Der wichtigste Vereinswettbewerb der Welt öffnet wieder seine Pforten: Die Champions League ist endlich zurück! Neben all den Attraktionen aus den europäischen Topligen drängeln auch die drei deutschen Vertreter Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen und der FC Bayern ins Finale nach München. Aber wer sind die Topfavoriten? Was reißen die Italiener diese Saison? Sind neue Taktiktrends zu erwarten und welches Team könnte überraschen? SPOX liefert die Prognosen.
Bayern, Dortmund und Bayer: Da geht was!
Hinter Barca, Real und United zählen die Bayern zum erweiterten Kreis der Favoriten, das Halbfinale ist ein realistisches Ziel. Die Balance zwischen sicherer Defensive und individueller Extraklasse im Angriff bietet genau das richtige Setup für die Königklasse, die Mission "Endspiel im eigenen Stadion" ein schönes Drehbuch - und vielleicht den einen oder anderen mentalen Zusatzpunkt.
Doch um den zweiten Schritt nicht vor dem ersten zu machen: Die Gruppe der Bayern ist attraktiv und bestimmt kein Selbstläufer. Aber für die Münchner in Topform lautet der Anspruch: Manchester City kann man schlagen, gegen Villarreal und Napoli muss man sich am Ende durchsetzen.
Für Dortmund wird sich der durchwachsene Ligaauftakt kaum auf die Champions League auswirken. Der BVB hat eine emotionale Mannschaft und ein emotionales Stadion - Pluspunkte, die der Meister in den Heimspielen auch einbringen muss.
Und dabei allerdings auch über 90 Minuten stabil und konzentriert bleiben. Nur sechs Partien in der Gruppe, K.o.-Spiele ab dem Achtelfinale, starke Konkurrenz: Die Champions League erlaubt kaum Fehler.
Wie sich ein verschossener Elfer hier oder ein blödes Gegentor in der Schlussphase dort auswirken können, hat Dortmund in der Europa League im letzten Jahr schmerzlich gelernt - und damit hoffentlich genug Lehrgeld bezahlt. Denn in Topform gehört das Gesamtpaket Dortmund wohl zu den zehn besten in Europa. Das Achtelfinale muss also der Anspruch sein, das Viertelfinale ist nicht unmöglich.
Leverkusen ist im Augenblick noch nicht ganz so kompakt und unangenehm zu bespielen wie noch im letzten Jahr, dafür nach vorne etwas unberechenbarer und mit genug Qualität und Erfahrung im Kader, um die Gruppe zu überstehen. Immerhin stimmte die Richtung in den letzten Spielen, Bayer findet sich langsam als Einheit.
Vorausgesetzt, dass auswärts gegen Chelsea keine Überraschung gelingt, werden die folgenden beiden Partien wohl die Schlüsselrolle spielen: Zweimal in Folge zuhause, gegen Genk und Valencia. Mit zwei Heimsiegen kann Bayer den Grundstein fürs Weiterkommen legen. Auch für Leverkusen ist das Achtelfinale realistisch.
Die Favoriten kommen aus Spanien
Sechs der letzten 14 Champions-League-Titel teilen sich Real Madrid und der FC Barcelona. Angeführt von Fernando Hierro, Fernando Redondo und Raul holte Real 1998 und 2000 die Krone der Königsklasse, zwei Jahre schlugen die Galacticos mit Luis Figo und Zinedine Zidane zu.
Seit 2006 ist Barca das Nonplusultra in Europa, keine Mannschaft vereinte zuvor die Genialität des Fußballs mit Titeln so beeindruckend wie die Azulgrana. In der letzten Saison trafen sich beide Teams im Halbfinale, mit Barca kam nach zwei eher hässlichen Spielen die bessere Mannschaft weiter.
