Michael Robinson ist in seiner Heimat eine Legende. Als gebürtiger Engländer lief er als Stürmer 24 Mal für das im Vergleich zum motherland of football beschauliche Irland auf. 1984 holte er mit dem FC Liverpool den Landesmeistercup.
Nach dem Ende seiner Laufbahn, die Robinson bei CA Osasuna ausklingen ließ, blieb Robinson in Spanien und machte dort Karriere als Journalist. Die Iren sind mächtig stolz auf ihren Mike, schließlich hat er es im Land der Schönspieler zum führenden TV-Experten gebracht.
Robinson hat sämtliche Größen des Sports in Spanien hautnah erlebt. Er lernte das legendäre Barca unter Johan Cruyff kennen, ging mit dem allmächtigen Atletico-Boss Jesus Gil y Gil in die Sauna und anschließend in dessen Nachtclubs und saß ungläubig auf der Tribüne, als die Galacticos aus Madrid computergesteuerten Fußball zelebrierten.
Mou, der Schlangenbeschwörer
Einen wie Jose Mourinho hat Robinson aber in all seinen Jahren nicht erlebt. Der Trainer von Real Madrid stellt für Robinson ein übersinnliches Wesen dar. "Mourinho ist ein Schlangenbeschwörer. Ach was: Ein Dschungel-Beschwörer", sagte Robinson der "Süddeutschen Zeitung".
Seine Faszination für Mourinho leitet Robinson aus dem ersten von vier Clasicos im Frühjahr 2011 ab, als sich Real im eigenen Stadion ein 1:1 gegen den FC Barcelona ermauerte. "Das muss man erst mal schaffen: Eine Mannschaft, die mit Weltmeistern und grandiosen Spielern gespickt ist, davon zu überzeugen, sich zu Duckmäusern zu machen", sagte Robinson.
Mourinho war der erste Real-Trainer, der sich gewissermaßen eingestand, mit Barca fußballerisch nicht mithalten zu können. In Mourinhos Kalkül hat Spektakel der eigenen Mannschaft keinen Platz, erst recht nicht, wenn es gegen Barca geht.
Vor einem Jahr bot er Inter-Stürmer Samuel Eto'o im CL-Halbfinale als zweiten linken Außenverteidiger auf. Spätestens seit dem Sieg im Finale der Copa del Rey wird Mourinho nachgesagt, im Besitz des Anti-Barca-Serums zu sein. Der Portugiese hat mittlerweile großen Spaß daran, den Barca-Style zu dechiffrieren.
Barca genervt
Im Umfeld des FC Barcelona wird Mourinhos Herangehensweise respektiert, hinter vorgehaltener Hand aber verachtet. Mourinho habe nie die Motorhaube aufgemacht, um nachzuschauen wie Fußball funktioniert, sondern nur um ein paar Kabel zu durchtrennen, die Barca spielunfähig machen.
Selbst Spielmacher Xavi, ein Mann der unhörbaren Töne, echauffierte sich nach dem 1:1 in der Liga: "Real stand nur hinten drin. Ich habe schon oft im Bernabeu gegen sie gespielt, so was aber noch nie erlebt. Wir dagegen spielen Fußball und bleiben unserem Stil treu."
Der FC Barcelona ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass nur sein Stil auf Dauer Erfolg bringt. "Real wird sicher wieder defensiv spielen. Wir aber werden an unserer Marschroute festhalten. Wir sind Barca und wir werden im Bernabeu Barca zu 100 Prozent sein", kündigte Dani Alves an.
Ballgeschiebe bis zur Weißglut
Ein Plan B existiert bei Barca nicht. "Sie haben die besten Fußballer. Aber wenn der Gegner gut verteidigt, treibt mich das Ballgeschiebe manchmal zur Weißglut", sagt ausgerechnet Johan Cruyff, der Gründer des Dream Teams, das Anfang der 90er Jahre Fußball auf ein höheres Level hob.
In der Hinrunde der laufenden Saison war berechtigterweise vom besten Barca aller Zeiten die Rede. Keiner Fußballmannschaft war es jemals zuvor gelungen, so nahe an der Perfektion zu spielen und dabei auch Ergebnisse zu liefern.
Doch Barca hat an Genialität und vor allem an Dynamik verloren. Die Mannschaft hat nur 18 Tore in den letzten elf Ligaspielen geschossen, in Katalonien wird das als beschämend schlecht angesehen.
"Was Barca in der ersten Saisonhälfte gespielt hat, war nicht normal. Sie sind immer noch das Nonplusultra, aber ich mache mir allmählich Sorgen. Irgendetwas scheint die Jungs zu blockieren", ließ Ex-Barca-Spieler Thierry Henry aus den fernen USA mitteilen.
Das Ende der Hegemonie?
Das CL-Halbfinale hat für den ganzen Verein enorm hohe Bedeutung. Ein Ausscheiden gegen Real Madrid würde die Saison zu einer verkorksten machen, schließlich verlor man schon das Copa-Finale gegen den Erzfeind. Der Gewinn der spanischen Meisterschaft wäre da nur ein schwacher Trost.
In Madrid bastelt Mourinho am neuen Real und holte gleich im ersten Jahr einen Titel. "Mous Team beendet Barcas Hegemonie", schrieb "Marca" am Tag nach dem Copa-Finale.
So brachial haben sich die Machtverhältnisse in Spanien bei weitem noch nicht verschoben, für Barca wird es in den nächsten Jahren aber nicht leichter werden, seine Vormachtstellung aufrechtzuerhalten.
Das Reservoir an Talenten ist unerschöpflich, wie der rasante Aufstieg von Sergio Busquets beweist. Mit Thiago Alcantara wird der Nachfolger von Xavi behutsam aufgebaut. Doch der Verein verliert in absehbarer Zeit seine Identifikationsfiguren. Carles Puyol (33) und Xavi (31) haben bereits über ihr Karriere-Ende gesprochen und Guardiola wird den Verein aller Voraussicht nach am Ende der Saison 2012 verlassen.
In den beiden Halbfinalspielen gegen Real Madrid geht es für den FC Barcelona nicht nur um den dritten Titel in der Königsklasse seit 2006: Der Erzfeind rüttelt an der Alleinherrschaft.
Real Madrid vs. FC Barcelona: die Bilanz