Das haben sie sich verdient

Max Schöngen
30. September 201415:31
Frank Lampard (l.) und Francesco Totti stehen zusammen für 40 Jahre Profi-Fußballgetty
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Der Weg von Frank Lampard und Francesco Totti war vorgezeichnet, ihre Zeit eigentlich schon vorbei, das Kapitel Champions League scheinbar beendet. Ihr Denkmal haben sie längst errichtet, jeder für sich, jeder auf seine Art. Auf ihre alten Tage ist ihnen die große Bühne nochmal vergönnt, ein Privileg in ihrem Alter, eines, das sie sich durch ihre glanzvollen Karrieren redlich verdient haben.

Mittwochabend, Champions League, erster Spieltag. Die Roma empfängt ZSKA Moskau. Keine Hammer-Paarung, wohl kein Spiel, an das man noch Jahre zurückdenken wird, das Römer Olympiastadion ist gerade mal zu zwei Dritteln gefüllt. Die Spieler betreten den Rasen und reihen sich vor der Haupttribüne auf, die berühmte Hymne erklingt, aus den Gesichtern der Spieler lässt sich Anspannung ablesen aber auch Vorfreude, Konzentration, alles fokussiert sich auf die bevorstehenden 90 Minuten.

Die TV-Kamera wandert ihren gewohnten Gang entlang der Spieler, um bei einem Spieler Halt zu machen: Francesco Totti, 38 Jahre, steht dort, merklich berührt, mit glänzenden, fast schon wässrigen Augen, es ist ein hoch emotionaler Moment für den Kapitän der Roma.

Dass er die Hymne der Champions League in seiner Karriere nochmal hören würde, hätten ihm, dem bereits mehrfach Totgesagten, noch vor nicht allzu langer Zeit nur die Wenigsten zugetraut - er selbst wohl mit inbegriffen. Seine Emotionen in diesen Sekunden wohl eine Mischung aus Erinnerungen, Demut, vor allem aber Dankbarkeit für solche Momente, von denen es wohl nicht mehr viele geben wird in seiner Laufbahn.

Es brodelte in Lampard

Gleicher Wettbewerb, gleiche Uhrzeit, Paralllelspiel der Gruppe E. Knappe 700 Kilometer Luftlinie nördlich des Olimpico ertönt auch in München in diesen Sekunden die Hymne. Die gleiche Prozedur, die Spieler betreten den Rasen der Allianz Arena, die Auswechselspieler gehen in Richtung Bank. Unter ihnen Frank Lampard, 36 Jahre: ein flüchtiger Blick in das weite Rund der Arena, äußerlich cool, Lamps kaut Kaugummi, lässt sich nichts anmerken.

Doch auch in ihm brodelt es in diesen Sekunden, wie er später zugibt - nicht nur wegen der Erinnerungen an 2012, als er an selber Stelle den größten Triumph seiner Karriere gefeiert hatte.

Auch für ihn schien das Kapitel Champions League bereits beendet, bevor es vor wenigen Wochen zur überraschenden Wendung und seinem Wechsel zu ManCity gekommen war. Im Gegensatz zu Totti zeigt Lampard in diesem Moment wenig Regung, seine Emotionen behält er für sich, zumindest vorerst.

Das Treffen der Fußball-Opas

Francesco Totti und Frank Lampard, zwei Fußball-Opas, deren Wege sich am Dienstag, knapp zwei Wochen später, nochmal kreuzen, wenn Manchester City die Roma empfängt (20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Totti und die Roma gastieren in der Vorrunde der Champions League bei ManCity und Frank Lampard. Hätte man diese Konstellation noch vor wenigen Jahren prophezeit, man wäre womöglich für verrückt erklärt worden. Frank Lampard bei Manchester City? Undenkbar! Francesco Totti nochmal in der Champions League? Vergiss es!

Dass die beiden trotz ihres Alters noch immer nicht genug haben, verwundert nur auf den ersten Blick. Gewiss, die Partie in Manchester wird nicht die Überschrift "Lampard gegen Totti" tragen, dazu gibt es zu viele brillante Spieler in den Reihen beider Teams. Das Aufeinandertreffen der beiden Dinos aber ist dennoch mehr als nur ein Randaspekt oder eine glückliche Fügung der Auslosung und der Geschehnisse nach der vergangenen Saison.

Nur schwer sind beide unter einen Hut zu bringen. Was sie vereint, ist mit dem Attribut Legende umschrieben. Legende, ein Begriff, von dem inflationär Gebrauch gemacht wird, der auf sie aber zutrifft, wie auf wenig andere.

