"Wenn man Leverkusen schlagen will, muss man richtig gut sein. Das waren wir heute nicht", sagte Jürgen Klopp am Samstagabend. Solche Sätze hatte der Coach in dieser Saison schon häufiger gebracht. Auffällig häufig.
Der BVB befindet sich in einer heiklen Phase. Eine ähnliche sportliche Krise hatte es in den letzten drei Jahren kaum gegeben. Zurecht aber bemerkt Präsident Hans-Joachim Watzke, dass man nicht davon ausgehen könne, dass die Entwicklung aus den letzten Jahren immer so stetig vorangehen werde. Rückschläge seien eingeplant gewesen.
Und dennoch überrascht es, wie hilflos die Borussia am Samstag gegen Bayer Leverkusen agierte. Einzig in der 3. Minute wurde Bernd Leno ernsthaft geprüft. In den restlichen 87 Minuten kam wenig bis nichts. Weder von Robert Lewandowski, Henrikh Mkhitaryan oder Pierre-Emerick Aubameyang, noch vom eingewechselten Marco Reus.
Eigentlich ja genügend Qualität
Natürlich ist Dortmund durch die zahlreichen Ausfälle gebeutelt. Die komplette Viererkette aus dem letztjährigen CL-Finale auf Dauer zu ersetzen ist schier unmöglich. Auch das Fehlen Ilkay Gündogans kann im Spiel des Vizemeisters nicht auf Dauer aufgefangen werden. Obwohl der BVB mit Nuri Sahin einen Spieler im Kader hat, der Gündogan zumindest im Ansatz ersetzen könnte. Doch genau hier liegt derzeit das Problem: Eigentlich hat Dortmund trotz der vielen Verletzten noch genug Qualität im Kader. Eigentlich. Abrufen können es derzeit die wenigsten.
Angefangen beim Königstransfer Mkhitaryan, der sich die ganze Saison schon in einem stetigen Auf und Ab bewegt. Vor zwei Wochen gegen Neapel zeigte er eines seiner besten Spiele im schwarz-gelben Dress, drei Tage zuvor aber enttäuschte er gegen den FC Bayern maßlos. Auch gegen Leverkusen rannte sich der Armenier oft fest, verlor durch unnötige Dribblings einige Bälle und fiel häufig nur durch Lamentieren oder die Auseinandersetzung mit Leverkusens Emir Spahic auf.
Reus alleine trägt den Rucksack
Ähnlich verhält es sich mit den anderen Leistungsträgern. Marco Reus fehlt in den letzten Wochen sichtlich die Leichtigkeit. Fast scheint es so, als trage er seit den vielen Ausfällen einen Rucksack voller großer Erwartungen mit sich herum. Die Dynamik und Agilität, die er zu Saisonbeginn an den Tag legte, ist verflogen. Rein statistisch sind seine Werte weiterhin absolut überzeugend (20 Spiele, neun Tore, acht Assists), dennoch wirkt der 24-Jährige in den letzten Spielen - auch verletzungsbedingt - gehemmt.
Unterstützung erhält er von seinen Offensivkollegen derzeit nur wenig. Jakub Blaszczykowski kommt seit Wochen nicht in Tritt und wirkt oftmals fahrig und unkonzentriert in seinem Spiel. Man kann dem Polen nicht nachsagen, dass er nicht bemüht sei, dennoch wirkt er oftmals unglücklich. In der CL kommen laut OPTA nur 13 Prozent seiner Flanken an den Mann. In der Liga sind es gar nur zehn Prozent seiner Zuspiele von außen. Auch vor dem Tor trifft er im letzten Moment oft die falschen Entscheidungen - legt quer, anstatt abzuschließen oder andersrum. Zwei Buden und zwei Assists in 18 Spielen sind daher keine herausragende Statistik.
Sinnbild Lewandowski
Auch Robert Lewandowski trägt seit einigen Wochen die Seuche an den Schuhen. Zwar traf er vor zwei Wochen gegen Mainz doppelt - allerdings vom Elfmeterpunkt. Aus dem Spiel heraus gelang Lewandowski zuletzt gegen den VfB Stuttgart ein Treffer - das ist fast sechs Wochen her.
Sinnbildlich für die Flaute Lewandowskis war die vergebene Chance im Spiel gegen den FC Bayern, als er völlig blank am Fünfmeterraum den Ball in den Oberrang drosch. Auch gegen den SSC Neapel vergab der Pole freistehend zwei klare Torchancen. Ein Lewandowski in Bestform hätte solche Möglichkeiten wohl nicht liegen lassen.
Einer der wenigen Lichtblicke im lahmenden Dortmunder Offensivspiel ist Pierre-Emerick Aubameyang. Allerdings fehlt auch dem Flügelflitzer die Konstanz in seinen Auftritten. Zwar traf er per Traum-Freistoß gegen Mainz und erzielte das entscheidende 3:1 gegen Neapel, aber eine bestimmende Konstante im BVB-Spiel ist er nicht.
