Sebastian Kehl ist mit 33 Jahren der älteste Spieler im Kader von Borussia Dortmund. Der derzeit verletzte Kapitän des BVB spricht vor dem Champions-League-Auswärtsspiel beim FC Arsenal (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) im Interview über die Selbständigkeit der heutigen Spielergeneration, die Vorteile eines Medientrainings und die Monotonie im Leben eines Fußballprofis.
SPOX: Herr Kehl, Sie haben kürzlich die Geschichte erzählt, dass Sie bei der Hochzeit von Bernd Korzynietz zusammen mit Ihrem Kumpel Christoph Metzelder als Messdiener aufgetreten sind. Wie hat er denn darauf reagiert?
Sebastian Kehl: Er hat sich trotz des Überraschungseffekts gefreut. Es war ein toller Tag, auch durch die Tatsache, dass ich als ehemaliger Messdiener mal wieder dieser Aufgabe nachgehen konnte. Da sich Christoph und ich noch nicht dazu entschieden haben zu heiraten, gab es für Bernd auch noch keine Revanchemöglichkeit. Das Ganze liegt jetzt auch schon Jahre zurück, vielleicht kommt ja aber noch was.
SPOX: Jahre zurück liegt auch Ihr Wechsel als 21-Jähriger zu Borussia Dortmund. Mittlerweile sind Sie der älteste Spieler beim BVB und gelten gerade angesichts der Ansammlung vieler deutlich jüngerer Spieler als eine Art Vaterfigur. Kommt diese Rolle automatisch mit dem Alter oder "arbeitet" man auch irgendwie unterbewusst daran?
Kehl: Das glaube ich weniger, sonst würde man sich wohl auch ein wenig verstellen, was ich bei mir nicht feststellen konnte. Man wächst sowohl als Mensch, als auch als Fußballer einfach mit den Jahren und wird reifer sowie erfahrener. So kommt man in die Lage, gewisse Dinge an jüngere Spieler weitergeben zu können - wenn sie sie denn annehmen wollen. Ich finde, das entwickelt sich auf natürliche Art und Weise mit der Zeit.
SPOX: Hätten Sie früher von sich gedacht, dass es Ihnen gelingen wird, diese Rolle auch anzunehmen?
Kehl: Vor zehn Jahren habe ich mich damit nicht intensiv beschäftigt. (lacht) Insgesamt würde ich von mir behaupten, dass ich mich schon immer mit Themen auseinandergesetzt habe, die um die Mannschaft herum passieren und sozusagen das große Ganze betreffen. Ich war nie ein ichbezogener Spieler. Das spiegelt sich auch ein bisschen in der Position wider. Als Mittelfeldakteur muss man sehr viel organisieren, dirigieren und mitdenken. Das sind in meinen Augen Charaktereigenschaften, die mich sowohl auf als auch außerhalb des Platzes auszeichnen.
SPOX: Wie sind Sie damals erfahrenen Führungsspielern begegnet: Haben Sie erst einmal überlegt, ob man die Kollegen überhaupt einfach so ansprechen darf?
Kehl: Das Verhältnis Alt zu Jung hat sich über die Jahre schon deutlich gewandelt, hier beim BVB in den letzten Jahren erst recht. Früher war es für junge Spieler sicherlich schwieriger, sich innerhalb einer gestandenen Mannschaft zu integrieren. Die Aufmerksamkeit für und der Redeteil von einem jungen Spieler waren viel geringer als heute.
SPOX: Wie sieht es im Vergleich dazu jetzt aus?
Kehl: Mittlerweile hat sich die Struktur einer Fußballmannschaft verändert. Die jungen Spieler waren früher klar in der Unterzahl, nun ist es umgekehrt. Heute werden sie einerseits in ihren Jahrgängen aufgefangen, andererseits bekommen sie Halt und Ratschläge durch die Älteren. Diese Mischung halte ich für sehr gut und sie ist hier bei der Borussia auch verantwortlich dafür, dass sich die Jüngeren innerhalb des Mannschaftsgefüges so wohlfühlen. Ich persönlich habe in beiden Phasen dazulernen können und meine, dass sich die eine auch nicht von der anderen abhebt.
SPOX: Wie sehr hat sich das Selbstbewusstsein junger Spieler über die Jahre verändert?
