Die Geister, die er rief

Von Für SPOX in Mailand: Florian Bogner
Bayern-Trainer Louis van Gaal will gegen Inter Mailand seine Spielphilosophie durchsetzen
© Getty

Für Bayern-Trainer Louis van Gaal geht es im Champions-League-Achtelfinale gegen Inter Mailand (Mi., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) um den Beweis, dass Offensivfußball doch gegen die perfekte Defensive siegen kann. Dabei scheint der Niederländer allerdings außer Acht zu lassen, dass Leonardos Inter wenig mit dem Mourinho-Stil gemeinsam hat. Ein Fehler oder nur ein Trick?

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Wenn Louis van Gaal sich nicht verstanden fühlt, kann der Bayern-Coach sehr bärbeißig werden. Dann wird es schnell mal ungemütlich um ihn herum. Mutig ist, wer ihm die Stirn bietet. Am Dienstag gab es so einen Fall.

Auf der Pressekonferenz im Saal Gran Canaria des Mannschaftshotels in Mailand war ein italienischer Journalist nicht mit van Gaals Aussage einverstanden, Inter würde auch unter Leonardo in erster Linie für defensiven Fußball stehen und hakte nach, wie der Bayern-Trainer das denn genau meine.

Keine gute Idee, befand van Gaal. "Wenn sie das Finale der letzten Saison gesehen haben, dann wissen Sie das", fauchte der Coach gereizt.

"Warum muss ich das immer wieder sagen? Sie sehen Inter doch auch jede Woche spielen." Zum Beweis führte van Gaal das letzte Heimspiel der Nerazzurri am vergangenen Wochenende gegen Cagliari an, das Inter knapp mit 1:0 für sich entschieden hatte.

"Sie können das selbst sehen!"

"Wenn sie das Spiel gesehen haben, dann wissen sie auch, dass in der zweiten Halbzeit nur Cagliari angegriffen hat. Aber warum wollen sie das immer von mir hören? Sie können das selbst sehen!", blaffte der Bayern-Coach.

Dabei hatte der italienische Journalist gar nicht so unrecht mit seiner Nachfrage - schließlich hat sich Inter in den 13 Partien unter Leonardo deutlich torfreudiger gezeigt (2,31 Tore im Schnitt) als noch unter Rafael Benitez (1,45). Die letzten Ergebnisse vor dem von van Gaal zitierten 1:0 gegen Cagliari lesen sich auch nicht wie die einer destruktiven Mannschaft: 2:1, 0:1, 5:3, 3:0, 3:2.

Das dürfte eigentlich auch van Gaal wissen - die Frage ist nur, ob er es akzeptiert. Denn für den Niederländer geht es im Achtelfinale gegen Inter Mailand nicht um eine simple Revanche für das verlorene Champions-League-Finale. Es geht ihm um den Beweis, dass Offensivfußball am Ende doch gegen eine perfekte Defensive obsiegen kann - auch diesmal, obwohl Inter mittlerweile gar nicht mehr das Inter vom Mai 2010 ist.

Geist Mourinho, gekränkter van Gaal

In gewisser Weise kämpft van Gaal in diesen beiden Partien gegen den Geist von Jose Mourinho an, der ihn neun Monate zuvor in Madrid mit einer perfekt gegen den Ball arbeiteten Maschine von Mannschaft gequält hatte. Ein verlorenes Finale haut einen Trainer vom Schlag des Niederländers nicht um. Es war eher die Art und Weise, wie Inter Bayern im letzten Duell den Zahn zog.

Inter habe im Estadio Bernabeu den Ball verweigert, meint van Gaal heute noch gekränkt. "Lasst die anderen den Ball haben, lasst sie nur", soll Mourinho seinen Spielern damals mit auf den Weg gegeben haben.

Van Gaals Philosophie ist jedoch eine andere: "Ich will angreifen. Ich will dem Publikum etwas geben. Unser Spiel muss attraktiv sein", diktierte van Gaal den italienischen Journalisten am Dienstag in den Notizblock.

