Real Madrid hat sich unter Carlo Ancelotti erstaunlich schnell von den Nachwehen der Ära Mourinho erholt. Der Italiener hat den Königlichen ein verändertes Spielsystem und einigen Spielern eine neue Position verordnet. Seitdem läuft Reals Maschine auf Hochtouren. Es gibt allerdings auch noch einige Schwachstellen. Und die könnten im Endspurt der Saison noch gefährlich werden für Real.
Es gab eine Zeit, da schaffte es das große Real Madrid in der Champions League partout nicht mehr über die Runde der letzten 16 hinaus. Zwischen 2004 und 2011 flog der stolze Klub sechs Mal in Serie bereits in der ersten K.o.-Runde aus dem Wettbewerb.
Erst Jose Mourinho besiegte diesen einen Fluch - den anderen, seit nunmehr zwölf Jahren auf der Jagd nach La Decima immer wieder zu scheitern, konnte aber auch Mou nicht vertreiben.
In dieser Saison nehmen die Königlichen einen erneuten Anlauf, die Teilnahme am Viertelfinale dürfte nach dem 6:1-Sieg auf Schalke im Rückspiel (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) nur noch reine Formsache sein. Nach einem besonders abseits des Platzes wilden letzten Jahr mit Mourinho präsentiert sich Madrid in dieser Saison besten erholt.
Es hat ein paar Spiele gedauert, bis der neue Trainer Carlo Ancelotti seinem fulminanten Versprechen, mit den Königlichen wieder schöneren Offensivfußball zeigen zu wollen, auch gerecht werden konnte.
Überhaupt kamen Ancelottis Worte vor der Saison etwas überhöht daher. Real hatte in den letzten vier Spielzeiten jeweils über 100 Tore in der Liga erzielt (Schnitt: 107 pro Saison) bei einem Punkteschnitt von über 93 Zählern - derart fantastische Werte erlangt auch Real Madrid nicht mittels einer spröden Mauertaktik.
Der Start war holprig, aber seit dem Hinspiel beim FC Barcelona im Herbst (1:2 am 26. Oktober) ist Real Madrid bis heute unbesiegt. 30 Pflichtspiele sind seitdem vergangen, 25 davon hat Madrid gewonnen. Ancelottis Vorgänger Mourinho hat viel verbrannte Erde hinterlassen, die Chemie innerhalb der Mannschaft war längst nicht mehr die beste, wichtige Führungsspieler liefen nur noch auf halber Leistung.
Es hat einige Monate gedauert, bis der Italiener die ihm zur Verfügung stehenden Spieler in das offenbar praktikabelste System einfügen konnte, ohne dabei große Leistungs- oder Reibungsverluste in Kauf zu nehmen. Ancelotti hat dabei auf und abseits des Platzes grundlegende Veränderungen vorgenommen.
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Das Spielsystem: Ancelotti begann bei Real mit dem üblichen 4-2-3-1. Mit dem langen Ausfall von Xabi Alonso und dem Verkauf von Mesut Özil zum FC Arsenal brachen Ancelotti aber zwei elementare Stützen für ein Spielsystem mit zwei Sechsern und einem klar definierten Kreativen in der Offensivzentrale weg.
Die Umstellung auf ein 4-4-2 brachte etwas mehr Stabilität und hatte den schönen Nebeneffekt, dass Cristiano Ronaldo als zweite Spitze endlich kürzere Wege zum Tor hatte als im 4-2-3-1 als Flügelspieler, der zudem noch Deckungsaufgaben erledigen sollte.
Nachhaltig durchsetzen konnte sich die Variante mit zwei nominellen Angreifern und einer flachen Vier im Mittelfeld aber auch nicht. Vor allen Dingen deshalb, weil in dieser Anordnung weder Isco, noch Gareth Bale eingebunden werden konnten. Ancelotti, der davor mit Milan, dem FC Chelsea und Paris St. Germain ähnlich mächtige Klubs mit ähnlich kostspieligem Personal trainiert hatte, war von Beginn an klar, dass zumindest der teuerste Zugang aller Zeiten auf Dauer auch regelmäßig spielen müsse.
