Gary Neville ist ein Mann, der mit seiner Meinung nicht lange hinter dem Berg hält. Als TV-Experte ist es der ehemalige Verteidiger der Red Devils inzwischen gewohnt, sich regelmäßig mit ehemaligen oder noch aktiven Profis der englischen Premier League in die Haare zu bekommen.
Sei es Simon Mignolet, Thierry Henry, Louis van Gaal, Peter Schmeichel oder Daley Blind - Neville trägt seine Meinung unzensiert und ungefiltert vor sich her. Manch einer der angegriffenen Spieler holt sich Verstärkung, mancher schlägt selbst zurück.
David Luiz machte es auf seine Art und Weise. "Gary Neville - ich liebe dich", schrieb der brasilianische Verteidiger auf seinem Twitter-Profil. Der FC Liverpool hatte gerade den FC Chelsea (2:1) geschlagen und Luiz war im anschließenden Expertengespräch nicht gut weggekommen. "Er spielt, als würde er von einem 10-Jährigen an der Playstation bedient", wetterte Neville.
"Es fehlt ihm an Respekt"
Die Antwort auf die heftige Kritik passt in das Gesamtbild, das Luiz vermittelt. Ein Wuschelkopf mit breitem Grinsen, der gerne in die Kamera zwinkert. Jemand, der sich nicht viele Sorgen macht, der befreit spielt und andere gerne reden lässt.
Der Brasilianer ist aber auch ein sehr emotionaler Spieler. Als Kapitän und Führungsspieler vermag er es, Spieler mitzureißen und ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Er erinnert ein wenig an die alte Jogo-Bonito-Clique um Ronaldinho, Roberto Carlos und Ronaldo. Mit viel Spaß am Fußball und einer eigenen Vorstellung davon, wie man den Sport unter ständiger Beobachtung angeht.
Ein paar Monate später war Luiz doch etwas ernster aufgelegt: "Ich kenne Neville als einen sehr guten Spieler der Vergangenheit, aber manchmal fehlt es ihm an Respekt. Neville sagt schlecht, andere sagen gut. Ich zeige einfach meine Arbeit auf dem Platz. Das ist meine Antwort."
Für 60 Millionen nach Paris
Tatsächlich lieferte der Brasilianer auf dem Platz, was man von einem Spieler seiner Preisklasse erwartete. Unter Andre Villas-Boas und Roberto Di Matteo war David Luiz die meiste Zeit gesetzt in der Abwehrzentrale des FC Chelsea. 40 Einsätze waren es in der Saison 2011/12, drei Tore erzielte er dabei. Beim wichtigsten Erfolg der Klubgeschichte wuchtete er seinen Elfmeter krachend an Manuel Neuer vorbei.
Das Achtelfinale der Champions League
Kurz gesagt: Luiz wurde den Erwartungen an einen 27-Millionen-Transfer gerecht. Schon damals einer der teuersten Verteidiger der Geschichte wechselte er zu Beginn der Saison 2014/15 nach Frankreich zu Paris Saint-Germain und durfte sich mit knapp 60 Millionen Euro endgültig die Krone des teuersten Defensivspezialisten der Welt aufsetzen.
In London war man der Meinung, ein sehr gutes Geschäft gemacht zu haben. "Wir werden ihn als Innenverteidiger nicht vermissen, wir hatten die ganze Saison bereits John Terry und Gary Cahill", sagte Blues-Trainer Jose Mourinho und fügte an: "Aus sportlicher Sicht glauben wir, dass unser Kader besser ist als in der letzten Saison."
Freigeist gegen die Mannschaft
Mit Mourinho war Luiz nie warm geworden. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Der portugiesische Trainer setzt auf Disziplin und mannschaftsdienliches Verhalten. Luiz ist ein Freigeist, was ihm in seinen letzten beiden Jahren in London zunehmend als Schwäche ausgelegt wurde. Unter Di Matteo noch Innen- oder notfalls Rechtsverteidiger, wurde er von Rafa Benitez zum Mittelfeldspieler gemacht.
Keine ungewohnte Rolle eigentlich für ihn und doch begann mit diesem Positionswechsel die Abschiedstour aus London. Das aggressive Herausrücken des Brasilianers aus der Zentrale, die teils wilden Ausflüge mit Ball und individualtaktische Mängel wurden mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
Luiz definiert sich viel über seine Physis und seine Laufstärke. Er ist ohne Zweifel stark in der Luft und unerbittlich im Zweikampf am Boden. Dazu kommt ein unfassbar gutes Timing bei Tacklings - doch die vielen kleinen Aussetzer, die er sich im Laufe von 90 Minuten leistet, ob groß oder klein, wurden Thema Nummer eins an der Stamford Bridge.
