Es ist ein herrlicher Sonntagvormittag und der Jüngling weiß, was die Masse hören will. Rund 100 Anhänger des FC Schalke 04 sitzen nach dem 1:0-Erfolg über Wolfsburg im Klubheim des Fan-Dachverbands und werden von ihrem Star-Gast nicht enttäuscht.
Dortmund habe zwar Interesse an einem Wechsel gezeigt, "aber ich dachte keine einzige Sekunde daran, zum BVB zu gehen. Das wäre die Höchststrafe", sagt Julian Draxler in der sicheren Gewissheit, mit derlei Aussagen seiner Verantwortung als zukünftiges Aushängeschild des Vereins nachzukommen.
Und der FC Bayern? "Da halte ich es wie die Toten Hosen: Ich würde nie zum FC Bayern München gehen." Riesiger Beifall der Fans. Ein schelmisches Grinsen des 17-Jährigen.
Rangnick: "Zukunft von Schalke"
Vor zwei Wochen trafen der neue Trainer Ralf Ragnick und Sportvorstand Horst Heldt eine Grundsatzentscheidung. Anstatt mit Vehemenz und unternehmerischem Risiko einen Titelgewinn erzwingen zu wollen, soll Schalke zukünftig bedachter vorgehen und vor allem seinen eigenen Nachwuchs stützen.
Und als Leitbild des neuen Schalker Wegs wurde Draxler auserkoren. Jener Draxler, der im Winter von Felix Magath zunächst ins Trainingslager mitgenommen und wenig später von der A-Jugend abgelöst und Teil des Profikaders wurde.
"Julian ist ein überdurchschnittlich begabter Fußballer. Er kann die Zukunft von Schalke 04 darstellen", sagt Rangnick.
"Zuviel Bremsen sinnlos"
Der so Gepriesene ist sich seiner exponierten Rolle bewusst - und mag dies nicht als Bürde ansehen. "Es ist schön, dass ich hier so hoch angesehen werde, deswegen empfinde ich es nicht als Druck, sondern als Ehre. Ich will schon jetzt alles mitnehmen, was möglich ist", sagt Draxler im Gespräch mit SPOX.
Laut Heldt sei es sogar unerlässlich, einen Hochbegabten wie Draxler in den Fokus zu rücken, um diesen entscheidend zu fördern.
Heldt zu SPOX: "Es ist die Aufgabe von uns allen, diesen Rohdiamanten weiter behutsam zu schleifen. Aber zuviel Bremsen macht keinen Sinn. Wir müssen in Deutschland die Angst davor verlieren, Talente zu früh ins kalte Wasser zu schmeißen."
Der Unterschied zwischen Draxler und Götze
Es gibt 17-jährige Leistungssportler, deren Gesichter gegerbt und Körper gestählt sind. Und es gibt Typen wie Draxler. Bestechend sein Spielwitz, Mut und taktisches Verständnis, ebenso auffällig jedoch die wenig ausgeprägte Körperlichkeit.
"Ich weiß, dass ich daran noch sehr arbeiten muss, um bei den Profis mithalten zu können", sagt Draxler, der in seiner fehlenden Robustheit den größten Unterschied zu Dortmunds nur einem Jahr älteren Mario Götze sieht. "Er ist mindestens zwei Schritte vor mir."
In seiner ersten Halbsaison unter A-Jugendtrainer Norbert Elgert habe Draxler jedoch große Fortschritte gemacht, weswegen er ihm besonders dankbar ist: "Norbert Elgert hat immer wieder gesagt, was ich kann. Aber auch, was er von mir fordert. Und er hat sehr viel von mir gefordert. Ohne sein Training hätte der Übergang nicht so funktioniert."Magath im Interview: Warum er so von Schalke-Teenager Draxler schwärmt
A-Jugendtrainer Elgert mahnt zu Geduld
Doch ausgerechnet der in der Branche hochgeschätzte, aber als stur geltende Elgert gehört zu jenen Skeptikern, denen der Werdegang allzu rasant vonstatten geht. Ohne auf Draxler namentlich einzugehen, gab er bereits vor der Rückrunde zu bedenken, dass Manuel Neuer oder Benedikt Höwedes sehr lange in der A-Jugend trainiert haben und dies der Schlüssel für deren Durchbruch bei den Profis gewesen sei.
"Das möchte ich beibehalten. Ich bin mit allen noch nicht fertig und habe ihnen noch jede Menge zu geben. Wir sind noch nicht am Ende unserer Ausbildung", sagt Elgert. Trotz der Bedenken ist Draxler bereits ein festes Mitglied der Lizenzspieler-Abteilung und bekam einen Profivertrag bis 2014, dabei wäre er noch eineinhalb Jahre für die A-Jugend berechtigt.
Mehr noch: Rangnick kündigte kurz nach seinem Amtsantritt an, für die kommende Saison weitere Kaderplätze für die eigenen Nachwuchsspieler freizuhalten. "Ich bin froh, dass wir den einen oder anderen in der Hinterhand haben", sagt der Trainer und verweist auf die erfolgreiche A- und B-Jugend.
Felix Magath: "Ich bin Julian-Draxler-Fan"
Elgerts A-Jugend hält sich standhaft auf Platz zwei der Bundesliga West, obwohl der beste Spieler abberufen und der Großteil des Teams erst im Sommer aus der B-Jugend hochgezogen wurde. Das Fehlen von Draxler (12 Spiele, 8 Tore) ist offensichtlich, doch Rangnick dürften Offensivspieler wie Aleksandar Stevanovic (16 Spiele, 11 Tore), Ridvan Armut (16 Spiele, 9 Tore) oder Linksverteidiger Nils Zander aufgefallen sein.
Schalkes B-Jugend wiederum ist in der Bundesliga West sehr ordentlicher Vierter.
Draxler bleibt jedoch eine Ausnahmeerscheinung. "Er kann ein verdammt guter Spieler werden", sagt DFB-Sportdirektor Matthias Sammer. "Julian ist ein Riesen-Talent mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Deshalb bin ich Draxler-Fan", schwärmt sein sonst so strenger Ex-Trainer Magath.
Draxler: Seit der F1 bei Schalke
Entsprechend umworben ist Draxler - und das nicht erst seit seinem spektakulären Siegtreffer in der Verlängerung des Pokal-Viertelfinals gegen Nürnberg, das er wie folgt beschrieb: "Das Tor habe ich aus dem Instinkt heraus gemacht, genauso wie in der A-Jugend immer."
Spätestens seit der B-Jugend gingen zahlreiche Angebote anderer Klubs ein, am hartnäckigsten warb jedoch ausgerechnet Dortmund. "Draxler war der beste Mann auf dem Platz", sagte BVB-Nachwuchskoordinator Lars Ricken, nachdem Schalkes A-Jugend in der Hinrunde den Rivalen mit 3:1 besiegt hatte.
Die Avancen waren jedoch allesamt erfolglos, zu verwurzelt ist Draxler auf Schalke. Der Verein, für den er seit der F1-Jugend spielt und wo er als Balljunge die Stars von gestern bewunderte. Der Verein, der ihn als den identitätsstiftenden Nachfolger für Neuer und Höwedes positioniert, sollten diese ihre Heimat verlassen und dem Werben des FC Bayern nachgeben.
"Schalke ist meine Familie", sagt Draxler.
Schalkes Teenie-Sensation: Julian Draxler im Steckbrief