Kampf dem Kultstatus

Von Daniel Reimann
Ein einsamer Abend: Joe Hart im Hinspiel gegen den FC Bayern
© getty

Ein klassischer englischer Pannen-Torhüter oder doch ein Ausnahmentalent? City-Keeper Joe Hart schwankte schon immer zwischen Genie und Wahnsinn. Nach einer herausragenden Saison erlebt er plötzlich einen Rückfall in alte Zeiten und eine bittere Degradierung. Ausgerechnet gegen den FC Bayern (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) darf er sich aber wieder beweisen.

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Englands Keeper sind Kult. Die meisten unfreiwillig. Sie sind Protagonisten eines Running Gags, Opfer eines Klischees, das sich längst verselbstständigt hat und das sie dennoch regelmäßig bestätigen.

Viele ihrer Zunft sind Youtube-Stars, ebenfalls unfreiwillig. Paul Robinson zum Beispiel, der bei einem aufhüpfenden Rückpass eines Mitspielers ein Luftloch schlägt und den Ball ins Tor kullern lässt. Oder David Seaman, der sich im Nationaltrikot eine direkte Ecke einfängt. Oder Robert Green mit seinem legendären Griff ins Leere bei der WM 2010. Von David "Calamity" James ganz zu schweigen.

Auch Joe Hart schien sich einst nahtlos in die Garde der englischen Torhüter einzureihen, die in Kombination mit dem Suchbegriff "Fail" die Internet-Welt belustigen. Obwohl er einer der talentiertesten seiner Gattung war und noch immer ist, leistete er sich auffällig viele und gravierende Patzer.

"Der beste englische Torwart der letzten 20 Jahre"

Lange wurde er belächelt, stets haftete ihm das Image einer traditionellen englischen Nummer eins an. Doch mit der Zeit wurde Hart beständiger, die Fehlgriffe seltener, die spöttischen Stimmen leiser. Spätestens vergangene Saison etablierte er sich als Top-Torhüter in der Welt.

Hart überzeugte mit teil herausragenden Leistungen, in der Gruppenphase trieb er Champions-League-Finalist Dortmund zeitweise zur Verzweiflung. Hart hatte sein Image hinter sich gelassen, sein Ruf besserte sich.

Er wollte nicht den unfreiwilligen Kultstatus erlangen, der seinen Vorgängern zuteilwurde. Hart hatte bewiesen, dass er das Lob des großen Sir Alex Ferguson verdient hatte, als dieser einst sagte: "Hart ist der beste englische Torwart der vergangenen 20 Jahre."

Rückfall in alte Zeiten: Hart im Formtief

Doch die laufende Spielzeit gleicht einem andauernden, unangenehmen Deja-Vu. Hart erlebt einen Rückfall in alte Zeiten, seine Formkurve zeigt plötzlich wieder nach unten. Folgenschwere Patzer gegen Cardiff, Chelsea oder die Bayern kosteten sein Team wertvolle Punkte - und ihn in Teilen seine kostbar erkämpfte Reputation.

Die längst ausgelutschten und im Jahr zuvor deplatzierten Auflistungen und Compilations seiner Patzer konnten mit neuem Futter wiederbelebt werden. Die "Daily Mail" zählt anno 2013 bereits neun "schwere Fehler", sechs davon in der laufenden Saison.

Doch nicht nur in der oft polemisierenden englischen Yellow Press kommt der 26-Jährige derzeit schlecht weg. Auch die Statistiken von OPTA sprechen gegen Hart. Mit 63,3 Prozent hat er die zweitschlechteste Quote an gehaltenen Bällen unter den Premier-League-Stammkeepern. Nur Julian Speroni vom Vorletzten Crystal Palace kann ihn mit 62,1 Prozent unterbieten.

Zum Vergleich: Arsenals Nummer eins Wojciech Szczesny kommt auf 81,4 Prozent.

