Als Jens Keller beim FC Schalke die Profimannschaft übernahm, war er eigentlich fast auch schon wieder weg. Kurz vor Weihnachten rutschte der Trainer der U-17-Junioren gleich drei Stufen höher, gerechnet hatten damit wohl die wenigsten.
Es war mal wieder unruhig auf Schalke. Huub Stevens konnte auch die Wahl zum Jahrhunderttrainer nicht mehr vor dem Rauswurf retten, die Mannschaft war nach einem 1:3 zu Hause gegen den SC Freiburg von Platz zwei bis auf Position sieben durchgereicht worden, das Minimalziel Champions-League-Qualifikation in ernsthafter Gefahr.
Schalkes Verantwortliche nahmen keine Rücksicht darauf, dass Keller bei seinem ersten und gleichzeitig auch letzten Spiel vor der Winterpause in eine Partie mit finalem Charakter musste. Das Pokalspiel gegen Mainz ging in der Arena dann auch prompt 1:2 verloren. Und Jens Keller bekam einen ersten Vorgeschmack auf das, was da noch kommen sollte.
Immer wieder brenzlige Situationen
Seit knapp einem Jahr erlebt Keller nun den ganz normalen Wahnsinn auf Schalke, das ewige Auf und Ab. Er hat seinen Auftrag erfüllt und Königsblau in die Königsklasse geführt. Er hat ein Derby gewonnen in der letzten Saison und vor wenigen Tagen eines verloren. Er hat die Mannschaft für sich und seine Ideen gewinnen können. Aber nicht gewisse Teile der Medien und der Fans.
Manchmal begann es schon brenzlig für ihn zu werden. Erst nach dem 1:3 im Heimspiel gegen Dortmund sah sich Klub-Boss Clemens Tönnies zum wiederholten Mal genötigt, auf die Frage nach Kellers Zukunft zu antworten.
"Wir werden ihm die nötige Zeit geben. Er sitzt weiterhin fest im Sattel", erwiderte Tönnies auf die bohrenden Nachfragen und versuchte, den Druck auch auf andere im Klub zu verteilen. "Unabhängig vom Trainer ist jedem klar, dass wir jetzt dauerhaft positive Ergebnisse brauchen. Dann können wir unsere Ziele in dieser Saison auch erreichen. Wir müssen jetzt aufhören zu philosophieren. Die Spieler müssen kämpfen und alles geben - alle."
Platz vier Minimal- und Maximalziel?
Der Sieg vom Wochenende in Berlin, gegen einen gemäß offizieller Lesart direkten Konkurrenten um Platz vier der Tabelle, war nicht der erste wichtige, den Keller mit seiner Mannschaft in einer angespannten Lage verzeichnen konnte.
Die Playoff-Spiele gegen Saloniki wurden für Keller zu zwei glatten Endspielen. Ein Scheitern wäre fatal gewesen. "Ich bange nicht um meinen Job, das interessiert mich nicht. Ich kann meinen Job nur gewissenhaft ausführen", sagte Keller in diesen Tagen. Da war die Saison gerade mal drei Wochen alt, der Argwohn ihm gegenüber hatte aber schon Routine.
Die Parameter, die ihn in seine erste "richtige", weil vollständige Saison als Cheftrainer des FC Schalke begleiten, sollte er sich besser nicht jeden Tag aufs Neue vor Augen führen. Zum folkloristisch veranlagten Grundschwingen rund um Schalke und seiner Nachfolge auf den Jahrhunderttrainer gesellten sich große Verletzungssorgen und eine unverschämt starke Konkurrenz.
Wenn der FC Schalke früher irgendwann mal noch verschämt auf Platz eins schielen konnte - und das ist gar nicht zu lange her - bleibt in dieser Spielzeit mit einigem Wohlwollen der Kampf um Platz drei. Nüchtern betrachtet sollte sich der Klub aber damit abfinden, dass neben den Bayern und Borussia Dortmund auch Bayer Leverkusen auf Sicht zu stark sein dürfte. Was wiederum bedeutet, dass von den begehrten Plätzen nur noch einer zu vergeben wäre.
Das Minimalziel erscheint zugleich auch das höchste noch erreichbare Ziel zu sein. Das macht die Sache schwierig. Und wenn dann noch die Konkurrenz aus Gladbach oder Wolfsburg so langsam ins Rollen kommt und mächtig Druck macht, spitzt sich die Lage weiter zu.
Oft die Kurve gekriegt
Dem Trainer Keller wird seine stoische Art zwischen den Spielen gerne unter die Nase gerieben. Wer ihn während der 90 Minuten schon hat leiden sehen, kann sich in etwa ausmalen, wie eine Niederlage die darauffolgende Woche bestimmt.
Manchmal hatte man das Gefühl, Keller hangle sich von Pflichtspiel zu Pflichtspiel. Seine extrovertierte Emotionalität nach wichtigen Siegen gibt da einiges preis.
Dabei hat er in den Phasen, als es gefährlich hätte werden können, bisher immer die gewünschten Ergebnisse geliefert. Auch das ist eine Stärke. Jens Keller hat mit seiner Mannschaft immer irgendwie noch die Kurve bekommen.
Nach dem Stotterstart in die abgelaufene Rückrunde, nach dem CL-Aus gegen Galatasaray, beim "Endspiel" in Freiburg am letzten Spieltag, in den Champions-League-Playoffs, nach dem schlechten Start in die laufende Saison und jetzt nach zwei deftigen Niederlagen gegen Chelsea und den BVB mit dem Sieg in Berlin.
Etwas freigeschwommen auf Schalke
Wobei dieser noch zu bestätigen wäre, am Mittwoch beim Auswärtsauftritt gegen den FC Chelsea in der Königsklasse (Mi., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Eine weitere Niederlage und ein Sieg des FC Basel gegen die abgeschlagene Truppe von Steaua Bukarest und Schalke wäre in der Gruppe nur noch Dritter. Kein unrealistisches Szenario. Aber auch dann würde bei Jens Keller nicht die nackte Panik ausbrechen.
Dafür kennt er seine Mannschaft mittlerweile zu gut und sie auch ihn. Harte Gefechte hatte er mit dem einen oder anderen zu bestreiten. Er hat sich durchgesetzt und genießt innerhalb der Mannschaft auch ein gutes Ansehen. Natürlich macht auch er noch Fehler und sich damit weiterhin latent angreifbar. Aber selbst seine schärfsten Kritiker werden zugeben müssen, dass sich Keller in einem schwierigen Umfeld durchaus freigeschwommen hat.
Kommunikativ, aber bestimmend
Offenbar hat er da aus seinen Fehlern in Stuttgart gelernt, wo er bei seiner ersten Station im Profibereich einige Dinge zu voreilig angegangen war, um danach mit wehenden Fahnen unterzugehen. Besonders in punkto Mannschaftsführung.
"Meine Mannschaft und ich haben eine gewisse Distanz. Aber ich bin der Meinung, dass eine Mannschaft heute anders geführt werden muss als früher. Die Kommunikation ist sehr wichtig, aber unterm Strich entscheide ich", sagt Keller. Bis zur Winterpause muss er sich noch durchkämpfen und am besten in allen drei Wettbewerben bleiben. Dann wäre die Ausgangslage schon besser als bei seinem Start.
Er darf dann zusätzlich auf die Rückkehr der lange verletzten Leistungsträger Kyriakos Papadopoulos, Klaas-Jan Huntelaar und Jefferson Farfan hoffen. Und auf sein erstes, unruhiges Jahr ein zweites folgen lassen. Gerne auch ein weniger turbulentes.
Die Situation in Gruppe E