Mit Asier Illarramendi, Isco und Bale hatte Klub-Chef Florentino Perez seinem neuen Trainer den besten defensiven Mittelfeldspieler der U-21-EM, das größte Talent Spaniens und den begehrtesten Spieler Europas auf den Hof gestellt.
Nach einigen mittelmäßigen Partien zu Beginn der Saison und der Rückkehr von Alonso im Herbst stellte Ancelotti dann auf ein 4-3-3 um, das bis heute das bevorzugte System ist und der Mannschaft offenbar am besten liegt. In entsprechenden Spielsituationen variiert Real auch mit einem 4-1-4-1.
Durchschnittliche Spielerpositionen im CL-Spiel Schalke (weiß) - Real (schwarz)
Real hat sich etwas wegentwickelt von der spektakulären Kontermaschine, die es noch unter Mourinho war, hin zu längeren Ballbesitzzeiten und einem flüssigen Positionsspiel. Ohne sich dabei die ganz große Stärke im letzten Angriffsdrittel zu nehmen: Die Geschwindigkeit und technische Brillanz von Ronaldo und Bale.
Seitdem stimmen die Ergebnisse. In der Liga blieb Real ein halbes Jahr ungeschlagen und hat die Spitze der Tabelle erobert, in der Champions League hat Real von sieben Spielen bisher sechs gewonnen mit 26:6 Toren und steht so gut wie sicher im Viertelfinale. Und in der Copa del Rey steht die Mannschaft im Finale. Auf dem Weg dorthin hat sie bisher in acht Partien noch kein einziges Gegentor kassiert.
Carlo Ancelotti kann im Frühjahr 2014 die beste Zwischenbilanz eines Real-Trainers in dessen Premieren-Saison überhaupt vorweisen.
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Das Personal: Von entscheidender Bedeutung für Real Madrid ist die Besetzung des Dreier-Mittelfelds im Zentrum des Spiels. Der tiefer stehende Alonso wird dabei flankiert von Luka Modric (rechts) und Angel di Maria (links). Unter Mourinho war Reals Spielaufbau noch recht leicht auszurechnen: Wer Alonsos Kreise einengen konnte, hatte Real Madrid im Griff.
Modric blieb - auch weil in Sami Khedira unter Mourinho ein physisch starker Kontrahent oft den Vorzug bekam - lange Zeit in Madrid deutlich unter seinen Möglichkeiten. In der Dreierreihe bringt sich der Kroate mit seinen Stärken im Passspiel und seinen feinen Dribblings auch unter großem Gegnerdruck immer besser ein und ist neben Alonso der zweite Taktgeber im Madrider Spiel.
Die beste Idee dürfte Ancelotti aber mit der Versetzung Di Marias um eine Spielebene nach hinten gehabt haben. In seiner Zeit bei Benfica war Di Maria bereits eher Mittelfeldspieler im zweiten Spieldrittel. Erst Mourinho schickte den Argentinier als Gegenstück zu Ronaldo auf der rechten Seite als klassischen Flügelstürmer ins Rennen.
Als Konterspieler ist der 26-Jährige in der Tat eine Waffe. Di Maria ist unheimlich schnell, hat eine hervorragende Spielauffassung, ein starkes Dribbling und einen gefährlichen linken Fuß. Aber wieso diese Attribute nicht auch auf der Achter-Position einfordern - und zusätzlich die nicht gerade schlechten Defensivqualitäten zu Tage fördern?
Bei Benfica und in der argentinischen Nationalmannschaft ist Di Maria in eben dieser Rolle groß geworden, jetzt findet er sich auf seiner neuen, alten Position immer besser zurecht und bringt neben den eher nicht so schnellkräftigen Alonso und Modric eine erfrischende Dynamik im zentralen Mittelfeld ins Spiel.