Wilde Gerüchte und Wechselverbot

Infolge seines Formtiefs und der lauthals wieder aufkochenden Kritik von medialer Seite fand sich Hart plötzlich auf der Bank wieder. "Joe hat eine Pause gebraucht, weil er drei Jahre lang jedes Premier-League-Spiel bestritten hat. Alle Spieler sind menschlich und können mal einen schlechten Moment erwischen", erklärte Trainer Manuel Pellegrini und setzte ihm in Costel Pantillimon einen Torwart vor die Nase, der in den zwei Jahren zuvor kein einziges Premier-League-Spiel bestritten hatte.

Unter Pellegrini hatte Hart ohnehin nie den besten Stand. Der Mancini-Nachfolger wollte ursprünglich Willy Caballero aus Malaga mitnehmen, wie der unlängst bestätigte. Doch Caballero lehnte ab, da er unsicher war, "ob er [Pellegrini] an den Torhütern festhält, die er bereits hatte".

Erst im Oktober wurde das Gerücht im Zuge neuer Patzer von Hart erneut aufgewärmt, darüber hinaus fielen jüngst erst die Namen Iker Casillas und Manuel Neuer in Verbindung mit ManCity. Wird Hart also nicht mehr gebraucht?

Alles Schwachsinn, stellte Pellegrini klar: "Es gibt viele Meldungen über fünf, sechs, sieben Torhüter, die wir kaufen wollen, aber nichts davon ist wahr", so der City-Coach. Deshalb gibt es auch für Hart selbst kein Entrinnen: "Joe Hart hat keine Chance, diese Mannschaft im Januar zu verlassen."

Geniale Reflexe, mangelhafte Antizipation

Hart kennt Situationen wie diese nur zu gut. In der Saison 2007/2008 hatte er sich im Duell mit Andreas Isaksson mühevoll einen Stammplatz erkämpft, doch nur ein Jahr später bekam er in der Winterpause den erfahrenen Shay Given vor die Nase gesetzt - und fand sich auf der Bank wieder.

Damals war Hart noch ein Talent, dem man Patzer zugestand. Ein Talent, das wie jedes andere Lehrgeld bezahlte. Schon damals verfügte Hart über außergewöhnliches Potenzial. Seine Reflexe waren erstklassig, im Eins-gegen-Eins war er nur schwer zu überwinden.

Doch auch damals zeigte Hart regelmäßig die gleichen Schwächen. In der Antizipation von Flanken und langen Pässen tat er sich oft schwer, auf der Linie war er nicht immer richtig positioniert oder ließ vergleichbar harmlose Distanzschüsse durchrutschen. Ein Makel, den er nie ganz loswerden konnte und der sich in der laufenden Saison wieder bemerkbar gemacht hat.

Bayern-Spiel als wichtiges Kapitel

So auch im Champions-League-Hinspiel gegen die Bayern, als er bei Franck Riberys Schuss aus der zweiten Reihe daneben griff oder gegen Arjen Robben die kurze Ecke öffnete. Paradoxerweise soll Hart während seiner Zeit als zweiter Keeper just in diesem prestigeträchtigen Wettbewerb mit Einsätzen bei Laune gehalten werden.

Schon gegen Viktoria Pilsen durfte er von Beginn an ran. Bei beiden Gegentoren war er machtlos, darüber hinaus zeigte er eine starke Leistung. "Sehr gut", befand auch Pellegrini, der im Vorfeld des Rückspiels gegen den FCB ankündigte: "Joe wird gegen Bayern spielen."

Ausgerechnet gegen Bayern darf er sich also beweisen. Gegen die Bayern, gegen die er im Hinspiel bei zwei Gegentoren eine schlechte Figur machte - und sich damit den ein oder anderen zusätzlichen Youtube-Eintrag sicherte. Die Partie gegen Bayern wird für Hart ein weiteres wichtiges Kapitel in seinem ständig andauernden Kampf gegen den unrühmlichen Kultstatus, den seine Vorgänger nur zu gut kennen.

Joe Hart in der Zusammenfassung