Noch vor wenigen Wochen wusste man als Schalke-Fan gar nicht, worüber was man sich am meisten freuen sollte. Den besten Saisonstart seit 41 Jahren? Den Auswärtssieg beim verhassten und in den letzten Jahren so erfolgreichen BVB? Oder doch den vorzeitigen Einzug ins Achtelfinale der Königsklasse? Sicher war jedenfalls: Die königsblaue Welt war in Ordnung.
Via "Sport-Bild" ließ Aufsichtsratsvorsitzender Clemens Tönnies nach dem Derbysieg verlauten: "Wir haben ganz klar gezeigt, dass wir momentan die Nummer eins im Revier sind." Klaas-Jan Huntelaar stellte glücklich fest: "Wir entwickeln uns zu einer Größe. Diese Mannschaft hat Zukunft."
Nun, fünf Wochen später, ist von der Euphorie nicht viel übrig geblieben. Innerhalb kürzester Zeit rückte der Erfolg des Saisonstarts in den Schatten eines rasanten Leistungseinbruchs. Statt euphorischen Blicken in die Zukunft beherrscht nun Tristesse die Atmosphäre auf Schalke. Nach der jüngsten Negativserie von nur fünf Punkten aus sechs Spielen gibt es Baustellen und Spannungen an jeder Ecke.
Stimmungsbarometer Stevens
Im Zentrum der Konflikte findet sich häufig Trainer Huub Stevens, der mit seiner Laune als Stimmungsbarometer repräsentativ für den kompletten Verein steht. Ungewohnt dünnhäutig und genervt reagierte der Holländer in letzter Zeit auf Journalisten, auch sein mitunter aggressives Verhalten gegenüber Spielern und Fans wirkt nicht souverän.Wie beim 0:2 gegen Leverkusen, als er Jefferson Farfan und Lewis Holtby nach einer lautstarken Auseinandersetzung in die Kabine schickte. Nach dem mageren 1:1 am letzten Spieltag gegen Mönchengladbach bekamen die Anhänger der Königsblauen ihr Fett weg. "Kein Lob" gäbe es "für einen kleinen Teil der Fans", die das Team im vierten sieglosen Spiel in Folge ausgepfiffen hatten.
Auch die eigentlich harmlose Frage nach den Gründen des Torwartwechsels vor dem Gladbachspiel reichte für einen patzige Ansage von Stevens: "Das hab ich doch schon im Fernsehen gesagt. Hörst Du nicht zu? Es gab zuletzt viele Pfiffe gegen Lars. Und wenn ein junger Torwart ausgepfiffen wird, muss der Trainer twas unternehmen. Dabei hat er nicht viele Fehler gemacht."
Problemzone Tor
Was die Mannschaft betrifft, ist diese Torwart-Frage eines der größten Probleme. Nach dem Abgang von Manuel Neuer zum FC Bayern hat man es noch nicht geschafft, eine passende Lösung zwischen den Pfosten zu finden, obwohl mit Ralf Fährmann, Lars Unnerstall und Timo Hildebrand drei potentielle Kandidaten zur Verfügung stehen, die das Zeug dazu hätten, das schwere Erbe im Knappen-Tor antreten zu können.
Doch Fährmann war lange durch einen Kreuzbandriss außer Gefecht und Unnerstall verlor in letzter Zeit aufgrund einiger Patzer den Rückhalt der Fans, Pfiffe waren immer wieder die Konsequenz.
Deshalb entschied sich Huub Stevens vor dem Spiel gegen Gladbach für Timo Hildebrand, doch auch der Routinier kassierte am Samstag ein unglückliches Tor und konnte nicht vollständig überzeugen. Wer in den nächsten Spielen im Schalker Kasten stehen wird, ist weiterhin offen.
Huntelaar und Holtby zögern
Gewiss ist dagegen, dass Klaas-Jan Huntelaar im nächsten Spiel stürmen wird. Auch wenn der niederländische Angreifer mit nur fünf Toren aus 15 Spielen den Erwartungen bisher hinterher hinkt, ist er die unangefochtene Nummer eins im Sturm von S04. Die Frage ist aber: Wie lange noch? Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht der Wechsel des Hunters zu einem beliebigen Topklub prophezeit wird. Momentan gilt Arsenal als heißester Kandidat für eine Verpflichtung.
