"Wir brauchen keinen Spieler von Real"

SID
Ein Finale in der eigenen Arena wäre für Christian Nerlinger die Krönung
© Getty

Seit 2009 ist Christian Nerlinger Bayern Münchens Sportdirektor - zum zweiten Mal steht der Rekordmeister in seiner Amtszeit im Halbfinale der Champions League. Vor dem Rückspiel am Mittwoch (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) bei Real Madrid sprach der 39-Jährige mit der dapd über die Chancen auf den Einzug ins Heimfinale, starke Nerven und Stierhörner.

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Frage: Haben Sie Barcelona zuletzt spielen sehen?

Nerlinger: Ja.

Frage: Sie sind verwundbar, oder?

Nerlinger: Erstmal gehe ich zu 100 Prozent davon aus, dass Barcelona sich durchsetzen wird im Nou Camp. Trotz der Niederlage hat man gesehen, dass Barcelona momentan die Ausnahmemannschaft in der Welt ist. Aber in einem Spiel ist immer viel möglich. Das haben die Partien gegen Chelsea und auch in der Liga gegen Madrid jetzt gezeigt.

Frage: Haben die Siege von Chelsea und Real Bayern zusätzlich motiviert?

Nerlinger: Wir freuen uns jetzt erst mal auf den anderen Giganten, Real Madrid, der auch eine Ausnahmerolle spielt. Es sind eben diese beiden spanischen Mannschaften, die alles überstrahlen. Und wenn man dann gesehen hat, wie wir gespielt haben, ist das umso positiver.

Frage: Bayern hat Madrid zu Hause dominiert. Hatten Sie mit so einem Auftritt gerechnet, vor allem wenn man den eingeschüchterten Auftritt der ersten Halbzeit in Dortmund daneben sieht?

Nerlinger: Die Meisterschaft war weg - und dann kommt diese Spitzenmannschaft, die einen Rekord nach dem anderen bricht. Sich dann so zu präsentieren, war schon beeindruckend für mich. Es ging nicht nur um den kämpferischen Bereich, wir waren auch spielerisch auf Augenhöhe. Das gibt ein gutes Gefühl für das Rückspiel. Das Highlight im Bernabeu-Stadion elektrisiert momentan alle.

Frage: Ist in der Champions League der Hunger zu spüren, der den Bayern in der Meisterschaft unter anderem von Oliver Kahn als fehlend nachgesagt wurde?

Nerlinger: Das ist für mich eine Fehlanalyse. Unsere Mannschaft ist immer hungrig. In jedem Spiel.

Frage: Wie sehr ist es von Vorteil, dass die Liga für die Bayern im Vergleich zu Madrid gelaufen ist?

Nerlinger: Unsere Mannschaft hat bewiesen, dass sie den Dreitages-Rhythmus sehr gut absolvieren kann. Es ist am Mittwochabend so ein Highlight, da können die Spieler auch Reserven freischaufeln. Auch Madrid wird den Clasico gut wegstecken.

Frage: Von Uli Hoeneß und auch von Ihnen wurde die Euphorie immer ein bisschen gebremst. Sagen Sie inzwischen: "Wir wollen diesen Titel haben"?

Nerlinger: Wir wollen uns jetzt gegen Real Madrid durchsetzen. Sie werden im Bernabeu noch aggressiver zu Werke gehen mit der Unterstützung der Fans. Darauf müssen wir vorbereitet sein, das wird ein absolut heißer Tanz, eine große Champions League-Nacht.

Frage: Ist Bayern München psychisch so stark, vor 80.925 Zuschauern im Bernabeu zu bestehen?

Nerlinger: Ich habe da keine Sorgen. Unsere Mannschaft hat gezeigt, dass sie sowohl körperlich als auch spielerisch dagegen halten kann. Wir sind auch immer für ein Tor gut, auch auswärts.

Frage: Sieben Spieler sind vorbelastet. Wie kann man ohne Körpereinsatz gegen Real Madrid gewinnen?

Nerlinger: Das kann man nicht. Man muss da 100 Prozent abrufen. Wir müssen da einfach auch das Quäntchen Glück haben. Ich denke, dass es gerade in dem Wettbewerb - unabhängig von uns - schon wichtig ist, dass die zwei Finalisten in Bestbesetzung auflaufen. Kein Mensch will Barcelona ohne Xavi, Iniesta und Messi sehen. Ich finde, es ist grundsätzlich eine Überlegung wert, diese Kartenregel etwas zu modifizieren.

Frage: Wie im Pokal oder bei der WM?

Nerlinger: Im Pokal ist es so, dass man nach der fünften gelben Karte gesperrt ist - aber es sind nur sechs Spiele bis zum Finale (lacht). Man sollte sich bei der UEFA in der Champions League drüber Gedanken machen, Gelbsperren vor dem Endspiel aufzuheben.

Frage: Bayern gilt bei Real als "Bestia Negra". Sind Sie abergläubisch?

Nerlinger: Nein. Ich sage immer, dass Aberglaube ein Zeichen von Schwäche ist. Man muss sich auf seine Stärken konzentrieren, sich gut vorbereiten - und nicht erst den linken Stutzen und dann den rechten anziehen. Aber jedem das Seine.

Frage: Dann zeigen die Spanier also Schwäche?

Nerlinger: Unsere Spieler haben sich den Respekt von Real Madrid nicht erarbeitet, weil die letzten zehn oder 15 Duelle nicht gewonnen werden konnten, sondern wegen des Auftretens in der gesamten Champions-League-Saison. Das haben alle mitbekommen, wie wir uns präsentiert haben. Bis auf den Ausrutscher in Basel haben wir Fußball auf Topniveau geboten - und das war alles keine Landkundschaft. Das andere sind Geschichten aus der Vergangenheit, die herausgekramt werden.

Frage: Aber gute Geschichten

Nerlinger: Das stimmt, vor allem unser Klaus Augenthaler, der da immer wieder zu sehen ist. Dieses Bild mit den Stierhörnern (lacht). Es ist wunderbar, ich liebe dieses Bild, diese Geschichten. Aber das interessiert unsere Spieler und auch die spanischen eher weniger.

Frage: Ist das für Sie als Manager das wichtigste Spiel?

Nerlinger: Ich hätte damals auch gerne im Bernabeu gegen Inter gewonnen. Aber natürlich ist das jetzt gerade mit dem Hintergrund des Finals in München ein herausragend wichtiges Spiel.

Frage: Auch vor dem Hintergrund, dass die Mannschaft jetzt mehr ihre Handschrift trägt als vor zwei Jahren?

Nerlinger: Es ist schon was anderes, je länger man dabei ist. Ich gebe Ihnen Recht: man wächst natürlich mit einer Mannschaft auch zusammen über die Jahre. Das Gefühl wird dann ein anderes.

Frage: Gibt es jemanden von Real, den Sie gerne im Bayern-Dress sehen würden?

Nerlinger: Ich muss ganz ehrlich sagen: wenn ich die Positionen so durchgehe, sehe ich uns wirklich hervorragend aufgestellt. Die Qualität der ersten Elf ist absolut gleichwertig mit Madrid. Wir brauchen keinen Spieler von Real, wir sind auf Augenhöhe. Und dann spielt die Tagesform eine große Rolle.

Christian Nerlinger im Steckbrief

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