Auf Spurensuche in Brasilien David Luiz im Video-Porträt
Freigeist für die Mannschaft
Unter Mourinho wurde schnell klar, dass Luiz nur noch eine ergänzende Rolle spielen würde. "Im Mittelfeld war er ein physisch immer präsenter Typ, der uns wichtige Dinge verliehen hat. Aber diese Saison haben wir Nemanja Matic, also verlieren wir diese Physis nicht", stellte The Special One nach einem Jahr fest. Er wolle sich mit dem Mittelfeld aus Matic und Cesc Fabregas in "eine andere Richtung" entwickeln.
Ein wenig zerknirscht verabschiedete sich Luiz Richtung Paris: "Ich muss daran glauben, dass Teams wie Chelsea mich vermissen werden. Ich bin nicht arrogant, aber ich vertraue auf meine eigenen Fähigkeiten."
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Eben jene Fähigkeiten weiß man sich in Frankreich zunutze zu machen, so wie es auch schon Andre Villas-Boas geplant hatte. Die Defensivstärke von Luiz ist unbestritten und so gilt es für PSG nun das zu tun, was man auch vor Jahren mit Ronaldinho tat: Stärken betonen und Schwächen auffangen. Mit den Landsmännern Marquinhos und Thiago Silva stimmt die Chemie, ebenso mit Maxwell auf der linken Seite.
Luiz darf in Paris seine Rolle ausleben. Als ein Verteidiger, der sich gerne aus der Kette löst, der mit viel Risiko nach vorne verteidigt und einen starken Drang hat, Richtung gegnerisches Tor zu marschieren. Dann decken ihm andere Spieler aus dem Konstrukt den Rücken, sei es wie in der Champions League Marquinhos als Art letzter Mann oder wie in der Liga Yohan Cabaye.
"Gebe mein Herz auf dem Rasen"
"Ich arbeite viel, suche jedes Tackling, ich gebe mein Herz auf dem Rasen", hatte Luiz damals auf die Kritik von Gary Neville geantwortet. . Dass er dabei ebenso wertvoll wie auch gefährlich für seine Mannschaft sein kann, hat die Welt spätestens beim 1:7 bei der WM gegen Deutschland gesehen, als er immer wieder völlig unkontrolliert nach vorne rannte und als Verteidiger im Zentrum ausfiel. Diese Spielweise hat ihm einen zweifelhaften Ruf eingebracht.
Irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn muss er letztlich eingeordnet werden. Ein Spieler, der in einem auf ihn ausgerichteten System voll aufgeht, ohne Absicherung allerdings eine Gefahr für das eigene Team darstellen kann. "Heute bin ich Teil einer Mannschaft, die viel Ballbesitz hat. Wir lieben es, ein Spiel zu kontrollieren", stellt er die ideale Umgebung für sich selbst fest.
Mit dem Wechsel zu Paris hat Luiz vieles richtig gemacht, einen echten Beweis, die Ablösesumme, die er auf den Schultern trägt, auch wert zu sein, lieferte er spätestens im Hinspiel gegen den FC Barcelona (3:2). Nicht nur, dass ihm nach einem Standard der Ausgleich zum 1:1 gelang, er zeigte auch, dass er in der Lage ist, seinen eigenen Hitzkopf bisweilen im Griff zu halten.
Den Hitzkopf im Griff
Kein einziges Foul leistete sich Luiz gegen die Katalanen, zu keiner einzigen Grätsche setzte er an, keinen einzigen Ball verlor er in einem seiner typischen, taktisch völlig aus dem Gesamtbild gerissenen Sololäufe. "Ich versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen - vor allem für den Nachwuchs", sagte er im Anschluss und hob die Zusammenarbeit mit Marquinhos hervor.
Tatsächlich agierten die beiden stark im Team. Luiz rückte aus der Kette heraus, eroberte viele Bälle im Mittelfeld, während er von Marquinhos und leicht einrückenden Außenverteidigern abgesichert wurde. Bei jeder erfolgreichen Aktion seines jungen Nebenmannes war Luiz sofort zur Stelle und drückte Marquinhos, nur um ihn danach wieder zu pushen.
Das soll auch gegen den FC Chelsea so wieder klappen. "Jeden Tag denkst du über ein mögliches Finale und das Gefühl, den Pokal in den Armen zu halten. All dies spornt einen an. Jeden Tag, in jeder Sekunde des Trainings. Für dieses Ziel bringt man eine Menge Opfer", erklärt Luiz. Er hat sein Opfer für das Team gebracht und ist bereit, es wieder zu tun.
David Luiz im Steckbrief