Gökhan Inler spielt beim SSC Neapel im Mittelfeld eine zentrale Rolle. Vor dem Duell mit Borussia Dortmund (Mi., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) spricht er über besondere Momente im Stadion San Paolo, die Liebe der Fans, sein Interesse am BVB, den neuen Trainer Rafael Benitez und die Schweizer Nationalmannschaft.
SPOX: Herr Inler, wo haben Sie die CL-Auslosung verfolgt?
Gökhan Inler: Ich saß zu Hause auf der Couch vor dem Fernseher. Als Dortmund in unsere Gruppe gezogen wurde, freute ich mich sehr. Es ist doch das Größte, sich mit den Besten zu messen.
SPOX: Es gibt sicherlich leichtere Gegner als Dortmund, Marseille und Arsenal.
Inler: Es ist eine schwierige Gruppe, aber auch attraktiv. Jedes Spiel wird intensiv werden, jeder kann jeden schlagen. Und vor zwei Jahre hatten wir ja auch eine sehr schwere Gruppe...
SPOX: Mit Villarreal, Manchester City und dem FC Bayern...
Inler: Genau. In der Champions League sind aber alle Gruppen schwer. Für uns ist das Ziel weiterzukommen.
SPOX: Zum Auftakt geht es gleich gegen den BVB. Sehen Sie Schwachstellen, die Napoli ausnutzen kann?
Inler: Es ist schwierig, etwas zu einer Schwäche zu sagen, nachher kommt vielleicht alles ganz anders. Ich beobachte den BVB schon seit Jahren, habe mit Udinese auch schon gegen sie gespielt. Sie haben sich in den letzten Jahren mit Jürgen Klopp enorm weiterentwickelt. Er macht einen super Job, vor allem auch mit den jungen Spielern. Dortmund ist spielerisch sehr stark, jung und hungrig, das gefällt mir.
SPOX: Die Napoli-Fans gelten als heißblütig, beinahe fanatisch. Macht Ihnen diese Liebe im Alltag manchmal zu schaffen?
Inler: Es ist schon interessant und ganz anders als in Udinese oder in der Schweiz. Man ist in Neapel ein Idol, ein Star für die Leute. Sie kennen jede deiner Bewegungen. Da ist es egal ob man mit Kappe oder mit Brille rausgeht.
SPOX: Sie können also nicht in Ruhe einkaufen?
Inler: Shoppen geht schon, wenn man es gut organisiert (lacht). Aber ich war seit zwei Jahren nicht mehr Lebensmittel einkaufen...
SPOX: Seit zwei Jahren?
Inler: Ich lebe lieber etwas zurückgezogen. Andere machen das vielleicht anders. Ich habe meine Freundin, die das zum Glück für mich macht.
SPOX: Was macht für Sie das Besondere am Leben in Neapel aus?
Inler: Seit ich klein bin, liebe ich Fußball. Ich bin hier in eine Stadt gekommen, die den Fußball heiß und innig liebt. Die Menschen machen die Stadt zu etwas Besonderem, sie leben für den Fußball. Fans wie in Neapel gibt es auf der Welt selten. Das werden die Leute aus Dortmund erleben. Schauen Sie einmal, wenn die Hymne der Champions League erklingt, auf die Napoli-Fans. Das ist einmalig. So etwas habe ich noch bei keinem anderen Verein gehört. Als Spieler gibt einem das einen riesigen Schub.
SPOX: In Neapel hat sich sportlich einiges getan. Der Wechsel von Edinson Cavani, Rafael Benitez als neuer Trainer, die Abkehr von der Dreierkette... Fällt einem die Umstellung als Spieler schwer?
Inler: Nein, überhaupt nicht. In der Schweizer Nationalmannschaft spielen wir ja auch im 4-2-3-1, deswegen war das für mich taktisch kein Problem. Aber es dauert natürlich eine Weile, bis alle integriert sind und die Automatismen funktionieren.
SPOX: Trotzdem stehen sie nach drei Spieltagen mit neunPunkten an der Spitze der Serie A. Was macht denn Benitez gravierend anders als Walter Mazzarri?