Kehl: Das ist zweifelsohne gewachsen. Auch, weil sich die Spieler mittlerweile viel früher behaupten müssen und schneller ins kalte Wasser geworfen werden. Demnach nehmen sie auch innerhalb der Kabine und bei der Ansprache eine andere Position ein, die die heutige Generation sicherlich auch etwas prägt. Ich bin dennoch auch jetzt noch ein Verfechter davon, erst einmal Leistung auf dem Platz sprechen zu lassen und dann den Mund aufzumachen - und nicht andersrum. Früher als 21- oder 22-Jähriger hätte ich mich gegenüber den älteren Spielern beispielsweise nicht getraut, meine Musik einzulegen. Damals musste man noch eher stillsitzen, weil alles noch stark hierarchiegeprägt und der Respektgedanke ein anderer war.
SPOX: Heutzutage bedient auch fast jeder Spieler die sozialen Medien zur eigenen Vermarktung und um den Kontakt zu den Fans zu pflegen. Sie ja auch. Wie entgegenkommend war es, dass Facebook und Co. zu Ihrer Anfangszeit noch gar nicht existierten?
Kehl: Ich habe mir als junger Spieler auch eine Internetseite gegönnt, das war ebenfalls eine Form von Community. Damals konnte man noch nicht innerhalb von Sekunden ein Bild von sich ins Internet stellen, auf das die Medien dann uneingeschränkten Zugriff haben. Die Art und Weise, in der sich die Spieler nun tagtäglich zeigen und öffnen, ist eine andere geworden. Jeder muss das für sich selbst entscheiden. Die Spieler haben mit diesen Portalen die Möglichkeit, den Bekanntheitsgrad oder das eigene Image zu steuern. Solange man keinen Blödsinn damit betreibt, kann das auch sehr hilfreich sein, so dass ich das grundsätzlich keineswegs als kritisch betrachte - wenn man sich diesen Begebenheiten einfach sinnvoll anpasst.
SPOX: Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich die Spieler in den sozialen Netzwerken etwas offener geben als vor der Kamera. Wie sehr muss sich grundsätzlich ein Fußballer verstellen, um sich ungefährdet in der Öffentlichkeit bewegen zu können?
Kehl: Man sollte einen Spieler auf keinen Fall nur daran messen, wie er sich direkt nach einer intensiven Partie äußert. Es wird dann ja auch nicht unklug vonseiten der Journalisten gelockt. Man entwickelt im Laufe der Zeit natürlich eine gewisse Strategie, wie man mit solchen Situationen umgeht und den Ball zurückspielt. Das sind Dinge, die man auch erlernen kann. Ich bin ein Freund von Medientraining, gerade für Spieler, die sich in diesem Bereich etwas schwerer tun und fortbilden wollen. Insgesamt gesehen weiß aber eigentlich jeder, was er tun kann und wo man lieber die Klappe zu halten hat (lacht).
SPOX: Stichwort Medientraining: Inwiefern gefährdet eine solche Maßnahme - auch wenn sie durchaus sinnvoll sein kann - die Eigenständigkeit gerade der jungen Profis?
Kehl: Es geht nicht darum, dass man sich verbiegen lässt, sondern vielmehr eine sinnvolle Strategie an den Tag legt. Medientraining ist deshalb nicht kritisch zu bewerten, sondern kann eine Hilfe sein, über die letztlich auch jeder selbst entscheiden sollte. Sehen Sie: Rutscht einem einmal ein Satz raus, der nicht unbedingt zum Thema passt, hat man natürlich schnell einen Stempel weg, der in der Öffentlichkeit umgehend breitgetreten wird. Ich will das allerdings nicht so darstellen, dass Spieler nur noch Phrasen in den Mund gelegt bekommen sollten. Wir brauchen weiterhin wie bisher Typen, auch bei den jungen Spielern.
Seite 2: Kehl über das wahre Ich und die Monotonie im Leben eines Profis
SPOX: Wie viel seines wahren Ichs steckt in einem Fußballer, der vor der Kamera über das letzte Spiel spricht?