Inter und der Weihnachtsbaum

Das Problem: Für van Gaal ist sein eigener Weg der schwierigere. "Das habe ich letztes Jahr gesagt und auch schon zehn Jahre zuvor: Nur zu verteidigen und auf kleinem Raum zu spielen, ist einfacher." Inter spiele auch unter Leonardo aus einer "geschlossenen Organisation" heraus. "Das macht es für jeden Verein in Europa schwierig", so van Gaal.

Eine Frage bleibt: Warum versteift sich van Gaal auf das Bild des spielzerstörenden Inters? Eine These: Vielleicht will der Bayern-Trainer den visionären, aber unerfahrenen Leonardo ein wenig aus der Reserve locken.

Denn nachdem dessen eigentliche Sturmspitze Giampaolo Pazzini in der Königsklasse nicht spielberechtigt ist, geht man bei Inter in Italien von einem Wechsel hin zum defensiveren "albero di natale", dem Weihnachtsbaum-System (4-3-2-1), aus - und das dürfte van Gaal gar nicht gefallen.

Schleichende Verjüngungskur

Vielleicht will der 59-Jährige aber auch nur davon ablenken, dass sein Team auch nicht mehr dasselbe ist, das in Madrid unterlegen war. Neben allen großen und kleinen Revolutionen, hat van Gaal nämlich das Alter seiner Stammelf in seiner Amtszeit um gut drei Jahre nach unten geschraubt.

Unter Jürgen Klinsmann spielte 2008 eine Mannschaft mit knapp 28 Jahren im Schnitt. Ins CL-Finale 2010 schickte van Gaal immerhin eine im Schnitt 27,7 Jahre alte Truppe. Beim 3:1-Sieg in Mainz betrug der Altersdurchschnitt nun nur noch 25,5 Jahre.

Nicht übel, wenn man bedenkt, dass den beiden Ältesten Danijel Pranjic (29) und Anatolij Tymoschtschuk (32) mit Toni Kroos und Breno zwei 21-Jährige im Nacken sitzen und so das Alter sogar auf 23,8 Jahre gedrückt werden könnte.

Von den Spielern, die im CL-Finale schon 29 oder älter waren, ist aktuell keiner mehr dabei. Entweder sie wurden vergrault (van Bommel, Demichelis), oder sie spielen keine Rolle mehr (Butt, van Buyten) - der Langzeitverletzte Ivica Olic bildet da zwar eine Ausnahme, ist angesichts seines Knieschadens und der steilen Leistungskurve von Mario Gomez aber auch außen vor.

Schweinsteiger: Voll auf Sieg gehen!

Sorgen wegen mangelnder Erfahrung muss man sich beim FC Bayern jedoch nicht machen. "Die Vorfreude überwiegt", sagte Bastian Schweinsteiger am Dienstag.

"Es geht in den nächsten Wochen um viel, aber wir kennen solche Situationen. Wir sind Bayern München, dazu gehören große Spiele." Und: "Ich bin sehr zuversichtlich, weil ich weiß, wie stark die Mannschaft sein kann. Wie sie die letzten beiden Spiele gespielt hat, stimmt mich sehr positiv."

Respekt ja, Angst nein - fast schon ein Klassiker, den Schweinsteiger wie folgt ergänzt: "Wir haben Respekt, aber in den 90 Minuten müssen wir alles tun, um dieses Spiel zu gewinnen." Und in einem Punkt gab er seinem Coach dann auch noch absolut Recht: "Wir können uns nicht hinten rein stellen. Das ist nicht unser Spiel."

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Inter (4-3-2-1): Julio Cesar - Maicon, Lucio, Ranocchia, Chivu - Zanetti, Cambiasso, Motta - Stankovic, Sneijder - Eto'o

FC Bayern (4-4-1-1): Kraft - Lahm, Tymoschtschuk, Badstuber, Pranjic - Schweinsteiger, Luiz Gustavo - Robben, Ribery - Müller - Gomez

Heimsiege? Fehlanzeige! Die Bilanz zwischen Inter und Bayern