Das Ergebnis der Formschwäche in der Dortmunder Offensivabteilung ist, dass der letzte Treffer aus dem Spiel heraus gegen den VfB Stuttgart am 11. Spieltag fiel. Lässt man das DFB-Pokal-Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken und die Partie gegen Neapel einmal außen vor, war Dortmund in den vergangenen fünf Partien nur nach Standards erfolgreich. Keine wirklich gute Statistik für eine Mannschaft, die als eines der besten Umschalt-Teams der Welt gilt.
Verletzungsmisere betrifft nur die Defensive
Zumal die Verletzungsmisere fast ausschließlich die Defensive betrifft. Hummels, Subotic, Schmelzer, Piszczek, Bender und Kehl sind nicht unbedingt für das eigentlich bekannte Offensiv-Feuerwerk der Borussen verantwortlich. Einzig Gündogan ist ein Ausfall in der Kreativzentrale - doch gerade diesen kann sein eigentlicher Backup Nuri Sahin derzeit nicht ersetzen.
In der Saison 2010/11 drückte der Türke dem BVB-Spiel ähnlich den Stempel auf, wie es Gündogan in der Rückrunde der letzten Saison tat. Daher erhoffte man sich im Signal-Iduna-Park eine ähnliche Leistung von Gündogans Vorgänger-Nachfolger - doch dem ist nicht so. Zwar weist der 25-Jährige eine ordentlich Passstatistik (laut OPTA knapp 78 Prozent erfolgreiche Pässe in der CL) auf, dennoch kommt er nicht an die Form aus dem ersten Meisterjahr heran. Zu wenig zeigt sich Sahin als Bindeglied zwischen Defensive und Offensive, zu selten ist er das geforderte Herzstück der Borussia. Fraglich bleibt auch, ob er mit Außenbandanriss im abschließenden Gruppenspiel überhaupt auflaufen kann.
"Nicht die leichteste Situation für uns"
Zu abhängig erscheint Schwarz-Gelb in seinem Offensivspiel inzwischen von Marco Reus. Das Schwächeln des Dribblers hat daher erhebliche Auswirkungen auf die ganze Mannschaft. Hatte er im letzten Jahr noch Mario Götze oder Gündogan an seiner Seite, die mit einer genialen Aktion ein Spiel alleine entscheiden konnten, fehlen ihm in diesem Jahr die Adjutanten, die auch mal die Kohlen aus dem Feuer holen können.
Die Stimmung in Dortmund ist ob der Offensiv-Formkrise alles andere als heiter. "Das ist nicht die leichteste Situation für uns. Es ist keine Situation, in der an jedem Tag die Sonne lacht und alles weltklasse läuft", sagte Jürgen Klopp. Die schwachen Spiele in letzter Zeit haben ihre Spuren hinterlassen. Am schwarz-gelben Himmel herrscht derzeit graue Tristesse.
Aber Klopp ist kein Mensch, der nun in Selbstmitleid verfällt und den Teufel an die Wand malt. Vielmehr appelliert er weiter an die eigene Stärke des Teams: "Klar kann uns Marseille wehtun. Aber wir sind auch eine Mannschaft, die dem Gegner wehtun kann", sagte Klopp auf der abschließenden Pressekonferenz am Dienstag.
Auch wenn seine Jungs derzeit nicht vor Selbstvertrauen strotzen, gibt sich der Coach gewohnt optimistisch und verweist auf die Leistung gegen Neapel: "Wir haben gegen eine italienische Mannschaft, die auf ein Unentschieden aus war, gewonnen und dazu noch einen Drei-Tore-Vorsprung rausgeschossen. Das ist nicht so schlecht."
Der Boxer, der auf den Gong hofft
Der BVB geht sowohl physisch als auch psychisch auf dem Zahnfleisch. Die Leistungsträger sind außer Form, aufgrund der Verletzten sind Klopp aufstellungstechnisch die Hände gebunden. Daher kommt die Winterpause für den BVB alles andere als ungelegen. Ab dem 22. Dezember ist Wunden lecken angesagt. Die derzeitigen zehn Punkte hinter den Bayern schmerzen zwar, dennoch steht Dortmund im DFB-Pokal-Viertelfinale und hat am Mittwochabend die Chance mit einem Sieg gegen OM ins Achtelfinale der Champions League einzuziehen. Damit wären zwei wichtige Etappenziele erreicht.
Im letzten Jahr durchflog man die CL-Gruppenphase mit einer Unbekümmertheit, die in ganz Europa bewundert wurde. In diesem Jahr gleicht Dortmund eher einem taumelden Boxer. Bleibt zu hoffen, dass der BVB am Mittwoch in Marseille den finalen Gong hört und an der Cote d'Azur nicht vorher K.o. geht.
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