Inler: Wir wollen das Spiel mehr kontrollieren und mehr in Ballbesitz sein, das ist wohl der größte Unterschied.
SPOX: Unter Mazzarri hat Napoli sehr offensiv gespielt, Benitez legt mehr Wert auf eine geordnete Defensive, der Umstellungsprozess wird noch einige Zeit dauern. Kommt Dortmund vielleicht etwas zu früh, der BVB ist ja sehr stark im Umschaltspiel?
Inler: Wir auch (lacht). Aber das stimmt schon, Benitez legt sehr viel Wert auf Ordnung. Dortmund ist da ganz ähnlich. Ich denke, wenn die Systeme ähnlich sind, werden die Zweikämpfe entscheiden. Die Zuschauer können sich auf ein intensives Spiel freuen.
SPOX: Mit vielen Toren?
Inler: Es muss natürlich trotzdem alles geordnet sein. Wenn du drei Tore bekommst und vier machst, ist das schon okay. Aber du hast eben trotzdem drei bekommen.
SPOX: Für Benitez sicher ein Graus?
Inler: Absolut! Man muss die Balance zwischen Offensive und Defensive finden.
SPOX: Benitez hat bereits mit mehreren Teams Titel gewonnen, die nicht unbedingt zum engeren Favoritenkreis gehörten, ich erinnere da besonders an Liverpool in der Champions League 2005. Ist er vielleicht genau der richtige Trainer für Neapel?
Inler: Er macht das sehr gut. Benitez kommuniziert sehr viel mit den Spielern. Alle sind beteiligt, er zeigt jedem, dass er wichtig ist. Aber auch den Leuten um das Team herum wie Physios oder Assistenten... Er ist ein guter Organisator. Ich finde das sehr positiv.
SPOX: Was erwartet Benitez von Ihnen?
Inler: Ich bin in der Mannschaft eine zentrale Figur, muss der Mannschaft Stabilität geben. Wir sprechen über kleine Details im technischen und taktischen Bereich, das imponiert mir.
SPOX: Steven Gerrard sagte einst über Benitez, er habe noch nie einen Trainer gehabt, der so viel über Taktik weiß wie Benitez.
Inler: Das stimmt, das kann ich nur bestätigen und er kann es auch vermitteln. Er erklärt die Dinge fußballerisch sehr einfach.
SPOX: Er spricht die Sprache der Spieler?
Inler: Genau. Er hat auch einen genauen Plan, wie sich jeder Spieler weiterentwickeln soll. Die Resultate sprechen für sich.
Seite 2: Inler über den Scudetto, Shaqiri und die Schweizer Nationalmannschaft
SPOX: Neapel hat ähnlich wie Dortmund eine sehr rasante Entwicklung genommen. Müssen Sie die Euphorie im Umfeld manchmal bremsen? Die Fans sprechen jetzt schon vom Scudetto.
Inler: Wir müssen mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben und von Spiel zu Spiel schauen. Im Fußball können sich die Dinge schnell ändern und die Saison läuft ja erst einen Monat. Es geht nur mit harter Arbeit.
SPOX: Sie sind bereits seit 2007 in Italien. Was macht den Reiz der italienischen Liga aus?
Inler: Die Liga ist sehr ausgeglichen, das macht es so spannend. Mir gefällt es sehr gut in Italien.
SPOX: Die italienische Liga ist nicht mehr so stark wie früher. Kommt jetzt mit Stars wie Gomez oder Higuain der Aufschwung?
Inler: Ich bin da anderer Meinung. Jede europäische Mannschaft weiß, dass es gegen italienische Gegner schwierig ist. Dass sich so hervorragende Spieler wie Gomez und Higuain für Italien entschieden haben, erhöht natürlich die Attraktivität des italienischen Fussballs.
SPOX: Sie waren vor der Saison 2012 auch beim FC Bayern im Gespräch. Sie scheinen in den Champions-League-Spielen Eindruck hinterlassen zu haben. Ehrt Sie das Interesse?