Gemacht für die Ewigkeit

Es sind nicht die Titel, die sie gewonnen haben, oder die Anzahl der Tore, die sie geschossen haben. Es ist die Identifikation, die sie für einen Klub geschaffen haben, so wie einst Paolo Maldini oder Ryan Giggs, gemacht für die Ewigkeit. Namen die sofort mit Klubs assoziiert werden und umgekehrt. Wer Roma sagt, denkt Totti, nicht anders verhält es sich bei Frank Lampard und dem FC Chelsea, auch nach dessen Wechsel im Sommer zu den Citizens.

Zu ihren Glanzzeiten zählten die beiden zu den torgefährlichsten Spielern Europas, wurden gejagt von anderen Klubs, ernsthafte Gedanken an Wechsel aber wurden nie in Betracht gezogen. Zumindest wurden diese nicht öffentlich geäußert, um eigene Positionen in Vertragsverhandlungen zu stärken - Methoden, wie sie inzwischen Gang und Gäbe geworden sind. Respekt, Liebe und Hingabe zum Klub standen allem voran, Dinge die beide durch ihre Lehrmeister von einst eingeimpft bekamen: Fabio Capello und Jose Mourinho. SPOX

Chelseas Königstransfer

Als Jose Mourinho 2004 an die Stamford Bridge kam, war Lampard schon da, als Mourinho 2007 entlassen wurde, war er noch immer da, ebenso als der Portugiese 2013 zurückkehrte. Nicht viele haben es geschafft, den aberwitzigen Transfers von Roman Abramowitsch zu trotzen, sich von Jahr zu Jahr neuer Konkurrenz ausgesetzt zu sehen und sich dennoch durchzusetzen, Lampard schon.

2001 hatte er die zwölf Kilometer Luftlinie von West Ham auf sich genommen um in Richtung Stamford Bridge zu wechseln, damals war es noch das alte Chelsea. Das Zeitalter vor dem russischen Oligarchen. Rund 15 Millionen Euro betrug die Ablöse für den gebürtigen Londoner. Nicht wenig, angesichts der Summen aber, die in den folgenden Jahren vom Konto der Blues abgebucht wurden, ein Klacks, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich diese Investition als Chelseas Königstransfer schlechthin herausstellen sollte.

Zwei für die Ewigkeit

Noch ist nicht (ganz) Schluss

Roms wandelndes Wahrzeichen

Als Lampard bei Chelsea anheuerte, hatte sich Totti längst einen Namen gemacht. 1993 debütierte er im Alter von 16 Jahren für die Roma, fünf Jahre später war er bereits Kapitän und Publikumsliebling. Einer von ihnen, ein echter Römer, von Geburt an Giallorossi, wie es die Legende erzählt. Gesegnet mit einer einzigartigen Spielübersicht, außergewöhnlichen Fähigkeiten am Ball und einer brillanten Schusstechnik.

Bei der EM 2000 ging sein internationaler Stern auf, ein Jahr später trug er sich in die Geschichtsbücher der Giallorossi ein, die zu diesem Zeitpunkt von Fabio Capello trainiert wurden.

Zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte und zum ersten Mal nach 18 Jahren holte die Roma den Scudetto in die italienische Hauptstadt, Tottis Anteil daran war groß. Für die Roma-Tifosi, die so lange auf einen Ligatitel hatten warten müssen eine Erlösung, in ihrem Kapitän hatten sie ihren Erlöser gefunden, er wurde zum lebenden Wahrzeichen der ewigen Stadt.

Lampard der Unverzichtbare

Ähnliches widerfuhr Frank Lampard vier Jahre später. Waren es bei der Roma 18 Jahre, die man auf eine nationale Meisterschaft gewartet hatte, dauerte es beim FC Chelsea ein halbes Jahrhundert, ehe der Titel 2005 mal wieder an die Stamford Bridge geholt wurde. Ähnlich groß wie Tottis Anteil am Scudetto war auch Lamps Anteil am Erfolg der Blues.

Kopfballstärke, Schusstechnik, Passgenauigkeit, Torgefahr - er war einer der wenigen, die im Starensemble der Blues als unverzichtbar galten, wie Mourinho stets betonte und in ihm "einen der besten Spieler der Welt" sah. Bei der Wahl zum Weltfußballer und zu Europas Fußballer des Jahres belegte der damals 26-Jährige im selben Jahr jeweils den zweiten Platz.

Auch für Totti sollte das Jahr 2005 ein besonderes sein. Mit seinem 107. Treffer für die Roma überflügelte er den bisherigen Rekordhalter Roberto Pruzzo und stellte einen Vereinsrekord auf.

Der Auferstandene

Eine Hürde, die auch Frank Lampard noch nehmen sollte - acht Jahre nach Totti, als er im vorletzten Ligaspiel der Saison 12/13 gegen Aston Villa die Treffer 202 und 203 im Trikot der Blues erzielte und somit zum erfolgreichsten Torschützen der Vereinshistorie aufstieg.

