Wohl niemand hätte auf Schalke damit gerechnet, dass die Veränderungen nach Felix Magaths Entlassung so schnell greifen würden. Ralf Rangnick hat mit dem 5:2 bei Inter Mailand eine Kostprobe gegeben, wohin der Weg für Schalke 04 führen kann. Doch die Königsblauen stehen erst am Anfang. Viele Fragen sind noch offen.
Es ist keine drei Wochen her, als beim FC Schalke 04 die kurze, aber umso intensivere Ära des Felix Magath endete: "Der Fußballclub Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. und Herr Felix Magath haben sich nach einer offenen Aussprache gütlich und einvernehmlich getrennt", hieß es.
Arbeitsrechtlich mag das stimmen, aber die Nachwirkungen von Magaths Wirken drohten über Jahre hinaus den Verein zu lähmen. Der auf fast 40 Mann aufgeblähte Kader, die schwierige Finanzsituation, das Wegbrechen der zweiten Management-Ebene, nachdem Magaths Vertraute gegangen wurden: Schalke fand sich plötzlich ohne die Konstante Magath wieder, in einem Schwebezustand ohne Halt.
Hat Vorstand Horst Heldt das nötige Format? Wer folgt Magath als neuen Chefcoach? Wie sieht die generelle Ausrichtung des Vereins aus? Fragen reihten sich an Fragen.
Doch dank des furiosen 5:2 bei Champions-League-Titelverteidiger Inter Mailand und dem erfolgreichen Einstand des Magath-Nachfolgers Ralf Rangnick ergeben sich plötzlich neue Perspektiven, die die Zukunft nicht mehr allzu düster erscheinen lassen.
Die Taktikanalyse: 5 Gründe für das 5:2
Einnahmen von über 50 Mio. Euro möglich
Der wahrscheinliche Einzug ins Halbfinale der Königsklasse bedingt einen Mehrerlös von rund zehn Millionen Euro, so dass die Gesamteinnahmen aus Prämien, Startgeld und Ticketverkauf auf über 50 Millionen Euro steigen können.
Sollte Schalke auch das Pokalfinale gegen Duisburg gewinnen, würde es trotz der durchwachsenen Bundesliga-Leistungen die mit Abstand erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte bedeuten, noch höher einzuschätzen als der UEFA-Cup-Sieg 1997 oder die drei Vize-Meisterschaften 2001, 2005 und 2010.
Was womöglich aber wichtiger ist als der aktuelle Erfolg ist die generelle Übereinkunft von Heldt, Rangnick und Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies, in welche Richtung sich Schalke bewegen soll: Die unter Magath vernachlässigte Nachwuchsarbeit muss gestärkt und zum Grundpfeiler des Vereins werden.
Rangnick setzt auf die Jugend
Nicht zufällig sprach Rangnick nach dem 5:2 am liebsten darüber, dass seine Mannschaft deutlich jünger sei als Inter. "Das muss Schalkes Weg für die Zukunft sein. Wir sind froh, dass wir viele erfahrene Spiele wie Raul haben, der wieder ein klasse Spiele gemacht hat. Aber es geht auch darum, einem Jungen wie Julian Draxler Spielpraxis zu geben." Rangnick hätte neben dem 17-järhigen Einwechselspieler auch Joel Matip oder Kyriakos Papadopoulos nennen können, beide erst 19 und Stützen in Mailand.
Heldt stellte bereits nach Rangnicks Amtsantritt klar, dass dieser der Richtige für den neuen Kurs ist: "Er hat seinerzeit beim VfB Stuttgart eine hervorragende Jugendabteilung aufgebaut, aus der viele große Spieler hervorgegangen sind: etwa Sami Khedira, Mario Gomez und Serdar Tasci."
Dass eine nachhaltige Vereinspolitik jedoch mit der kurzfristigen Erfolgsabhängigkeit kollidieren kann, befürchtet auch Heldt. "Wir sind der zweitgrößte Verein Deutschlands, da ist es doch klar, dass wir oben mitspielen wollen. Dennoch ist es ganz wichtig, Verbindlichkeiten abzubauen und sich weitere Ziele zu setzen, etwa eine kontinuierliche Jugendarbeit, wo Geld investiert werden muss", sagt der neue Sportvorstand.
