"Für die Engländer ist Fußball Krieg und Engländer können sich nicht vorstellen, ohne General in die Schlacht zu ziehen. Für die Franzosen ist Fußball eher eine Form des kollektiven Ausdrucks."
So sprach Arsene Wenger vor etwa zweieinhalb Jahren. Das gleich hätte er aber auch vor neun Monaten oder sechs Jahren sagen können.
Kürzlich feierte Wenger sein 17-jähriges Dienstjubiläum beim FC Arsenal. Seine Amtszeit lässt sich grob in zwei Hälften unterteilen. In der ersten holte er mit den Gunners einen Titel nach dem anderen, in der zweiten überhaupt nichts.
Erinnerungen an Adams und Vieira
Im Mai 2005 endete Arsenals und Wengers Erfolgsserie mit dem Gewinn des FA Cup - und seitdem ist eine Debatte steter Begleiter des Klubs aus dem Norden Londons und seines elsässischen Trainers: Das Zauberwort heißt Leadership.
Der Grund für Arsenals Erfolgslosigkeit sei ganz einfach, so die landläufige Meinung auf der Insel: Dem Team fehle der Führungsspieler, ein richtiger Captain, ein Chef auf dem Platz, einer wie Tony Adams oder Patrick Vieira, um die beiden Lichtgestalten zu nennen, die zwischen 1987 und 2005 die Kapitänsbinde bei den Gunners trugen und ob ihrer markanten und respektgebietenden Ausstrahlung nicht nur bei der Konkurrenz gefürchtet waren.
Das Kollektiv steht im Vordergrund
Schuld an diesem Vakuum auf der Kommandobrücke ist natürlich der Manager, also Arsene Wenger.
Für den 64-Jährigen ist die Leadership-Debatte ein leidiges Thema, da sie seiner Ansicht nach auf einem kulturellen Missverständnis fußt, wie das Zitat eingangs zeigt.
Wengers Verständnis vom Funktionieren einer Mannschaft ist ein ganz anderes. Er setzt aufs Kollektiv, auf die Verteilung von Verantwortlichkeiten auf viele Schultern und ganzheitliche Lösungsansätze.
"Ich möchte nur daran erinnern, dass wir in der Champions League auch mit Vieira, Adams und allen anderen verloren haben", sagte er einmal, als ausgerechnet die früheren Arsenal-Heroen Vieira und Dennis Bergkamp mit der Leader-Leier an die Öffentlichkeit gingen.
Wengers Sturheit
Als am letzten Tag der Transferperiode dieses Sommers klar war, dass Arsenal auf den letzten Drücker Mesut Özil verpflichtet hatte und Manchester United Marouane Fellaini, standen die Kritiker gleich parat und fragten spitz: Wäre es nicht schlauer für die beteiligten Klubs gewesen, den jeweils anderen Spieler zu verpflichten?
Doch Wenger wollte Özil, auch wenn der anders vielleicht als der kampfstarke und baumlange Fellaini nicht im Verdacht steht, auch nur geringfügig die landläufigen Anforderungen an einen Leader zu erfüllen.
Aber Özil passt perfekt ins Arsenal-Schema und daran hält Wenger fest. Seine Sturheit wird ihm oft vorgeworfen: sein beharrliches Verteufeln des Finanzgebarens der Big Spender wie Chelsea oder Manchester City. Sein unerschütterliches Vertrauen in die Jugend. Sein Festhalten an Spielern, die sich mit langwierigen Verletzungen plagen oder vermeintlich ihren Zenit überschritten haben.
Aber diese Sturheit scheint nun Früchte zu tragen und den Professor aus der Reserve zu locken.
Özil, Ramsey, Wilshere...
Der Transfer von Mesut Özil war schon mal ein Statement: Seht her, Arsenal kann sehr wohl einen Spieler der A-Kategorie ins Emirates locken - und: Arsenal kann auch mal einen Batzen Geld in Manchester-City-, Chelsea- oder ManUnited-Dimensionen locker machen. 50 Millionen Euro legte man für Özil auf den Tisch.
Und Özil erfüllt die Erwartungen bisher vollauf, auch wenn seine Leistungen noch schwankend sind. Ein Phänomen, das bei Premier-League-Novizen egal welcher Kategorie im Übrigen nichts Neues ist.
Dann wären da Aaron Ramsey und Jack Wilshere, die sich zu Klassespielern entwickelt haben. Mit dem erst 18-jährigen Deutschen Serge Gnabry steht schon der nächste Youngster vor dem Durchbruch.
Spieler wie Per Mertesacker, Laurent Koscielny, Santi Cazorla und vor allem Olivier Giroud haben ebenfalls einen Schritt nach vorn gemacht.
Erst Dortmund, dann United
Der Lohn sind die Tabellenführung in der Premier League und fünf Punkte Vorsprung auf Verfolger Chelsea.
Anhänger der Leadership-Theorie werden freilich sagen: Im November hat noch niemand die Ernte eingefahren und Arsenal hat mit den Pleiten im Liga-Cup gegen Chelsea und in der Champions League gegen Dortmund alte Schwächen offenbart.
Diese Zweifel nun auszuräumen, ist Aufgabe der Gunners in den kommenden Tagen und Wochen. Mit dem überzeugenden 2:0 gegen Liverpool ist der Auftakt geglückt. Es folgen der Clash in Dortmund in der Champions League und das Gastspiel bei Manchester United in der Liga.
Hunderprozentiges Vertrauen
Wenger ist nicht bange: "Ich bin sehr entspannt, weil ich das hundertprozentige Vertrauen habe, dass wir mit dieser Phase gut zurecht kommen werden. Ich sehe diese Spiele als Gelegenheit an zu zeigen, wie stark wir sind. Ich bin absolut sicher, dass die Spieler bereit für diese Herausforderungen sind."
Arsenal scheint tatsächlich reifer, stärker und belastbarer zu sein als in den vergangen Jahren, muss aber den endgültigen Beweis noch liefern, wieder das Zeug für einen Titel zu haben und die leidige Leadership-Debatte zu beenden. Wenger wäre sicherlich dankbar.
Alle CL-Gruppen im Überblick