Es bedarf keiner gewagten Prognose, das Team von Pep Guardiola erneut zum Topfavoriten der Champions League zu erklären. Guardiola hat mit der Verpflichtung von Cesc Fabregas und Alexis Sanchez die richtigen Reizpunkte gesetzt. Der Kader ist noch besser besetzt als in der vergangenen Saison, zumal mit Thiago Alcantara der nächste Star aus der eigenen Talentschmiede La Masia heranwächst.
Die Superstars Xavi, Andres Iniesta und Lionel Messi sind zudem trotz der Titelflut der letzten Jahre nach eigenen Aussagen noch lange nicht fertig. "Unser Ziel in dieser Saison ist es, Titel zu holen und dabei noch besseren Fußball zu spielen. Wir wissen, dass wir noch besser spielen können", kündigte Xavi an.
Noch nie konnte eine Mannschaft den Titel in der Champions League verteidigen - ein weiterer Reizpunkt für Barca.
Real Madrid wird sich im zweiten Jahr unter Jose Mourinho weiterentwickeln. Der Kader wurde mit Coentrao und Nuri Sahin sinnvoll verstärkt. Mourinho hat auf allen Positionen die Qual der Wahl, auch wenn im Sturmzentrum ein Weltklassestürmer fehlt.
Die Qualität des Kaders reicht aus, um La Decima, den ersehnten zehnten Titel der Landesmeister zu gewinnen. Allerdings müssen einige Real-Spieler wie Marcelo oder Pepe lernen, ihre Nerven in engen Spielen in den Griff zu bekommen.
Teams der Premier League: ManUnited - mehr nicht!
Es ist noch nicht lange her, da war die Endphase der Königsklasse beinahe ein nationaler Wettbewerb. Zwischen 2007 und 2009 standen jeweils drei Teams aus der Premier League im Halbfinale. Die Dominanz aus dem Mutterland des Fußballs nahm in den vergangenen beiden Spielzeiten jedoch ab, nur noch ein Team (Manchester United) schaffte es unter die letzten Vier.
Dieser seichte Abwärtstrend wird auch 2012 anhalten. Sowohl der FC Chelsea als auch der FC Arsenal haben Gruppengegner erwischt, die ein souveränes Weiterkommen wie in den Vorjahren nicht per se garantieren. Die aktuelle Verfassung der sich im Umbruch befindenden Gunners deutet sogar an, dass die alleinige Favoritenrolle in der Gruppe F nicht bei den Londonern liegt. Dortmunds Gruppengegner wird weiterkommen - allerdings nur hauchdünn.
Mit Leverkusen und Valencia sind die beiden Hauptkontrahenten der Blues auf dem Papier zwar stärker als die der Truppe von Arsene Wenger, die ausgeprägte internationale Erfahrung und auch Klasse in Chelseas Kader wird jedoch den entscheidenden Ausschlag geben.
Der seit Jahren erwartete große Wurf bleibt aber erneut aus, das von Besitzer Roman Abramowitsch geschwungene Damoklesschwert "Champions-League-Gewinn" bleibt mehr Hindernis als Motivation.
Manchester City startet zwar als Neuling, die enorme Qualität des Teams wird ein Weiterkommen aber garantieren. Den Citizens ist in der K.o.-Phase eine Überraschung durchaus zuzutrauen.
Bleibt noch Manchester United, das erneut um die Krone mitspielen wird. Die Mannschaft steht seit Jahren für einen nur in Nuancen veränderten, maschinenartigen Ergebnisfußball mit eingespieltem und hochklassigem Personal. Absolut vorstellbar, dass das Finale des Vorjahres diesmal in München seine Neuauflage feiert.
Auch Bayern-Coach Jupp Heynckes hat United übrigens ganz dick auf dem Zettel. "Sie werden stärker sein als in der vergangenen Saison."
Die Italiener: Fragezeichen hinter Inter
Sieben Jahre musste Milan auf den Meistertitel warten, vergangene Saison war es aus Rossoneri-Sicht endlich wieder so weit.