Dass der 29-Jährige vor seinem wahrscheinlich letzten großen Vertrag mit der Verlängerung zögert, ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen natürlich Futter für die unzähligen Wechselgerüchte um seine Person. Auch die Aussagen von Huntelaars Berater Arnold Oosterveer, der in der "Sun" verriet, Huntelaar habe "Angebote aus England, Italien und Spanien", helfen nicht dabei, auf Schalke Ruhe in die Personalie Huntelaar zu bringen. Doch er ist nicht der einzige Schalker, bei dem es Gerüchte um einen möglichen Abschied gibt. Auch andere Offensivkräfte der Knappen scheinen mit einem Vereinswechsel zu liebäugeln.Zum Beispiel Lewis Holtby, der wie Huntelaar momentan in einem Leistungstief steckt und seine Vertragsverlängerung seit einiger Zeit hinauszögert. Beide wurden deshalb immer wieder mit Pfiffen vom eigenen Publikum bedacht. Der 22-Jährige soll laut "Bild" eine 300-prozentige Gehaltserhöhung gefordert haben und koketiert weiterhin mit einem Wechsel nach England: "Es ist ja bekannt, dass ich für die Premier League schwärme und es mein Traum ist, dort einmal zu spielen."
Ähnlich ungewiss ist die Zukunft von Barcelona-Leihgabe Ibrahim Affelay. Zwar schließt der 26-Jährige einen Verbleib bei Schalke nicht aus, das langfristige Ziel des Mittelfeldspielers scheint aber zu sein, wieder nach Spanien zurückzukehren und sich einen Platz im Starensemble des FC Barcelona zu erkämpfen.
Verlängerung von Stevens auf der Kippe
Es kommt also viel Arbeit auf die Schalker Verantwortlichen um Horst Heldt zu. Dass man um alle Spieler kämpfen wird, ist klar. Doch die Frage ist: zu welchem Preis? Zwar steckt der Klub nicht wie noch vor wenigen Jahren in finanziellen Nöten, doch wird man es sich genau überlegen, ob man von einem Klaas-Jan Huntelaar durch sportliche Erfolge stärker profitiert als bei einem lukrativen Verkauf.
Auch Huub Stevens' Vertrag läuft Ende der Saison aus. Seine Zukunft könnte für die weiteren Verlängerungen noch ein wichtiger Faktor werden. Laut "goal.com" machen manche Spieler ihre Verlängerung vom Verbleib des Trainers abhängig. Angesichts der aktuellen Situation scheint eine Vertragsverlängerung allerdings unwahrscheinlich.
Er würde sich von seinem Gefühl leiten lassen, hatte Stevens einst gesagt. Nach den Unstimmigkeiten mit Spielern, Fans und Vorstand steht seine Zukunft bei Königsblau mehr denn je auf der Kippe. Mit Mike Büskens und Markus Babbel werden bereits die ersten potentiellen Nachfolger gehandelt.
So gar nicht in das momentane Bild passt da das Champions League Spiel gegen Montpellier (Di., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER). Das letzte Gruppenspiel dieser Saison, das die Knappen verletzungsgeschwächt ohne Farfan, Kyriakos Papadopoulos und Affelay angehen müssen, könnte die Stimmung auf Schalke zumindest ein bisschen aufmuntern.
Starkes Abschneiden in der Königsklasse
Denn in der Königsklasse ist die königsblaue Welt noch in Ordnung. In einer Gruppe mit Arsenal, Olympiakos Piräus und dem französischen Meister HSC Montpellier stehen die Schalker vor dem letzten Spieltag auf Platz eins, mit einem Sieg bei den abgeschlagenen Franzosen könnte man einen beeindruckenden Auftritt auf internationalen Parkett, unter anderem mit einem Sieg in London, veredeln und als Gruppensieger ins Achtelfinale einziehen.
Die Schalker haben in der Champions League das geschafft, was sie in der Bundesliga nicht realisieren konnten: Sich auf einem gleichmäßig hohen Niveau zu bewegen.Die fehlende Konstanz und die Diskrepanz und zwischen den mäßigen Auftritten in der Bundesliga und den Galanächten in der Königsklasse sorgen auf Schalke für Unmut. Doch vielleicht würde eine weitere starke Leistung in der Champions League dem Team wieder Selbstvertrauen geben, um in der Bundesliga endlich die Trendwende einzuleiten. Sodass man in wenigen Wochen nur auf einen vorübergehenden Durchhänger und keine langfristige Krise zurückblicken kann. Und sich die Fans nicht entscheiden können, ob man sich über die Vertragsverlängerung von Huub Stevens, Lewis Holtby oder Klaas-Jan Huntelaar am meisten freuen soll.
Die Gruppe von Schalke 04 im Überblick