Inler: Natürlich. Bayern ist ein sehr großer Verein und eine super Adresse. Aber das ist Vergangenheit und ich konzentriere mich zu 100 Prozent auf Napoli, ich will hier Großes erreichen.
SPOX: Mit Xherdan Shaqiri spielt ein Nati-Kollege von Ihnen in München. Gefällt es ihm in München? Was hat er Ihnen verraten?
Inler: Ja, es gefällt ihm sehr gut.
SPOX: Sollte er mehr spielen?
Inler: Das tut er ja im Moment. Er ist ein sehr wichtiger Spieler, der auch wenn er eingewechselt wird, immer etwas bewegen kann. Er ist aber noch sehr jung und braucht Geduld. Der Wechsel zum FC Bayern war ein sehr großer Schritt. Aber er ist ein sehr selbstbewusster, talentierter Spieler und er wird das schaffen. Ich traue ihm das zu.
SPOX: Apropos Nationalmannschaft, Sie haben sich in den letzten zwei Jahren unheimlich stabilisiert. Was hat sich verändert?
Inler: Nach der WM 2010 in Südafrika hat unter Trainer Ottmar Hitzfeld eine neue Ära begonnen. Verdienstvolle Spieler wie Streller, Frei, Huggel und Yakin sind zurückgetreten. Viele junge Spieler schafften den Sprung ins A-Team.
SPOX: Hitzfeld hat sie auch zum Kapitän gemacht.
Inler: Das war etwas, das mich sehr stolz gemacht hat. Die Zeit unter Hitzfeld ist sehr positiv, wir haben ein gutes Verhältnis und sprechen sehr viel. Und bei den Nationalmannschaftsterminen versuche ich auch, den Teamgeist zu fördern.
SPOX: Geben Sie uns ein Beispiel?
Inler: Zusammen essen oder Kegeln. Einfach etwas zusammen unternehmen, sodass wir als Team zusammenwachsen. Es ist wichtig, dass wir gemeinsam auch einmal Spaß haben, ohne dass der Fußball im Vordergrund steht. Wie ich das Team führe, wird auch von Hitzfeld geschätzt.
SPOX: In der WM-Qualifikation gab es aber einen kleinen Schandfleck. Gegen Island haben sie 4:1 geführt und gingen am Ende mit 4:4 vom Platz. Sie selbst waren gelbgesperrt. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Inler: Es war natürlich sehr schwierig für mich, der Mannschaft nicht helfen zu können. Als es 4:1 stand, habe ich mir gedacht, wir haben das Ding im Sack. Wir haben dann völlig die Stabilität verloren. Für mich war es ein Schock, wie für für meine Teamkollegen auch. Das passiert ja nicht oft. Übrigens: Deutschland ist dies gegen Schweden auch passiert, nach einer 4:0-Führung. So ist Fußball.
SPOX: Sie und Diego Benaglio haben nach dem Spiel eine Spielersitzung einberufen und dort auch das Wort ergriffen. Wie haben Sie die Mannschaft angepackt?
Inler: Wir haben über positive Dinge gesprochen, nichts Negatives. Jeder konnte sich äußern. Wir haben eine junge Mannschaft, die in den letzten Jahren sehr viel geleistet hat, das darf man nicht vergessen. Das Gespräch war sehr wichtig, um uns klarzumachen, dass es noch drei sehr wichtige Spiele gibt. Der 2:0-Sieg in Norwegen zeigte, dass es gewirkt hat.
SPOX: Ihnen wird von Journalisten und Kollegen eine hohe Sozialkompetenz bescheinigt. Liegt darin für Sie das Geheimnis, eine Mannschaft als Kapitän zu führen?
Inler: Das denke ich schon. Es ist sehr wichtig, den richtigen Ton zu finden. Ich bin kein Lautsprecher. Es gilt, die positiven Dinge im Dialog hervorzuheben, die Stärken zu stärken, verstehen Sie? Das ist meine Philosophie. Jeder Spieler weiß selbst, wenn er etwas schlecht gemacht hat. Ich muss Ihn wieder stark machen. Die Mannschaft muss "gesund" sein, das erreicht man durch positives Denken. Nur so kann man gemeinsam erfolgreich sein.
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