Da sich die Mailänder aber noch mehr über ihre Triumphe in Europa definieren, machten Patron Silvio Berlusconi und Geschäftsführer Adriano Galliani noch in der Scudetto-Nacht klar: Jetzt soll auch wieder in Europa angegriffen werden. Zuletzt war zweimal im Achtelfinale Schluss - zu wenig für die Milan-Ansprüche.
Das Selbstvertrauen ist allemal da: "Ich bin überzeugt davon, dass wir es - Barcelona außen vor - mit allen aufnehmen können, wenn wir vollbesetzt sind. Auch mit Real, die stärker sind als im Vorjahr", sagte Coach Massimiliano Allegri Ende August dem "Corriere dello Sport".
Im Vergleich zum Vorjahr ist Milan auf jeden Fall eingespielter, Coach und Spieler sind nach einem erfolgreichen Jahr sehr gut aufeinander eingestellt.
Mit Philippe Mexes, Taye Taiwo, Alberto Aquilani und Antonio Nocerino hat sich das Team punktuell verstärkt, ohne einen Leistungsträger abzugeben - Andrea Pirlos Klasse steht außer Frage, aber der Mittelfeldspieler, der zu Juve ging, spielte bereits vergangene Saison aufgrund seiner vielen Verletzungen keine große Rolle in Allegris Rotation und Spielsystem.
Das Viertelfinale soll es also mindestens sein, heißt es in Mailand. Ein Umstand erleichtert das schon mal, zumindest auf dem Papier: Sollte Milan die Gruppenphase überstehen, sind sie neben den Spaniern das einzige Team, das im Achtelfinale nicht auf Barcelona treffen kann.
Inter tritt ohne Samuel Eto'o, dafür mit dem neuen Coach Gian Piero Gasperini an. Gasperini lässt gerne mit einer Dreierabwehrkette spielen. Doch die Nerazzurri starten mit einigen Fragezeichen in die Champions-League-Saison.
Offen ist, auf welcher Position Wesley Sneijder zum Einsatz kommt: Gasperini hat ihn zwar im Sommer als zentralen Mittelfeldspieler getestet, sagte aber am Samstag, er sehe ihn eher als Angreifer. Beim Ligaauftakt gegen Palermo saß er zunächst sogar nur auf der Bank.
Wie weit der Niederländer als Außenstürmer dem Inter-Spiel seinen Stempel aufdrücken kann, wird sich zeigen. Außerdem ist Diego Forlan in der Vorrunde nicht spielberechtigt. Deshalb ist Inter unter den europäischen Topteams die größte Wundertüte.
Klar ist aber auch: Um weit zu kommen, muss man ab Februar topfit sein - und bis dahin hat Inter reichlich Zeit, Gasperinis Ideen zu verinnerlichen. Und einen Forlan, der in der K.o.-Runde zur Verfügung stünde, kann jede Mannschaft in den "Alles-oder-Nichts"-Spielen gut gebrauchen.
Sein Champions-League-Debüt feiert der SSC Napoli in der Bayern-"Todesgruppe". Coach Walter Mazzarri freut sich auf die klangvollen Duelle: "Nach 21 Jahren sind wir wieder in der Königsklasse und wir sind stolz auf diese tollen Spiele. Das ist eine harte Gruppe, aber wir können ein Wörtchen mitreden."
Die Mannschaft wird von einem Riesen-Enthusiasmus in der Stadt getragen, die drei CL-Heimspiele werden auf jeden Fall ein großes Fest - und für Bayern, ManCity und Villarreal ein heißer Ritt. In der vergangenen Saison gab es in 25 Heimspielen nur drei Niederlagen.
Eigentlich hat Napoli die Qualität, ins Achtelfinale einzuziehen. In dieser Gruppe gehen Cavani und Co. allerdings als Außenseiter ins Rennen.
Welche Trends sind zu erwarten?
Die Champions League ist der wichtigste Vereinswettbewerb der Welt, hier werden die Standards gesetzt wie sonst nirgendwo. Und bisweilen auch ein neuer Trend entdeckt.
