Der zweite Bildungsweg

Von Stefan Rommel
Andre Villas-Boas trainiert seit dem März 2014 Zenit St. Petersburg
© getty

So schnell der Stern von Andre Villas-Boas aufging, so schnell verglühte er auf der ganz großen Bühne auch wieder. Bei Zenit St. Petersburg wagt der Portugiese einen Neuanfang - bisher mit durchschlagendem Erfolg.

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Es ist ein wenig still geworden um Andre Villas-Boas. Vor ein paar Jahren war der Portugiese einer der begehrtesten Trainer des Planeten. Jung, ambitioniert, eloquent und vor allem überaus erfolgreich.

In Portugal pulverisierte Villas-Boas einen Rekord nach dem anderen. Mit dem FC Porto holte er vor drei Jahren die Meisterschaft und den Pokal und wurde im selben Jahr Europa-League-Sieger.

Nie zuvor hatte eine Mannschaft einen größeren Vorsprung auf den Zweiten wie Porto damals (21 Punkte), nie schaffte ein Team mehr Siege in Folge (16) und blieb wettbewerbsübergreifend 36 Spiele am Stück ungeschlagen. Porto marschierte damals ohne Niederlage durch die portugiesische Liga, was davor lediglich Benfica irgendwann in den 70er Jahren gelang.

Villas-Boas war damals erst 33 und damit jünger als einige seiner Spieler. Die halbe Welt war hinter ihm her. Der Portugiese mit britischen Wurzeln konnte sich den nächsten Karriereschritt aussuchen und wählte den FC Chelsea. Die Blues waren ein ambitioniertes Projekt, national dekoriert, aber international auf der Jagd nach dem ganz großen Wurf.

Fehlbesetzung bei Chelsea und den Spurs

Die ständigen Vergleiche mit seinem Ziehvater Jose Mourinho erleichterten einiges - und standen Villas-Boas doch immer auch im Weg. Genauso wie die 15 Millionen Euro Ablöse, die Chelsea an den FC Porto überweisen musste. Ein Novum in der Geschichte des Fußballs und selbstverständlich ein Rekord.

Der Überflieger der Trainergilde, er war bei den Britischen Jungferninseln einst der jüngste Nationaltrainer der Welt, scheiterte in London krachend. Und dann scheiterte er in London kurz danach gleich wieder. Weder beim FC Chelsea noch bei den Tottenham Hotspur wurde er glücklich. Die Spurs waren schon ein Rückschritt auf dem Weg nach ganz oben, bei Zenit St. Petersburg ist er vorerst in der Peripherie des europäischen Top-Fußballs angelangt.

Seit gut einem halben Jahr trainiert er in der Zarenstadt, für den einstigen Überflieger ist es eine Zwischenstation. In Russland hat er seine omnipräsente Art etwas abgelegt. Als er noch in England angestellt war, wollte er allen und jedem den Fußball erklären.

Pressekonferenzen mit AVB wurden zu Lehrstunden der Taktikanalysen - dabei wollte die Yellow Press doch nur hören, warum zur Hölle es gegen Wigan nicht zu drei Punkten reichen konnte.

London als Karriereknick

Villas-Boas war da schon nicht mehr der schlagfertige Emporkömmling, er wurde schnell zum Besserwisser und Alleserklärer eines Spiels, das letztlich doch auch auf den Faktor Zufall fußt. Villas-Boas verlor nach und nach die Entscheidungsgewalt über die Medien und auch den Zugriff auf seine Stars. Die Kabine machte sich selbstständig, Spieler wie John Terry, Frank Lampard oder Didier Drogba wandten sich nach und nach ab.

AVB unterschätzte die Macht der Ikonen und war nach nur acht Monaten an der Stamford Bridge schon wieder Geschichte. Eine nicht unwesentliche Rolle nahm dabei pikanterweise sein Nachfolger Roberto di Matteo ein.

Der hatte als ehemaliger Spieler der Blues und Co-Trainer unter Villas-Boas einen enormen Einfluss und kokettierte einigermaßen frech mit der Unerfahrenheit seines Vorgesetzten - um wenige Wochen später selbst Cheftrainer der Blues zu werden.

