel gespielt hat, den Sprung zu den Profis aber nicht schaffte, übernimmt die Pressearbeit.
Auf dem Platz kümmert sich weiterhin Thorsten Fink einfühlsam um sein Juwel. So wie Anfang Oktober: Nach seinem Traumtor für die Schweiz gegen England und einem starken Auftritt gegen die Bayern in der Champions-League flammte der "Shaqiri-Wahnsinn" mal wieder auf. Vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen Montenegro forderte der eidgenössische Boulevard: "Wir brauchen mehr Shaqiris" - um ihn nach einem schwachen Spiel für die Niederlage abzustrafen.
Obwohl ihm seine stattlichen Waden immer wieder Vergleiche mit Roberto Carlos einbringen und sein bulliger Körperbau den Kosenamen "Kraftwürfel", lag zu viel Druck auf seinen Schultern.Vor dem folgenden Pokalspiel stellte Fink es seinem Schützling also frei, ob er die Reise mit der B-Elf zu einem Zweitligisten antreten wollte, oder lieber zuhause den Kopf freibekommen. Natürlich fuhr Shaqiri mit, doch der Trainer setzte ihn zunächst nur auf die Bank. Beim Stand von 0:0 wurde er erst in der zweiten Hälfte eingewechselt. Neun Minuten später führte Basel 2:0, Shaqiri hatte einen Treffer vorbereitet - und sein Selbstvertrauen wieder gefunden.
"Der bodenständigste Mensch, den ich kenne"
Insgesamt scheint sich auch der Hype um den Youngster langsam auf ein halbwegs gesundes Maß einzupendeln. Auch die Transfergerüchte sind mittlerweile wieder überschaubarer. Im Augenblick scheint es wahrscheinlicher, dass Shaqiri einen "Zwischenschritt" in einer europäischen Liga einlegt, bevor er den Sprung zu einem Spitzenklub wagt.
Glaubt man seinem Bruder Erdin, entspräche das auch eher seinem Naturell: "Xherdan ist der bodenständigste Mensch, den ich kenne. Das erstaunt mich immer wieder. Ich weiß nicht, ob es bei mir auch so wäre, hätte ich einen so schnellen Aufstieg gemacht."
Xherdan Shaqiri im Steckbrief