Durch die eingerückten Achter Di Maria und Modric bleibt den beiden Außenverteidigern immer wieder jede Menge Raum, um bei eigenem Ballbesitz extrem hoch zu stehen und nahe der Seitenlinie ins Mittelfeld einzuschieben. Auf der rechten Seite halten sich Alvaro Arbeloa oder Daniel Carvajal damit eher noch zurück. Marcelo dagegen marschiert über die linke Flanke permanent auf und ab und ist phasenweise eher der vierte Mittelfeldspieler als der linke Verteidiger in der Viererkette.
Über die linke Seite geht bei Real die Post ab, da kombiniert die Mannschaft am stärksten nach vorne. Und profitiert da dann von Karim Benzema und dessen Interpretation modernen Angriffsspiels. Benzema war unter Mourinho nicht die erste Option im Sturmzentrum. Der Portugiese präferierte Gonzalo Higuain.
Ein klassischer Knipser, der sich im Strafraum am wohlsten fühlt und sich nur ungern aus dem Zentrum bewegt. Benzema ist ganz anders veranlagt. Der Franzose weicht oft auf die Flügel aus und schafft so Platz für Ronaldos oder Bales Diagonalläufe zur Mitte. Oder er ist die Anspielstation für die nachrückenden Mittelfeldspieler oder Außenverteidiger auf dem Flügel, während Ronaldo den Platz in der Spitze einnimmt und dort den Abschluss sucht.
Mit Benzema ist Madrids Offensivspiel flüssiger geworden und für den Gegner schwerer zu greifen. Und da der Franzose auch seine Torjägerqualitäten bei aller mannschaftsdienlicher Spielweise nicht vergessen hat, ist Reals Offensive kaum auszurechnen.
Derzeit steht Ronaldo bei 25 Treffern in der Liga, dahinter haben zehn Spieltage vor Schluss die Kronprinzen Bale und Benzema auch schon zehn beziehungsweise sogar 15 Treffer erzielt. In der abgelaufenen Saison waren es 34 Tore für CR7, aber nur 16 für Higuain und zwölf für Benzema.
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Probleme und Schwächen: Momentan läuft es nahezu perfekt für Madrid. Das Rückspiel gegen Schalke wird die Mannschaft im Vorbeigehen bestreiten, am Wochenende steht mit dem Clasico gegen Barca schließlich ein vorentscheidendes Spiel um den Meistertitel an.
Was jedoch trotz des klaren 6:1 aus dem Hinspiel in Gelsenkirchen auch auffiel: Real hatte durchaus auch wackelige Phasen. Besonders in den ersten 20 Minuten stimmte die Balance zwischen Offensive und Defensive teilweise überhaupt nicht, die linke Seite mit dem enorm offensiven Marcelo war da keine Stärke, sondern der Schwachpunkt der Gäste.
Die Innenverteidigung mit Pepe und Sergio Ramos wirkt unter Druck nicht gefestigt genug, um auch gegen offensiv bedeutend stärkere Gegner als etwa Schalke dauerhaft Stand zu halten.
Prinzipiell fehlt es Madrid durch die Komposition der Einzelspieler im Mittelfeld an der nötigen Robustheit. Alonso alleine wird gegen entsprechende Gegner überfordert sein. Das Problem in der heimischen Liga ist, dass bis auf die Partie zuletzt gegen den Lokalrivalen Atletico keine Mannschaft den Königlichen auch körperlich wehtun kann oder will.
Real Madrid und der FC Bayern in der CL-Saison 2013/2014
Abgesehen vom Stadtderby liegt der letzte echte Härtetest ein halbes Jahr zurück; nicht zufällig bedeutete die Partie im Camp Nou auch die letzte Niederlage. Ab sofort warten in den wichtigen Spielen zwangsläufig nur noch große Kaliber auf Real.
Am Wochenende und dann Mitte April im Finale des Königspokals ist es der FC Barcelona. Und in der Champions League sind über kurz oder lang Barca, Paris St. Germain oder Bayern München zu erwarten. Erst dann wird sich zeigen, wie gut Ancelottis Real wirklich schon ist.