Bei den Spurs lief es ähnlich. Dem kurzfristigen Erfolg mit Platz fünf in der ersten Saison folgte der Absturz, nach einem erschütternden 0:5 an der White Hart Lane gegen den FC Liverpool musste Villas-Boas nach nur 18 Monaten gehen. Der zweite Tiefschlag innerhalb kürzester Zeit in der prominentesten Liga der Welt hat Spuren hinterlassen.

Neuanfang in Russland

Offiziell hatten er und die Spurs sich einvernehmlich getrennt, die Wahrheit aber war, dass sich Villas-Boas auch auf seiner zweiten Station in der Premier League nicht durchsetzen konnte. Mit den Niederlagen änderte Villas-Boas auch seinen Stil. Vom offensiven 4-3-3 blieb in England nicht mehr viel übrig, seine Mannschaften agierten mehr und mehr aus einer geordneten Defensive und orientierten sich am Gegner, statt selbst aktiv zu werden.

Als er bei den Spurs entlassen wurde, stand die Mannschaft auf Rang sieben, mit einem negativen Torverhältnis (minus sechs) und nur 15 erzielten Treffern nach 16 Spielen. Rückblickend spricht er von einer lehrreichen Zeit in England, aber das ist eben auch nur die halbe Wahrheit.

Auf der großen Bühne gilt Villas-Boas als vorerst gescheitert, der Stern ist ebenso schnell wieder verglüht, wie er aufgetaucht war. Nun also der Neuanfang in St. Petersburg, Russland, Premier Liga.

Weit weg von der Aufgeregtheit der Premier League und des ganz großen europäischen Fußballs, aber im Mikrokosmos der russischen Liga doch auch wieder ganz oben. Mit Zenit hätte er in der abgelaufenen Saison beinahe noch die Meisterschaft geholt, am Ende fehlte ein Punkt auf ZSKA Moskau.

Treffen mit alten Bekannten

Momentan führt Zenit die russische Liga an, nach zehn Spielen ungeschlagen und vor dem Dauerrivalen aus der Hauptstadt. Auch in St. Petersburg hat es Villas-Boas mit einer Armee an Stars zu tun, mit einem bestens alimentierten Kader: von Ezequiel Garay über Javi Garcia und Viktor Fayzulin bis Danny, Hulk und Jose Rondon.

Dazu noch Skandalnudel Andrej Arschawin und Größen wie Axel Witsel, Aleksandr Kerschakow und Nicolas Lombaerts - alle drei kamen am Wochenende gegen Krasnodar sogar nur von der Bank. Haudegen Anatolji Timoschtschuk füllt nur noch eine Nebenrolle aus.

Villas-Boas hat seine England-Erfahrungen aber tatsächlich zu seinen Gunsten eingesetzt. In Russland hält er sich auffällig zurück, seine Reputation soll im Stillen wieder wachsen. Er ist der Mann für die leisen Zwischentöne geworden. Dabei hilft ihm ganz sicherlich auch, dass er wichtige Stützen des Teams aus Portugal kennt, Kapitän Danny oder Hulk, selbst der Belgier Witsel, einst bei Portos Rivale Benfica unter Vertrag, findet nur lobende Worte für seinen Vorgesetzten.

"Andre Villas-Boas ist der richtige Trainer für uns. Er ist eine natürliche Autorität, sein Fachwissen ist enorm. Mit ihm haben wir wieder in die Erfolgsspur gefunden", sagt Witsel, dem bei der offenkundigen Revolte gegen Villas-Boas' Vorgänger Luciano Spalletti im Frühjahr aber auch eine nicht unwichtige Rolle zugewiesen wurde.

Zurück im Geschäft

Mit St. Petersburg ist Andre Villas-Boas jedenfalls wieder da vertreten, wo einer wie er dem Selbstverständnis nach auch hingehört: In der Königsklasse des Vereinsfußballs.

Die K.o.-Phase wird als Pflicht vorausgesetzt, selbst der am Ende wenig geliebte Spalletti schaffte es immerhin bis ins Achtelfinale gegen Borussia Dortmund.

Mit jedem Sieg in der Champions League ruft sich auch Andre Villas-Boas zurück ins Gedächtnis der Öffentlichkeit. "Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die sich jetzt aber beweisen muss", findet er. Man könnte das auch genauso über ihn sagen. Denn St. Petersburg kann bei allem Respekt nur eine Zwischenstation für einen wie ihn sein auf dem Weg zurück in die Spitze der europäischen Trainergilde.

Andre Villas-Boas im Steckbrief

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