Ottmar Hitzfeld hatte sie eingeführt in seiner ersten Amtszeit beim FC Bayern München: die Rotation. Zwar war es auch vorher nicht unüblich, dass ein Trainer mal den einen oder anderen Spieler aus der Startelf nahm und einen anderen Spieler brachte, aber Hitzfeld praktizierte das Wechselspiel schon etwas extremer.
Das für die damalige Zeit fast schon futuristische Mittel, die Kadertiefe voll auszunutzen, war schnell im Trend. Die Bayern gewannen in Serie, holten Titel und das Wundermittel des deutschen Fußballs hatte einen Namen: das Rotationsprinzip.
"Fußball ist keine Mathematik"
Hitzfeld kam Jahre später nochmals zurück zum FC Bayern - und rotierte natürlich wieder. Bis es dann irgendwann nicht mehr so funktionierte und Karl-Heinz Rummenigge nach einem Unentschieden gegen die Bolton Wanderers im ungeliebten UEFA-Pokal Hitzfelds Rotation verunglimpfte. "Fußball ist keine Mathematik", schimpfte der Bayern-Boss und die Rotation war plötzlich doch keine so gute Idee mehr.
Jupp Heynckes ist ein mutiger Mann. Beim FC Bayern hat er das Rotationsprinzip wieder eingeführt. Obwohl auch einer seiner Vorgänger, Jürgen Klinsmann, mit Pauken und Trompeten damit gescheitert ist.
Beim 2:0 im Hinspiel gegen den FC Zürich in der Champions-League-Qualifikation gab es einen sanften Einstieg, als Toni Kroos für Thomas Müller in der Startelf stand. Gegen den Hamburger SV fanden sich dann Jerome Boateng, Luiz Gustavo und eben Kroos auf der Bank wieder. Daniel van Buyten, Anatolij Tymoschtschuk und Müller durften spielen.
"Eigentlich sind alle Stammspieler"
Aus Gründen des "gruppendynamischen Prozesses" habe er gegen den HSV gewechselt, sagte Heynckes. Auf Deutsch: Er wollte seine Reservisten bei Laune halten. "Jeder bekommt das Gefühl, dass er wertvoll ist", gibt der Trainer des FC Bayern zu verstehen.
"Beim FC Bayern ist jeder Spieler, der im Kader steht, im Grunde ein Stammspieler", so Heynckes kürzlich. Ansonsten, so "Don Jupp", wären sie auch keine Bayern-Spieler. Natürlich hat auch er Spieler, die eine gewisse Wichtigkeit haben und nur dann nicht spielen, wenn sie verletzt oder gesperrt sind.
Manuel Neuer, Holger Badstuber, Philipp Lahm, Rafinha, Bastian Schweinsteiger und Mario Gomez dürfen sich zum erlauchten Kreis der Unantastbaren zählen. Franck Ribery und Arjen Robben, eigentlich vom Status her ähnlich unantastbar, dürften öfters draußen sitzen als ihnen lieb ist. Alleine schon, um das gesundheitlich etwas anfällige Duo dauerhaft fit zu halten.
Beim Gastspiel gegen den FC Zürich wird Robben laut "Bild" aufgrund erneuter Rückenprobleme ausfallen und Heynckes damit schon mal eine Entscheidung abnehmen.
Lob von Breitner und Co.
Doch auch ohne Verletzungen achtet Heynckes nicht auf Namen: "Wichtig ist, dass die Mannschaft in der Formation harmoniert und funktioniert. Dass es einen Spieler trifft, der normalerweise spielt, ist normal. Das ist bei Real Madrid, Barcelona und Manchester United das gleiche Prinzip. Sie haben teilweise einen noch größeren Kader."
Die Rotation kommt an. Zum einen bei den Verantwortlichen: "Die Rotation ist ein guter Weg für uns, weil wir auf drei Hochzeiten tanzen wollen. Heynckes hat die Rotation in Leverkusen umgesetzt und führt sie hier fort. Das ist sehr sinnvoll", so Sportdirektor Christian Nerlinger zu SPOX. Auch Uli Hoeneß gefällt's: "Die Zweiklassen-Gesellschaft wird verhindert, alle spüren, dass sie dazugehören."
Selbst Bayerns Dauer-Nörgler Paul Breitner findet die Rotation eine gute Sache. "Der heutige Fußball ist eine andere Welt als die, in der ich gespielt habe. Wir haben in den 70er- und 80er-Jahren zum Teil 110 Spiele pro Jahr mit 13 Spielern absolviert. Heute kannst du durch die Belastung, die die Hektik des zeitgemäßen Spiels mit sich bringt, nicht mehr mit so wenig Personal auskommen", so Bayerns Chefscout im "Welt"-Interview.
Van Buyten: Mit Frust und Motivation
Aber auch unter den Spielern hat der Launemacher Rotation einige Fans gewonnen: "Es gehören nicht nur elf Spieler dazu, sondern der ganze Kader", sagt Philipp Lahm und lobte seine gegen den HSV in die Mannschaft rotierten Kollegen: "Es war schön, dass neue Spieler reingekommen sind und ihre Leistung gebracht haben. Das tut der Mannschaft gut."
Besonders gut getan hat die Rotation Daniel van Buyten, der in seinen bisherigen zwei Pflichtspieleinsätzen keinen Ballkontakt hatte, weil er lediglich zum Zeitschinden eingewechselt wurde.
Als ihm Heynckes am Tag vor dem HSV-Spiel mitteilte, dass der Belgier in der Startelf stehen darf, fand van Buyten klare Worte: "Ich habe dem Trainer gesagt, dass ich meinen Frust in Motivation umwandeln werde." Van Buyten köpfte das 1:0.
Aber die Rotation birgt auch Risiken und da kommen wieder Hitzfeld und Klinsmann ins Spiel: Gewinnt Bayern mit und dank der Rotation, ist sie die beste Sache, die es gibt und Louis van Gaal bekommt von allen Seiten nachträglich Hiebe, weil er ein absoluter Gegner der Rotation war.
Aber es kann auch anders gehen, wenn zum Beispiel vermeintliche Stammspieler nicht mitziehen. Mark van Bommel, unter Klimsmann lange Zeit Rotationsopfer, konnte sich damals mit seiner Rolle nicht anfreunden: "Wenn der Trainer entscheidet, dass rotiert wird, dann wird halt rotiert", sagte er einmal leicht genervt.
Dabei zeigte der Niederländer sogar etwas Verständnis: "Rotierst du nicht und verlierst, hättest du besser rotiert."
Doch egal in welcher Richtung: Klinsmanns Wechselspiele gingen nicht auf und der Bayern-Trainer musste schließlich mangels Erfolg das Weite suchen.
Rotation ist nicht gleich Erfolg, sondern eine Variable und wir wissen: Fußball ist ja doch irgendwie Mathematik...
Die Bayern-Termine in dieser Saison