"Die Zukunft ist die Jugend, die Gegenwart ist die Lizenzspielerabteilung. Beides müssen wir auf Schalke unter einen Hut bekommen."
Kader-Reduzierung ist notwendig
Mit dem Champions-League-Erfolg wurde auch nach außen hin eine neue Zeitrechnung begonnen und dringend benötigte Millionen erwirtschaftet, die zur Neuausrichtung der Mannschaft nötig sind.
Rangnicks Maßnahmenkatalog ist so lang wie anspruchsvoll. Er möchte mehr Talente fördern und hält zur kommenden Saison "ein paar Plätze" für sie frei. Er will aber gleichzeitig den gigantischen Kader auf eine "vernünftige Größe", rund 25 Mann, reduzieren. Und er plant die Verpflichtung neuer Spieler, die seine "Spielphilosophie nachhaltig umsetzen und die Fans mit attraktivem Offensiv-Fußball begeistern" können.
Trotz der Champions-League-Einnahmen dürfte es sich aber schwierig gestalten, all dies zu erreichen. Der Weggang der im Sommer vertragslosen Ali Karimi, Junmin Hao und Danilo Avelar steht fest, Christian Pander und Angelos Charisteas dürfen womöglich bleiben, wenn sie keine finanziellen Ansprüche stellen.
26 plus 8
Abgegeben werden sollen außerdem Nicolas Plestan, Ciprian Deac und Tore Reginiussen, die jedoch allesamt bis 2013 gebunden und entsprechend schwer zu vermitteln sind.
Die oben genannten acht Namen abgerechnet, stehen nächste Saison noch immer 26 Spieler unter Vertrag: Zwei Torhüter (Neuer, voraussichtlich Schober), acht Abwehrspieler (Höwedes, Metzelder, Uchida, Papadopoulos, Sarpei, Escudero, Schmitz, Hoogland), zwölf Mittelfeldspieler (Farfan, Kluge, Jurado, Matip, Annan, Baumjohann, Draxler, Moritz, Kenia und die zurückkehrenden Holtby, Jones, Moravek) und vier Stürmer (Raul, Edu, Huntelaar, Gavranovic).
Viele offene Fragen
Und es ist bei weitem nicht das einzige Problemfeld für Heldt und Rangnick: Verschlingt die Reparatur des Stadiondachs tatsächlich 20 Millionen Euro, die sonst anderweitig genutzt hätten werden können? Wie schnell und effektiv gelingt Rangnick die systematische Verzahnung der Jugend- mit der Profiabteilung? Wer soll Schalkes zweite Mannschaft trainieren, nachdem der Vertrag des bisherigen Coaches Michael Boris nicht verlängert wird?
Und die schlussendlich entscheidende Frage: Verläuft die Zusammenarbeit zwischen Heldt und Rangnick tatsächlich so ausgewogen wie zu Beginn?
"Ich bin ein Teamplayer und halte nichts davon, wenn ein Manager einen Spieler verpflichtet, den der Trainer eigentlich gar nicht haben will. Gleiches gilt umgekehrt. Ein Transfer muss immer im Konsens geschehen", sagt Heldt.
Vorhandene Perspektive nutzen
Immerhin: Mit dem wahrscheinlichen Erreichen des Champions-League-Halbfinals verbesserten sich gleichermaßen die wirtschaftliche Lage und die Aussicht, Leistungsträger an sich zu binden. Manuel Neuer und Benedikt Höwedes werden es registrieren, dass Schalke international in diesem Jahr wesentlich konkurrenzfähiger war als der umwerbende FC Bayern.
Außerdem gelang es Rangnick, einen Markt für Spieler wie etwa Baumjohann und Sarpei zu schaffen, indem er sie spielen ließ und diese überzeugten. Zuvor waren sie aufgrund der Perspektivlosigkeit nicht mehr als totes Kapital für den Verein.
Es reihen sich noch immer Fragen an Fragen. Aber einige wurden bereits beantwortet, von Heldt, von Rangnick, oder von beiden zusammen. Das ist drei Wochen nach der Trennung von Magath schon eine Erfolgsmeldung an sich.
Der Kader von Schalke 04 im Überblick