Kehl: Das hängt immer von der Situation und auch dem Thema ab. Wenn ich vier Tore geschossen habe und im Anschluss eher flapsig angesprochen werde, kann man auch viel leichter mal mit einem Spruch antworten. Fühlt man sich nach einer Roten Karte benachteiligt und wird dazu befragt, offenbart man wohl eher nicht das wahre Ich. Natürlich ist man ein Stück weit lockerer und damit natürlicher, wenn die Kamera nicht draufhält und man sich innerhalb eines Freundes- oder Bekanntenkreises bewegt, von dem man nicht bewertet wird, weil jeder weiß, wie man tickt. Man versucht natürlich, diese Lockerheit auch in der Öffentlichkeit so gut es geht zu bewahren. Dass das vielleicht nicht jedem gelingen mag, halte ich aber für allzu menschlich.
SPOX: Sie sind mit 33 Jahren nun in einem Alter, das in der Regel nicht mehr weit vom Karriereende entfernt ist. Während der aktiven Zeit als Fußballer durchlebt man relativ monotone Abläufe, die aber auch eine gewisse Struktur in das Leben bringen können. Wie gefährlich kann das für die "Zeit danach" sein?
Kehl: Man ist als Fußballer in der Tat ziemlich durchgetaktet und strukturiert, so dass man innerhalb des beruflichen Bereichs wenig selbst organisieren muss. Wenn man sich bewusst dafür entscheidet, sein Leben noch eigenständiger zu gestalten oder vielleicht bereits Familie hat, beginnt sich das in der Regel im privaten Bereich schon während der Karriere zu verändern. Es ist ein Reifeprozess, sich diese Selbstorganisation zu erlernen. Endet die Karriere, hängt es natürlich auch davon ab, wie man vor diesem Zeitpunkt damit umgegangen ist. Habe ich mich bereits während meiner aktiven Zeit damit beschäftigt, dass es zu Ende gehen könnte und sich dann manche Dinge verändern?
SPOX: Welche Dinge meinen Sie genau?
Kehl: Es kommen Abläufe auf die Tagesordnung, die eigentlich ganz normal sind, aber einem aktiven Fußballer zu einem Großteil abgenommen werden. Ein Arzttermin wird beispielsweise nicht mehr vom Physiotherapeuten vereinbart, sondern man muss selbst den Hörer in die Hand nehmen und das in Eigenregie regeln. Deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass einige Probleme bekommen könnten, sich im "normalen" Alltag zu Recht zu finden und sich dann nach dieser Struktur sehnen - erst recht, wenn das Karriereende abrupt kommen sollte.
SPOX: Könnten manche durch die vorgegebene Struktur in die Gefahr geraten, auf längere Sicht zu unselbständig zu werden?
Kehl: Ich bin der Meinung, dass man das nicht pauschal beantworten kann. Es wird auf die Charaktereigenschaften jedes Einzelnen ankommen und ist gewissermaßen auch eine Erziehungsfrage.
SPOX: Sehen Sie für sich persönlich eine Gefahr?
Kehl: Nein, ich halte das nicht für problematisch, da ich zu einer relativ großen Eigenständigkeit erzogen worden bin. Ich komme aus einem Hotelgewerbe und habe dort gelernt, wie schwer es ist, sich einen vernünftigen Lebensunterhalt zu erarbeiten. Mittlerweile bin ich Vater von zwei Kindern, beschäftige mich mit vielfältigen Themen und treffe Menschen, die in unterschiedlichen Bereichen und nicht nur dem Fußball zu Hause sind. Das bereichert mein Leben, weil ich es zusätzlich zu meiner eigenen Sichtweise auf eine ganz andere Art und Weise kennenlernen kann. Trotz der exponierten Gehaltsstruktur und des Aufenthalts innerhalb des Fußballgeschäfts behalte ich so meinen ganz normalen Blick auf das Leben.
SPOX: Haben Sie bislang irgendwelche Maßnahmen ergriffen, was die Zeit nach der Karriere angeht?
Kehl: Ich beschäftige mich mit mehreren Themen, die ich aber derzeit nicht unbedingt kommunizieren möchte. Ich versuche, nicht blauäugig gen Karriereende zu steuern und mich darauf vorzubereiten. Wer das nicht tut, hat ein Stück weit verpasst, diese Chance zu nutzen.
Seite 1: Kehl über Führungsqualitäten und das Selbstbewusstsein der Jungen