Wenn Roger Schmidt vor dem Spiel gegen Kopenhagen das Stadion betritt, werden die Erinnerungen an den einen schwarzen Tag im Juli 2012 sicherlich hochkommen. Diese Erinnerungen an den 4:3-Sieg, der dennoch die schlimmste Niederlage der noch frischen Karriere des jungen Trainers zur Folge hatte.
Nach einem 0:1 im Hinspiel flog sein damaliger Klub Red Bull Salzburg aufgrund der Auswärtstorregel aus der Champions-League-Qualifikation. Dabei war das so ambitionierte Team mit dem frisch installierten Coach gerade erst losgezogen, um Europa unsicher zu machen. Nach ganz oben wollte man, möglichst schnell. Doch in der zweiten Qualifikationsrunde stellte sich den finanzstarken Bullen F91 Düdelingen in den Weg, zu dieser Zeit zehnmaliger Meister - allerdings der luxemburgischen Liga. Der direkte Vergleich nach Hin- und Rückspiel ging verloren, gut 20 Tage nach Dienstantritt stand Roger Schmidt bei seinem neuen Arbeitgeber bereits wieder vor dem Aus.
Damals wie heute kann der 47-Jährige die Situation distanziert und realistisch betrachten. Eine Niederlage bleibt eine Pleite innerhalb der 90 Minuten und soll kein Grund sein, das komplette Konzept zu hinterfragen. "In dieser Beziehung habe ich ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Ich weiß, dass ich ein guter Trainer bin. Und ich weiß, dass ich eine Mannschaft führen kann. Das wird nicht dadurch erschüttert, dass irgendwer schreibt: 'Roger Schmidt ist eine Pfeife'", erklärt er. Im positiven Sinne ist Schmidt ein Sturkopf, der mit vollster Überzeugung hinter seinen Werten und Einstellungen persönlicher und fußballerischer Natur steht und diese seinen Spielern vermitteln will.
Idee von Fußball ist klar
"Roger hatte in der Ausbildung etwas, was nicht alle haben. Er hatte eine richtig klare eigene Meinung. Ich kann mich an eine Situation während der Ausbildung erinnern, als wir auf dem Platz eine Flanken-Übung gemacht haben", erzählt DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth im Gespräch mit SPOX: "Er wusste genau, was er von den Spielern haben wollte. Ich habe dann gefragt, ob es nicht auch noch eine andere Möglichkeit gebe. Er antwortete mit Nein. Ich habe ihm dann zwei Alternativen genannt. Er hat sie sich durch den Kopf gehen lassen und gleich wieder Nein gesagt: Nein!"
Seine Idee von Fußball ist seit Jahren klar und eindeutig. Bei all seinen bisherigen Trainerstationen ließ Schmidt einen extrem offensiven und laufintensiven Fußball spielen. Der Spielstil bei gegnerischem Ballbesitz erinnert an das druckvolle Pressing von Borussia Dortmund. Ein ruhiger Fußball gehöre schon längst der Geschichte an, betont Schmidt immer wieder.
"Entweder wir haben den Ball und versuchen, schnell nach vorne zu spielen. Oder der Gegner hat den Ball, und wir versuchen schnell zu attackieren. Oder es gibt den Moment des Ballbesitzwechsels. In jedem Fall sind die Spieler gefordert, sich sofort auf eine neue Situation einzustellen und darauf zu reagieren", so Schmidt. Das gesamte Team, und in vorderster Front die Stürmer, sollen immer wieder gezielt im Sprint die Innenverteidiger und den Torwart des gegnerischen Teams anlaufen und stark unter Druck setzen. Denn genau diese seien es noch nicht gewohnt, angegriffen zu werden und seien extrem anfällig für Fehler.
Völler überzeugt von Schmidt
Eine Idee des Fußballs, die letztlich auch den neuen Arbeitgeber des 47-Jährigen überzeugt hat. Immer wieder betonte Bayer-Sportdirektor Rudi Völler bei öffentlichen Auftritten nach der Verpflichtung des Coaches, dass ihn vor allem dieser Aspekt überzeugt hat. "Seine Art, Fußball spielen zu lassen, passt ideal zu Bayer Leverkusen", so Völler. Eine Phrase, die zwar bei nahezu allen Trainer-Vorstellungen zu hören ist, wohl aber selten einen markanten und tiefgründigen Sinn hat.
