"Das Wichtigste ist der Glaube. Ich glaube daran - und meine Spieler auch." Jose Mourinho war am Montag wieder in Bestform, auf der Pressekonferenz vor dem Viertelfinal-Rückspiel seines FC Chelsea gegen Paris St. Germain spulte Mou das komplette Paket der psychologischen Kriegsführung runter, wie er es fast immer macht vor wichtigen Spielen.
Er nahm den Druck von seiner Mannschaft und redetet sie gleichzeitig stark, schob dem Gegner die Favoritenrolle zu und spann schon Szenarien, wie PSG denn leiden müsste, sollte der designierte französische Meister völlig unerwartet und fast sensationell doch noch scheitern an der Stamford Bridge.
Mourinho bastelte eine Kulisse, die ein nahezu unmögliches Unterfangen beschreiben sollte. "Sollte Paris doch noch ausscheiden, wäre das eine riesige Enttäuschung für sie. Wenn wir ausscheiden, ist es das, was viele Leute einfach nur erwartet haben", sagte Mourinho. "Also sollten wir das Risiko dieser Partie annehmen." Im Klartext: Der FC Chelsea hat gar nichts mehr zu verlieren - Paris St. Germain alles.
"Das ist pure Mathematik"
Die Franzosen gehen mit dem Vorsprung von zwei Toren in ihr zweites Viertelfinale in Folge, letzte Saison schied PSG gegen den FC Barcelona aus. Das ist ein ordentliches Polster, aber auch nicht komfortabel genug, um bereits für die Runde der letzten Vier zu planen. Zumal Chelsea beim 1:3 in Paris das ominöse Auswärtstor gelungen ist.
"Wenn Sie mich jetzt fragen, ob wir gewinnen: Ja, ich denke wir gewinnen das Spiel. Davon bin ich überzeugt", sagte Mourinho. "Also wird es am Ende darauf ankommen, dass wir mehr Tore erzielt haben als sie. Das ist pure Mathematik. Jetzt steht es noch 1:3, aber am Ende kann auch ein 4:3 oder 5:4 für uns stehen. Sollte ich daran nicht glauben, könnte ich morgen auch zu Hause bleiben. Aber ich freue mich auf die Partie."
In London werden die Geister von damals beschwört: Vor zwei Jahren schienen die Blues nach einem 1:3 in Napoli bereits ausgeschieden, drehten im Rückspiel aber nach Verlängerung den Vergleich und zogen in die nächste Runde ein. Am Ende holte Chelsea dann sogar die Champions League. Außerdem, so wird immer wieder betont, ist Mourinho als Trainer noch nie im Viertelfinale der Königsklasse gescheitert.
Beeindruckende PSG-Statistiken
Allenfalls im Subtext ist zu vernehmen, dass auch der Gegner einige gewaltige Statistiken mit auf die Insel gebracht hat. PSG hat in 32 Spielen in der Meisterschaft nur eins verloren, die letzten elf Pflichtspiele haben die Hauptstädter allesamt gewonnen und einen neuen Klubrekord aufgestellt.
In 46 Spielen in dieser Saison ist PSG nur ein einziges Mal kein eigener Treffer gelungen - es war die Partie beim Abstiegskandidaten Evian Thonon Gaillard Anfang Dezember, die 0:2 verloren ging und die übrigens auch als einzige der letzten 110 Partien notiert ist, in der Paris mit mehr als zwei Toren Unterschied verloren hat.
Natürlich wird es an der Stamford Bridge also auf die Offensive der Blues ankommen und da speziell auf den Angriff. Das Problem ist, dass hier die größte Problemzone der Blues auszumachen ist. Vor dem Hinspiel im Achtelfinale bei Galatasaray wurde Jose Mourinho während einer Unterhaltung bei einem Sponsorentermin vom französischen Sender "Canal plus" heimlich gefilmt.
Mou: Mir fehlt ein Torjäger
Mourinho beantwortete da beiläufig einige Fragen, unter anderem die nach seinem Ex-Spieler Didier Drogba und dessen Wirken beim Gegner Galatasaray. Und dann, auf die Stärken seiner eigenen Angreifer gefragt: "Das Problem bei Chelsea ist, dass mir ein Torjäger fehlt. Ich habe eine Mannschaft, aber keine Stürmer. Ich habe Eto'o, aber er ist 32 Jahre alt, vielleicht sogar 35, wer weiß?"
Mourinho zeigte sich danach empört und versuchte, die Situation noch ein wenig abzumildern. "Ich denke, sie als Medienvertreter sollten beschämt sein. Es ist gegen jede Ethik, eine private Unterhaltung zu filmen und sie zu veröffentlichen. Der Kommentar war absolut kein glücklicher." Und außerdem hätte er die Aussage über Eto'o auch gar nicht ernst gemeint. "Ich hätte das nie offiziell in einem Interview gesagt!"
Man darf Mourinho wohl glauben. Bis auf seine letzte Saison bei Real Madrid hatte er noch nie Streit mit einer seiner Mannschaften oder einzelne Spieler öffentlich bloßgestellt. Im Gegenteil: Fast alle seiner ehemaligen Spieler würden auch heute noch für Mourinho durchs Feuer gehen. Und trotzdem belegen alle Statistiken Mourinhos Vermutung: Der FC Chelsea hat von allen acht verbliebenen Teilnehmern den schwächsten Angriff.
