Real Madrid ist der größte Klub der Welt, und der größte Klub der Welt gehört selbstverständlich zum wichtigsten Inventar der Champions League. Die Königsklasse ohne die Königlichen: kaum vorstellbar. Ein abgewerteter Wettbewerb, ein Plagiat. Real Madrid ist die Königsklasse.
Der FC Schalke 04 gehört auch zur Champions League. Ein Klub aus der zweiten Reihe, so wie Galatasaray, Olympiakos, Basel oder Benfica - meistens dabei, aber nie so richtig mittendrin, wenn es im Frühjahr um die Krone geht.
Unglückliche Zeit in Madrid
Der Arbeiterverein aus Gelsenkirchen und die Zauberer aus Madrid haben nicht viel gemeinsam, aber Real weiß mittlerweile zu gut wie es ist, nicht mehr ganz vorne zu stehen. Zwölf Jahre sind eine verdammt lange Zeit im Fußball. So lange schmachtet Real Madrid nach La Decima, dem zehnten Erfolg im wichtigsten Vereinswettbewerb der Welt.
Klaas-Jan Huntelaar kennt beide Welten. Die in Madrid, wo er 2009 als Ersatz mitten in der Saison geholt wurde. Real hatte damals "übersehen", dass Huntelaar mit seinem bisherigen Arbeitgeber Ajax Amsterdam bereits international gespielt hatte und für die entscheidende Rückrunde in der Königsklasse gar kein Spielrecht hatte.
Real erwirkte eine Ausnahmegenehmigung für einen Spieler, entschied sich aber für Mittelfeldakteur Lass Diarra, der Huntelaars Schicksal teilte. Die Champions League ging ohne den Stürmer in ihre entscheidende Phase. Madrid flog gegen Liverpool aber ohnehin im Achtelfinale hochkant raus.
Als dann im Sommer auch noch Manuel Pellegrini den Klub übernahm und schnell publik wurde, dass der nicht mit Huntelaar plane, war das Abenteuer Real Madrid nach sechs Monaten schon wieder beendet. Cristiano Ronaldo war im Anmarsch auf das Bernaubeu, der beste Spieler der Welt, die absolute erste Liga. Für Huntelaar war da kein Platz mehr.
Huntelaar ist wie Schalke
Damals war der Groll groß auf Madrid, das ihn stiefmütterlich behandelt und dann sofort weitergeschickt hatte. Den Niederländer verschlug es nach Mailand, zur nächsten europäischen Großmacht. Bei Milan lief es noch schlechter als in Madrid.
Huntelaar erzielte nur sieben Tore in einer Saison, Patron Silvio Berlusconi verlor schnell die Lust an Huntelaar, den er offenbar ohnehin nur als Platzhalter sah für zwei noch viel größere Transfers. Il Cavaliere erfüllte sich den Traum von Robinho und Zlatan Ibrahimovic und schickte Huntelaar wieder weg.
In Gelsenkirchen fand der Hunter nach zwei gescheiterten Versuchen bei den Granden Europas seine Heimstatt. Huntelaars Zug durch Europa und seine Wertigkeit bei den großen Klubs ist vergleichbar mit der Stellung von Schalke im internationalen Ranking: Nicht die absolute Elite, aber gut genug, um immer wieder mitzumischen.
Kein Groll mehr auf Real
Dass Klaas-Jan Huntelaar mittlerweile ein wichtiger Teil der Schalker Familie ist, war in der Art nicht immer zu erwarten. Es gab zwischendurch immer mal wieder unschöne Zeiten, als sich der mittlerweile 30-Jährige und das zeternde Publikum nicht grün waren. Als Huntelaar seinen Einsatz außerhalb der gefährlichen Zone vernachlässigte, so als wolle er Louis van Gaal Recht geben in dessen Behauptung, Huntelaar sei "der beste Strafraumspieler der Welt".
Als Knipser wurde er schnell auffällig auf Schalke. Nun sind es bereits 51 Tore in 89 Spielen für die Königsblauen. Mit Beginn der Rückrunde hat Huntelaar seinen Wert für die Mannschaft nochmal deutlich gesteigert. Das trifft sich gut vor dem großen Duell mit seiner Vergangenheit. Es ist das erste Mal, dass Huntelaar mit Schalke auf einen seiner Ex-Klubs trifft.