In den letzten beiden Jahren hat sich das 4-2-3-1 im Welt-Fußball etabliert, in Spielfeldbreite und -tiefe sind die Räume hier optimal besetzt, bei Ballbesitz lassen sich am leichtesten die erforderlichen Dreiecke bilden.
Das Problem: Zuletzt gab es kaum eine Weiterentwicklung, fast alle Mannschaften spielen mittlerweile so. Also bewegen sich auch fast alle taktisch auf den selben Pfaden. Einige Mannschaften der Königsklasse haben aber schon einen Plan B in der Tasche. Beim SSC Neapel ist es sogar der Plan A.
Napoli spielt schon seit Jahren in einem 3-4-2-1, die streng praktizierte Dreierkette in der Abwehr wird quasi zum Novum in der Champions League wird. Auch Inter-Coach Gasperini probierte in der Vorbereitung an einer Dreierabwehrkette, ein 3-4-3 mit Sneijder nicht mehr im Mittelfeld - sondern als einem der drei nominellen Angreifer. Die Generalprobe in der Liga ging allerdings gehörig schief.
Auch Barcelona-Coach Guardiola hat neulich im Ligabetrieb mit nur drei Verteidigern spielen lassen. Real Madrid stellt bei eigenem Ballbesitz einen sechsten Spieler ins Mittelfeld ab, Trainer Mourinho spielt dann hinten ebenfalls mit einer klassischen Dreierkette - weil er das passende Personal dafür hat: Pepe, Carvalho und Ramos sind drei gelernte Innenverteidiger.
"Offensiv ausgerichtete Mannschaften werden auch weiter mit einer Viererkette spielen", sagt allerdings Bayern-Trainer Jupp Heynckes auf SPOX-Nachfrage. "Ich denke, dass es in dieser Saison nicht viele Neuerungen geben wird."
Interessant wird trotzdem zu beobachten sein, wie die Innenverteidiger weiter Einfluss auf die Spielgestaltung nehmen werden. Was wird das Gegengift zum "Steil-Klatsch-Spiel" sein mit seinem schnellen Umschalten in die Offensive? Werden Gegenangriffe noch schneller zum Abschluss gebracht oder kommt der Ballbesitz-Fußball ein wenig zurück?
Die Dreierkette könnte in bestimmten Spielsituationen durchaus salonfähig werden, obwohl immer noch die einhellige Meinung herrscht, dass ohne Viererkette heute kein Spiel mehr zu gewinnen ist.
Wer könnte überraschen? Heißes Eisen aus Kroatien...
Der kroatische Titelträger Dinamo Zagreb arbeitet beharrlich daran, an die Erfolge von Ende der 90er Jahre anzuknüpfen, als er zweimal in die Gruppenphase der Champions League einzog.
Nun gelang die Rückkehr - nach sechs nationalen Meisterschaften in Serie endlich der ersehnte nächste Schritt.
Gelenkt von Sportdirektor Zoran Mamic (182 Bundesliga- und Zweitliga-Spiele), hat Zagreb wieder einen Kader, der für Überraschungen gut ist. Die Abwehr ist geschmückt mit international bekannten Routiniers (Simunic, Cufre, Torel), im defensiven Mittelfeld agieren mit Leko und Pokrivac ebenfalls erfahrene Kräfte mit Auslandserfahrung.
In der Offensive setzt Zagreb auf Nationalstürmer Rukavina, Mittelfeld-Denker Milan Badelj (Typ Luka Modric) und zwei Supertalente: Mateo Kovacic ist im Balkan die Sensation und wird von Manchester United, FC Arsenal und dem FC Bayern beobachtet.
Der ebenfalls 17-jährige Dino Spehar ist ähnlich begehrt. Die Gegner in der Champions-League-Gruppe D, Real Madrid, Olympique Lyon und Ajax Amsterdam, sind dennoch besser besetzt - doch Zagreb sollten sie nicht unterschätzen.