Chelsea mit 22, Real mit 58 Stürmertoren
In den neun Partien der Saison hat Chelsea zusammen mit Borussia Dortmund und Manchester United die wenigsten Tore erzielt. 16 Mal trafen die Blues bisher, Real Madrid hat bereits doppelt so oft getroffen. Bester Torschütze der Londoner ist Eden Hazard, ein Mittelfeldspieler. Der Belgier hat in der Liga 14 Tore erzielt und ist damit der einzige Spieler des FC Chelsea unter den Top 20 der Torjägerliste in der Premier League.
Von den Stürmern steht Samuel Eto'o mit acht Toren am besten da (ebenso viele wie Mittelfeldspieler Oscar), Andre Schürrle kommt auf sieben Tore, Fernando Torres auf vier und Demba Ba auf drei Treffer. Macht insgesamt 22 Stürmertore in der Liga, erzielt von vier verschiedenen Angreifern.
Die Unterschiede zu den Angriffs-Trios der Konkurrenz sind dabei frappierend. Gegner PSG kommt dank Ibrahimovic-Cavani-Lavezzi auf 47 Tore. Real Madrid (Ronaldo-Benzema-Bale) gar auf 58, Barca (Messi-Sanchez-Pedro) auf 56. Für Dortmund haben Lewandowski, Aubameyang und Reus 43 Tore erzielt, Diego Costa, Villa und Adrian für Atletico Madrid 39.
Die Bayern kommen dank Mandzukic-Müller-Pizarro auf 34 Tore. Und selbst das kriselnde Manchester United stellt mit Rooney-van-Persie-Welbeck einen deutlich gefährlicheren Sturm: 35 der lediglich 56 Tore der Red Devils gehgen auf das Konto ihrer nominellen Angreifer.
Leistungskurven zeigen nach unten
Mourinho ist mit seiner Kritik sicherlich etwas übers Ziel hinaus geschossen, für einen Klub wie den FC Chelsea nimmt sich die Zusammensetzung des Angriffs aber in der Tat recht bescheiden aus. Eto'o ist vor kurzem 33 geworden, Torres mittlerweile auch schon 30 Jahre alt. Demba Ba ist in den wichtigen Spielen fast nie eine ernsthafte Option. Der vom FC Basel im Winter verpflichtete Mohamed Salah darf in der Königsklasse in dieser Saison nicht mehr eingesetzt werden.
Als Eto'o in Paris wegen einer Oberschenkelverletzung passen musste, stellte Mourinho nicht etwa einen seiner beiden Alternativen Torres oder Ba ins Sturmzentrum, sondern den gelernten Flügelspieler Schürrle. Erst nach knapp einer Stunde durfte Torres dann für Schürrle ran.
Mindestens genauso wie die absoluten Zahlen dürften Mourinho auch die Leistungskurven seiner Stürmer Sorgen bereiten. Torres hat seit seinem Wechsel von Liverpool nach London allenfalls in Spurenelementen noch den Riecher, den er noch bei den Reds hatte. In über drei Jahren und 106 Ligaspielen hat Torres nur 19 Tore erzielt.
Bas Quote brach ebenso dramatisch ein: Waren es in Newcastle noch 30 Tore in 54 Spielen, kommt er für Chelsea auf fünf Treffer in 29 Spielen. Sammy Eto'o ist noch am ehesten zuzutrauen, am Ende der Saison wenigstens auf eine zweistellige Zahl erzielter Tore zu kommen. In den zehn Jahren davor war ihm dies bei verschiedenen Vereinen auch immer geglückt. Da lesen sich die sieben Tore von Schürrle bei dessen Premieren-Saison in England schon richtig gut.
Hoffen auf Eto'o
Immerhin konnte Eto'o am Montag zusammen mit Co-Trainer Rui Faria wieder individuell trainieren, Mourinho hat den Kameruner noch nicht ganz abgeschrieben. Der hatte sich ausgerechnet beim höchsten Saisonsieg der Blues verletzt, dem 6:0 über den FC Arsenal Ende März. Seitdem fehlte Eto'o, und seitdem fehlten die Stürmertore komplett. Auch beim 3:0 über Stoke City erzielten alle drei Tore Mittelfeldspieler.
Da trifft es sich ganz gut, dass Eto'o eine Option werden könnte. Der Routinier hat alle seiner insgesamt elf Saisontore an der Stamford Bridge erzielt und in seinen letzten drei Spielen jeweils getroffen. Er ist also trotz seiner Verletzungspause der einzige Angreifer, der so etwas wie eine entsprechende Form aufweisen kann.
Torres ist bei Mourinho lediglich schmückendes Beiwerk und der klassische Bankspieler. "Er wird mit 30 Jahren keine neuen Qualitäten zeigen, aber wir glauben, dass er noch was geben kann", sagte Mourinho. Ganz offiziell, auf der Pressekonferenz.
Das ist der FC Chelsea