2:3 aus Sicht des FC Bayern am Ende. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dachten sich die Gastgeber. Allein die erste Halbzeit: Mindestens vier Tore hätten es sein können. Ja müssen! Und am Ende steht man doch mit leeren Händen da. Aus in Europa. In der Champions League gibt es eben kein "besser". Es gibt nur "weiter" oder "draußen".
Ungefähr so hatte sich Manchester United im Vorjahr gefühlt. Enttäuscht, verraten. Nun erfuhr den FC Bayern München gegen Inter Mailand dasselbe Schicksal. Die Gladiolen sind ausverkauft, auf die Münchner warten zehneinhalb Wochen vor dem Champions-League-Finale in Wembley, dem Ende der Saison, nur noch Gänseblümchen. Wenn überhaupt.
"Retten, was zu retten ist"
Ein brutaler Stich ins Herz. So drückte Karl-Heinz Rummenigge das Missgeschick gegen Inter zwei Minuten vor Schluss in Worte aus. Doch das Aus gegen Inter war kein plötzlicher Tod, um in Louis van Gaals Gladiolen-Bild zu bleiben, sondern die Konsequenz aus "Run-and-Gun"-Spielen der Königsklasse, die für die Bayern gestern wie heute unberechenbar blieben.
Im Vorjahr hatte der FCB das Gesetz "defense wins championships" beinahe ad absurdum geführt. Vier Gegentore gegen Florenz und vier Stück gegen Manchester United konnten den Bayern-Express nicht aufhalten, der Auswärtstorregel sei dank.
Am Ende triumphierte Inter, die innere Revision blieb aus. Die Defensive wurde nicht verstärkt, Breno war einzig eine Art Neuzugang. Nun waren drei Gegentore gegen Mailand eins zu viel. Selber schuld.
"Die Mannschaft kann im Moment nicht defensiv denken, nicht geordnet spielen", sagt Philipp Lahm ratlos. Drei Gegentore gegen Dortmund, drei gegen Hannover, drei gegen Inter, alles innerhalb von zweieinhalb Wochen. Dazwischen: das DFB-Pokal-Aus gegen Schalke und der Ausreißer nach oben, das 6:0 gegen einen mausetoten HSV. "Wir müssen versuchen, zu retten, was zu retten ist", sagt Rummenigge matt.
Die "Aufgabe Bayern München" nicht erfüllt
Doch wo sind seine Bayern hin? Die Breite-Brust-Bayern. Die Mia-san-Mia-Bayern. Die Der-Gegner-macht-sich-vor-uns-in-die-Hosen-Bayern. Die Dusel-Bayern. Ausgebayert? Die anderen sind besser, derzeit. Dortmund, Inter. An Barcelona - Verweis auf van Gaals Antrittsrede - nicht zu denken. Und van Gaal ist sowieso eine "lame duck", abgeschossen, noch vor Saisonende.
Zehneinhalb Wochen bis Saisonende und die Bayern-Kapelle schiebt bereits den Blues. Es geht nur noch um Platz drei, dem Mini-Mini-Minimalziel. "Es ist schwierig, die Mannschaft zu motivieren", gibt Lahm zu. Die Perspektive verschwommen, die Angst vor der Europa League lähmt, gerade im Jahr vor dem Champions-League-Finale in München.
Der Charaktertest hat längst begonnen. Für die Spieler, versteht sich, der Trainer ist schon weg. "Ein Horrorszenario, dass man sich nicht erträumen kann", malt Ottmar Hitzfeld nach dem Inter-Spiel ans Bayern-Firmament und unterstellt den Spielern jetzt schon, die "Aufgabe Bayern München" nicht erfüllt zu haben. Statt nach Barcelona, Madrid, London geht es nur noch nach Freiburg, Nürnberg, St. Pauli.
Das Team braucht jetzt Sicherheit
Doch wer und was wird nun genau infrage gestellt? Das Gerüst der Mannschaft steht: Lahm, Schweinsteiger, Müller, Gomez - Nationalspieler, jung, langfristige Verträge. Die Superstars wirbeln: Ribery und Robben, gegen Hamburg wie entfesselt, gegen Inter 60 Minuten lang bärenstark. Doch irgendwie auch seltsam entrückt, nicht mehr entscheidend, nur bedingt begeisternd.
Und der Rest? Torwart Kraft blickt weiter ins Leere. Kommt Neuer? Keiner weiß es, oder keiner will es sagen. Die Abwehr? Zuletzt zu oft ein Torso. Breno, Badstuber, Tymoschtschuk, Van Buyten. Austauschware innen, geschätzt, fallen gelassen, dann wieder herangezogen in van Gaals Spiel mit dem Leistungsprinzip. Pranjic, Gustavo, Kroos, Altintop - mal hier, mal da. Wo van Gaal sie braucht, kein Murren, aber eben auch: keine Sicherheit. Die braucht das Team aber jetzt.
Mit van Bommel hatte man zudem ein nur scheinbar ersetzbares Zahnrädchen voller Kalkül und ohne Not entfernt. Ob es mit ihm besser gelaufen wäre? Robben sagt jedenfalls, er fehle. "Mit ihm haben wir nicht nur einen guten Spieler, sondern eine wichtige Führungsfigur und Kapitän verloren", wird der Niederländer in der "Sport-Bild" zitiert. Die anderen - Lahm, Schweinsteiger - sind auf dem Platz erst kleine Häuptlinge.
Eine neue Philosophie muss her
Nach 2007 und 2009 also nun auch 2011 nach einem großen Turnier kein Bayern-Titel. Das Muster ist erkennbar, doch es gibt keine Lösungsansätze. Vorstand und Mannschaft stehen derzeit soweit auseinander wie die Bayern-Defensive. Es fehlt die Einheit. Kompakt stehen die anderen, nicht der FCB. "Das wird nicht einfach", sagt Rummenigge mit Blick auf die letzten acht Spiele des Jahres.
Es nützt nichts. Der Blick muss voraus gehen. Das Gute: Der FC Bayern kann den Nachteil in einen Vorteil ummünzen, hat einen Vorsprung von zehneinhalb Wochen. Ähnlich wie ein Formel-1-Team, das nicht mehr um den Titel mitfährt, kann sich der FCB jetzt schon um die Planungen für die kommende Saison kümmern, den Boliden updaten.
Als erstes muss eine neue Philosophie her. Van Gaals Plan ist grandios gescheitert. Wer wird neuer Trainer? Wer wird spielen?
Eine Zäsur, wie 2007, als die Schatulle aufging und Ribery, Toni, Klose kamen - möglich, aber noch nicht beschlossen. Hängt auch vom Abschneiden in der Liga ab.
Männer oder Memmen? Zehneinhalb Wochen werden Klarheit bringen.
Alle Ergebnisse des FC Bayern München