Der Frust von damals ist längst verblichen. "Sicher bin ich damals nicht von Ajax zu Real gewechselt mit dem Gedanken, am Saisonende schon wieder zu gehen. Aber jetzt spüre ich keinen Ärger mehr", sagt Huntelaar. "Ich lebe weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft."
Die neue Rolle gefällt
Im Hier und Jetzt hat sich Huntelaars Rolle innerhalb der Mannschaft gewandelt. Der Hunter ist nicht mehr nur ein reiner Angreifer, in seiner Position und in seinem Aktionsradius beschränkt auf einige wenige Situationen im Spiel. Huntelaar bringt sich anders ein, er muss sich anders einbringen.
Trainer Jens Keller hat das Schalker Spiel modifiziert. Die Königsblauen spielen variabler als noch in der Vorrunde, die Huntelaar wegen eines Innenbandrisses und einer anschließend notwendigen Operation fast vollkommen verpasst hatte. Neben einigen personellen Veränderungen ragt besonders Kellers Vorhaben mit Huntelaar heraus.
Der soll als eine Art verkappter Spielmacher den Spielfluss zwischen Mittelfeldreihe und Angriffszentrum verbessern, dabei Youngster Max Meyer unterstützen, der mit seinen 18 Jahren zwar talentiert, aber noch nicht so weit ist, als dass er die Verantwortung im offensiven Mittelfeld alleine tragen könnte.
Diesen gewissen Egoismus, den jeder Angreifer im Blut hat und der bei Huntelaar besonders ausgeprägt war, muss der Niederländer dafür ein Stück weit aufgeben. "Mir gefällt diese neue, leicht veränderte Rolle als Zehner. Ich bekomme so mehr Bälle und bin mehr im Spiel. Ich denke, dass wir so auch gefährlicher sind", sagt Huntelaar.
Klaas-Jan Huntelaars Bewegungsprofil beim 2:1 in Leverkusen
Angreifer mit defensivem Denken
Dazu gehört auch, dass sich die Prioritäten des eigenen Spiels verschieben. Huntelaar geht weiter Wege und ist in der gegnerischen Hälfte nahezu überall zu finden.
In den fünf Bundesligaspielen der Rückrunde kommt Huntelaar auf 90 Minuten hochgerechnet im Schnitt auf rund 11,5 Kilometer Laufleistung. Seine Zweikampfbilanz bleibt für einen Stürmer mit knapp 40 Prozent überschaubar, aber noch im Rahmen.
Auffällig ist jedoch sein bevorzugtes Einsatzgebiet: Das hat sich rund zehn Meter weiter nach hinten verlagert, Huntelaar ist zumeist um den Mittelkreis herum aufzufinden.
Hier sind Aufgaben im Defensivverbund zu erledigen. Verschieben, Räume und Passwege verstellen, unter Umständen auch ein taktisches Foul begehen. Die Denkweise eines gelernten Sechsers adaptieren, zumindest in besten Situationen des Spiels.
Statistik weist Pro und Contra aus
Gegen Real Madrid kann Schalke eine etwas defensivere Grundordnung wohl nicht schaden. Real stellt mit 71 Toren die gefährlichste Offensivreihe der Primera Division und hat in der Champions-League-Gruppenphase mit 20 Toren in nur sechs Spielen eine neue Bestmarke aufgestellt. In den letzten 31 Spielen hat Real immer mindestens ein Tor erzielt, Ronaldo ist der bisher einzige Spieler, dem in den sechs Spielen der Gruppenphase neun Treffer gelungen sind.
Die Rekorde purzelten in der Champions League zuletzt nur noch so für Madrid. Aber immerhin gibt es beim ersten Vergleich der beiden Mannschaften überhaupt in der Königsklasse auch einen kleine Hoffnungsschimmer für Schalke: Deutscher Boden ist für das stolze Real Madrid kein gutes Pflaster.
25 Partien bestritten die Königlichen in Deutschland, nur eine davon konnten sie bisher gewinnen. 18 Mal verlor Real sogar. Der einzige Sieg gelang gegen Bayer Leverkusen im Jahr 2000. Jene Mannschaft, gegen die Madrid zwei Jahre später auch den bislang letzten Titel in der Champions League holen konnte.
Das ist der FC Schalke 04