Es war das vorletzte Spiel einer Saison, die das Ende der Ära Lampard beim FC Chelsea einleiten sollte, eine Ära, die im Jahr zuvor in München mit dem Triumph in der Champions League ihren Höhepunkt gefunden hatte.

Schon in der Winterpause schien es, als wollten ihn die Kluboberen loswerden, der damals 34-Jährige aber verweigerte sich einem Wechsel und erzielte in der Rückrunde neun Treffer, sein Vertrag wurde nochmal um ein Jahr verlängert, die englische Presse feierte "den Auferstandenen".

Mit Garcia zum alten Glanz

Eine Auferstehung feierte im selben Jahr auch Totti. Vor der vergangenen Saison stand sein Karriereende eigentlich schon so gut wie fest. Viel vom einstigen Glanz war in den Jahren zuvor verlorengegangen.

Untrainiert, teilweise mit Übergewicht hatte er sich in den Vorjahren über den Platz geplagt, seine genialen Momente, seine kraftvollen Antritte waren weniger geworden.

Als jedoch zur vergangenen Saison mit Rudi Garcia abermals ein neuer Trainer an den Tiber kam, blühte Totti nochmals auf. Es lief so gut, wie es lange nicht mehr gelaufen war für die Roma und vor allem für ihn. Garcia machte ihn zum zentralen Spieler seiner Offensive, gab ihm die Freiheiten die er braucht. Nur wenige Wochen war die Saison gespielt, da wurde bekannt, dass Tottis Vertrag abermals verlängert werden würde.

Totti und die Aussetzer

Wieder einmal hatte er es seinen Kritikern gezeigt, Kritiker, die es fernab der römischen Stadtmauern zuhauf gibt und die ihn große Teile seiner Karriere hinweg immer begleitet haben. Totti wusste die Kritik an ihm durch regelmäßige Aussetzer aber auch stets selbst zu befeuern.

Bei der WM 2002 brachte ihm eine Schwalbe einen Platzverweis ein. 2004 bei der EM bespuckte er den Dänen Christian Poulsen und handelte sich eine anschließende Sperre ein. Beim Coppa-Finale 2010 sah er Rot, weil er wenige Minuten vor Schluss beim Stand von 0:1 wie von Sinnen auf Mario Balotelli eintrat.

So sehr sich Fußball-Italien das Maul über ihn zerriss, so sehr konnte sich Totti der Unterstützung seiner Anhänger gewiss sein. Auf ein zerknirschtes "Perdono" seinerseits folgte die Vergebung seiner Fans.

Keine Wut, sondern Sprechchöre

Vergebung hat auch Frank Lampard erfahren, dafür, dass er vor der Saison unter viel Aufsehen zu einem der größten Rivalen seines Klubs gewechselt war. Ohnehin hielt sich die Wut der Chelsea-Fans in Grenzen angesichts der Verdienste Lampards bei den Blues. Keine Judas-Plakate, keine Hasstiraden oder Pfiffe gegen ihn, als er vor wenigen Wochen auf seinen ehemaligen Klub traf. Sogar nachdem er zum 1:1 ausgeglichen hatte und Chelsea damit den ersten Punktverlust der Saison bescherte, hallten Sprechchöre für ihr Idol aus dem Fanblock der Blues.

Vier Tage nachdem sich Totti gegen ZSKA Moskau seiner Gefühle nicht hatte erwehren können, war auch Lampard in diesem Moment sichtlich ergriffen. Kein Anzeichen der Freude ob seines Treffers, ein entschuldigender, fast schon schockierter Blick. Seinem Klub hatte er soeben wehgetan, umso bemerkenswerter auch die Reaktion der Fans, die ihn auch Minuten nach dem Abpfiff noch feierten.

In Würde altern

Wie bei Totti auch zeigt die Unterstützung der Fans den Stellenwert beider Spieler, den sie sich über Jahre hinweg erarbeitet und verdient haben. Ihre Karriere befindet sich im Endstadium, beide wissen das, ihrer Lust am Fußball tut dies keinen Abbruch. Tottis Vertrag bei der Roma läuft noch bis 2016, eine weitere Verlängerung wollte er jüngst nicht ausschließen.

Auch Lampard will noch spielen, solange er "mithalten kann". Dass er das momentan noch kann, hat er schon nach wenigen Wochen bei den Sky Blues bewiesen, jüngst wurde gar gemunkelt, er würde nicht wie vereinbart nach New York wechseln, sondern auch nach dem Winter in Manchester bleiben.

So oder so ist es aber absehbar, dass beide die Stiefel an den Nagel hängen. In Würde altern könnte man es nennen, was beiden in den Endzügen ihrer Karrieren vergönnt ist. Kein Zweifel, sie haben es sich verdient.

Zwei für die Ewigkeit

Noch ist nicht (ganz) Schluss