Neuer: Zwischen Opa Willi und Kaiser Franz

SID
Mit seiner Entwicklung zum Weltklasse-Torwart hat auch ein Sinneswandel bei Neuer stattgefunden
© Getty

"Blau und Weiß ein Leben lang" - die Schalker Hymne zählt für Manuel Neuer, der am Mittwoch vielleicht sein letztes Champions-League-Spiel für die Königsblauen bestritt, nicht mehr. Die Gründe für den Sinneswandel sind in der Tatsache zu suchen, dass zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart Welten liegen.

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Manuel Neuer tat so, als hätte er es überhört, aber das war schlichtweg unmöglich. "Judas raus!", hatte ein Schalke-Fan während des öffentlichen Abschlusstrainings vor dem Halbfinal-Rückspiel gegen Manchester United aufs Spielfeld gebrüllt, und seine Worte hallten im sonst fast menschenleeren Old Trafford umso lauter wider.

Nicht nur der englische Rekordmeister setzte dem Nationaltorwart auf dessen vielleicht letzter Champions-League-Dienstreise mit Schalke 04 zu.

Als Neuer "nicht höher als eine Tischkante" war, wie es sein Entdecker Lothar Matuschak formuliert, und die Anweisungen an die Mitspieler schüchtern über den Platz piepste, hätten nicht die Fans, dafür aber der Klub den schmächtigen Jungen fast weggeschickt. Wie sich die Zeiten ändern.

Nun hat sich der 25-Jährige selbst entschieden, seine große Liebe zu verlassen, um sich, so scheint es, Bayern München anzuschließen. Die drängendste Frage, die sich dazu stellt, stand im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern auf einem Plakat geschrieben, das ein trauriger S04-Fan in die Luft hielt: "Manu, warum?"

Mit der Entwicklung kam der Sinneswandel

Neuer gilt mittlerweile als bester Torhüter der Welt, zwischen seiner Gegenwart und seiner Vergangenheit liegen Welten. 154 Bundesliga- und 18 Länderspiele haben ihn verändert. Sein Werdegang liefert die Begründung, warum für ihn das "Blau und Weiß ein Leben lang" aus der Schalker Hymne keine Verpflichtung mehr darstellt.

Einst ließ er sich bei Trainingseinheiten in den Schalker Jugendmannschaften nach Auskunft von Matuschak "Zwanzig-Mark-Scheine von seinem Opa Willi zustecken". Heute sollen die Bayern nach Meinung ihres Ehrenpräsidenten Franz Beckenbauer "wenn es sein muss auch 50 Millionen Euro" für ihn bezahlen.

Noch vor ein paar Jahren verfolgte Neuer als Fan fast alle Schalker Heimspiele live. Auf dem Platz trug er später unter dem Trikot immer das alte Shirt seines Fanklubs "Buerschenschaft", benannt nach dem Gelsenkirchener Stadtteil Buer. Dort, wo Schalke 04 Religion ist, wurde Neuer geboren, dort wuchs er auf.

Aussicht auf Titel wichtiger als Treueschwüre

Doch die Aussicht auf viele Titel, regelmäßige Auftritte in der Champions League, auf eine neue Herausforderung und wohl auch auf ein paar Euro mehr ist ihm wichtiger geworden als die alten Treueschwüre.

Deshalb brüllt ein Schalke-Fan in Manchester Parolen. Deshalb schlossen ihn die "Ultras Gelsenkirchen" in der vergangenen Woche aus ihrer Mitte aus. "Manuels Entscheidung hat bei zu vielen von uns zu viel zerstört", hieß es.

Nun also die Bayern, spätestens 2012 nach Ablauf seines Vertrages auf Schalke, im Falle einer Einigung zwischen dem Vize- und dem Rekordmeister schon ab kommender Saison - trotz aller Anfeindungen, die Neuer bei seinen letzten beiden Auftritten in der Allianz-Arena aus dem Fanblock der Bayern-Ultras zu hören bekam. Verrat an ihren alten Werten verletzt Fußball-Anhänger lagerübergreifend.

Wechsel nur innerhalb Deutschlands

An der Tatsache, dass die Münchner früher oder später sein Gehalt bezahlen werden, kann auch ein angeblich neu aufgeflammtes Interesse von Manchester United und der Besuch Neuers im "Theater der Träume" von Old Trafford am Mittwoch nichts mehr ändern.

"Mein Ziel ist es, innerhalb Deutschlands zu wechseln. Es gibt mehrere Parteien. Einmal die Verantwortlichen von Schalke 04, den Spieler Manuel Neuer und einen anderen Verein", sagte Neuer nach der 1:4-Niederlage bei den Bayern am vergangenen Samstag.

Sein Trainer Ralf Rangnick, der eigentlich nur Schalkes Chancenlosigkeit im Hinspiel gegen Manchester (0:2) und in der Partie bei den Bayern erklären wollte, fasste ungewollt auch den Grund für Neuers Weggang in seine Worte: "Das sind halt zwei andere Kaliber als der FC Schalke."

Der bloße Traum von der Arena ist für den Manuel Neuer der Gegenwart nicht mehr groß genug. Für den Manuel Neuer der Vergangenheit war er ein gewaltiger Ansporn.

"Die Arena war gerade neu entstanden, da standen wir unten auf dem Platz", erzählt Neuers Jugendtrainer Matuschak: "Dann hab ich den Manu in den Arm genommen und gesagt: 'Willst Du da einmal spielen?' Dann guckte er mich an und sagte 'Ja'. Und ich sagte: 'Okay, dann helf ich Dir dabei. Dann gehen wir die Geschichte an."

Manuel Neuer im Steckbrief

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