Auch in Leverkusen klangen die Worte von Völler bei erster Betrachtung nach leeren Worthülsen. Schließlich hatte der Trainer einen kometenhaften Aufstieg hingelegt und glänzte vor allem durch eines: Erfolg. Eine Entwicklung, die so bis vor wenigen Jahren nicht abzusehen war. Von 1999 bis 2007 arbeitete der studierte Ingenieur bei einem Automobilzulieferer und kickte nebenbei Liga bei Dellbrück, Lippstadt und Paderborn, wo er gar in der dritthöchsten Liga aktiv war.
Als er nach der aktiven Karriere bereits mit dem Fußball größtenteils abgeschlossen hatte und neben dem Beruf Dellbrück trainierte, bot Preußen Münster dem jungen Coach eine Full-Time-Trainerstelle an. Schmidt ging das Abenteuer ein und kündigte seinen aktuellen Job. Die Risikobereitschaft des Trainers sollte sich auszahlen. Er stieg mit Münster in die Regionalliga auf und wechselte im Jahr 2011 zum SC Paderborn.
Erfolgreiche Zeit bei Paderborn
"Ich habe meine Zukunft gar nicht als Trainer gesehen. Ich habe ja schon als Ingenieur gearbeitet, bis das Angebot aus Münster kam. Dann habe ich meinen Beruf aufgegeben und bin Trainer geworden - das ist einfach so gekommen. Genau wie die Jobs in Paderborn, Salzburg, Leverkusen. Das hat sich einfach alles ergeben. Zufall, Schicksal, was auch immer - geplant war es nicht", erzählt Schmidt, der Paderborn in seiner ersten Saison von Platz 12 auf 5 führte.
Ralf Rangnick, Sportdirektor von Red Bull Salzburg, wurde aufmerksam und holte Schmidt für das Großprojekt des Brauseherstellers nach Österreich. Wohl wissend, dass es ein Risiko ist, einen No-Name-Trainer als Nachfolger von Giovanni Trapattoni und Huub Stevens einzurichten.
Aber Ralf Rangnick war überzeugt. Von Roger Schmidt, von seinem System und seiner Art, Fußball spielen zu lassen. Das Vertrauen zahlte sich aus - trotz der anfänglichen Pleite in der Champions-League-Qualifikation. Mit Salzburg holte der 47-Jährige in Rekordzeit die österreichische Meisterschaft und zudem den Pokal.
Bayer als logischer Schritt
Der Wechsel zu Leverkusen scheint nun aktuell nur der nächste logische Schritt auf der Karriereleiter zu sein. Allerdings wird sich erst zeigen müssen, ob er dort mit seiner sturen Haltung und seiner strikten Linie ebenfalls Erfolg hat. "Wenn Roger so spielen will wie in Salzburg, dann muss sich Leverkusen verändern. Entscheidend ist die Überzeugungsarbeit des Trainers, diesen hohen Laufaufwand ständig zu betreiben und dann Erfolg zu haben. Man darf nicht vergessen, dass Leverkusen die Mannschaft mit ihrer Art Fußball zu spielen, erfolgreich war", erklärt Wormuth.
"Seine Aufgabe im psychologischen Bereich ist es, die Mannschaft zu überzeugen. Er kann nicht sagen: In Salzburg hat's geklappt. Dann haben wir einen Effekt wie bei Stale Solbakken in Köln." Blendet man die Aufgabe im DFB-Pokal bei Oberligist Alemannia Waldalgesheim aus, beginnt die eigentliche Mission von Roger Schmidt wie vor zwei Jahren in der Champions-League-Qualifikation. Statt Düdelingen heißt der Gegner nun Kopenhagen. Trainer dort ist Stale Solbakken.
Roger Schmidt im Steckbrief