Zehn Mal schoss Luiz Adriano in der aktuellen Champions-League-Saison auf das gegnerische Gehäuse, neun Mal klingelte es. Mit seinen Toren hat der Brasilianer allerdings nicht nur maßgeblichen Anteil am Achtelfinaleinzug der Ukrainer, sondern verewigte sich zudem auch in den Geschichtsbüchern der Königsklasse. Während der 27-Jährige inzwischen von halb Europa gejagt wird, haftet dennoch ein Makel an seiner Karriere.
Ein Schandfleck, den auch die überzeugenden Leistungen der vergangenen Jahre nicht gänzlich zu tilgen vermochten. Am fünften Spieltag der CL-Spielzeit 2012/13 umkurvte Adriano in der 26. Minute Nordsjaellands Keeper Jesper Hansen. Der geschlagene Schlussmann konnte lediglich entgeistert zusehen, wie der Stürmer ohne Probleme zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich einschob.
Es folgten Sekunden, in denen nicht nur die Spieler der Dänen eine Erklärung für das Geschehene suchten, sondern auch die eigenen Teamkollegen den Brasilianer fassungslos anstarrten. Allesamt waren sie Zeugen einer Darbietung geworden, die noch lange für Diskussionen sorgen sollte.
Entscheidung mit Folgen
Denn kurz vor dem Treffer Adrianos hatte der französische Schiedsrichter Antony Gautier nach einer Verletzungsunterbrechung in der Hälfte der Ukrainer auf Schiedsrichterball entschieden. Eine Entscheidung, wie sie häufig vorkommt. Nichts Ungewöhnliches also, eher der Beginn einer wohlbekannten und mehr oder weniger standardisierten Prozedur.
Auch die Tatsache, dass Schachtjors Willian das Leder in einem hohen Bogen in Richtung Gehäuse der Hausherren spielte, folgte noch den üblichen Gepflogenheiten im Sinne des Fair Plays. An der Stelle, an der in der Regel der anerkennende Applaus von den Rängen einsetzen sollte, blieb es jedoch still.
Völlig aus dem nichts war Adriano in den freien Raum gestartet, hatte sich den Ball gesichert und zum Ausgleich vollstreckt. Obwohl in diesem Moment sämtliche Fair-Play-Richtlinien mit Füßen getreten wurden, hatte Gautier aufgrund des offiziellen Reglements keine andere Wahl, als den Treffer anzuerkennen. Das Drama nahm seinen Lauf.
"Luiz sagte, er hätte nicht mitbekommen, wer den Pass gespielt hätte. Er dachte, es wäre ein Spieler von Nordsjaelland gewesen", versuchte Schachtjors Kapitän Darijo Srna im Anschluss an die Partie, die sein Team mit 5:2 gewann und in der Adriano noch zwei weitere Treffer erzielte, zu rechtfertigen. Allerdings war der Treffer erst der Beginn einer Farce, welche sich über drei Akte erstreckte.
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Einsicht? Fehlanzeige!
Denn auch als Adrianos Mitspieler das Fehlverhalten korrigieren und den Dänen direkt nach Wiederanpfiff die erneute Führung schenken wollten, trat der Torschütze in Erscheinung. Wild gestikulierend lief er auf die eigene Abwehrreihe zu und fand in Taras Stepanenko einen Verbündeten, der den "Angriff" unterband. Die Schande von Farum war perfekt.
Doch damit nicht genug. Bei seiner Auswechslung verabschiedete sich der Brasilianer mit höhnischem Klatschen in Richtung der heimischen Fans, die ihn mit lautstarken Pfiffen geradezu überschütteten. Von Einsicht oder gar Reue war keinerlei Spur. "Ich bin froh über all meine Tore, auch über das erste", gab Adriano später gegenüber eines Journalisten zu Protokoll.
Mainz-Coach Kasper Hjulmand, der damals als Trainer Nordsjaellands an der Seitenlinie stand, fand aufgrund des Verhaltens klare Worte: "In meiner Welt war dies ein unsportliches Verhalten und eine Rote Karte wäre angemessen gewesen. Wenn wir es mit Fair Play ernst meinen, müssen wir gegen so etwas hart vorgehen."
Donezk-Trainer Mircea Lucescu widersprach vehement. "Haben sie jemals Fußball gespielt, dass sie mich so etwas fragen?", fuhr er einen Journalisten an: "In einem Fußballspiel passieren nun einmal Fehler, und Adriano hat einen davon gemacht." Adriano entschuldigte sich halbherzig über die Social-Media-Kanäle seines Klubs und auch die UEFA beließ es letztlich bei einer Sperre von einem Spiel. Einen Image-Schaden trug er dennoch davon.
Es geht auch anders
Was bei all dem Trubel um die Geschehnisse im Farum Park stets etwas in den Hintergrund zu treten scheint, ist die Tatsache, dass Adriano solche Mittel eigentlich gar nicht nötig hat. Der 27-Jährige, der einen maßgeblichen Anteil an der Entwicklung Donezks hat, überzeugt nach kurzen Anlaufschwierigkeiten seit Jahren im Trikot der Ukrainer. Kein Spieler der Vereinsgeschichte hat mehr Treffer auf dem Konto als die aktuelle Nummer neun.
Nach seinem durchaus riskanten Wechsel von SC Internacional Porto Alegre, wo er in seinem ersten Jahr als Profi entscheidend am Gewinn der Klub-WM gegen den FC Barcelona mitwirkte, auf einen anderen Kontinent, sicherte sich Schachtjor nicht nur nationale Titel, sondern 2009 auch den UEFA Cup. Vor allem Anhänger des damaligen Finalgegners Werder Bremen dürften den Angreifer in keiner guten Erinnerung haben.
Seine größte Waffe auf dem Feld war dabei seit jeher sein Instinkt. Adriano vermag es ohne nachzudenken die richtigen Wege zu laufen und sich durch seine guten Bewegungen immer wieder in aussichtsreiche Positionen zu bringen. Gekoppelt mit einer hohen Geschwindigkeit und exzellenten technischen Fähigkeiten untermauert eine überdurchschnittliche Trefferquote von 121 Toren in 253 Spielen für die Ukrainer sein immenses Potenzial.
Dass dies in der als schwach zu charakterisierenden ukrainischen Liga der Fall ist, verwundert wenig. Allerdings bestätigen 21 Treffer in 43 Partien auch auf der größtmöglichen europäischen Bühne, der Champions League, sein Können. Eingebettet in ein Team voller Landsmänner wie Fernando oder Douglas Costa, die laut eigener Aussage wie eine Familie in einem fremden Land fungieren, schaffte er es in dieser Saison deshalb sogar in die Geschichtsbücher.
Rekorde en masse
Sehr zum Leidwesen des Gruppengegners BATE Borisov. Stolze fünf Treffer schenkte Adriano im vergangenen Oktober beim 7:0-Erfolg den Weißrussen ein. Zusammen mit Messi hält der Brasilianer seit dem dritten Spieltag der Gruppenphase somit den Rekord für die meisten Tore in einem Spiel der Königsklasse. Während der mehrmalige Weltfußballer bei Barcas 7:1-Sieg gegen Bayer Leverkusen in der Saison 2011/12 fünf Mal traf, zerlegte Adriano BATE.
Doch damit nicht genug: Der Brasilianer war ebenso der erste Akteur, der vier Treffer in einer Halbzeit erzielte - und das in nur 17 Minuten. Drei davon verbuchte er gar innerhalb von acht Minuten und sicherte sich somit die Bestmarke für die schnellsten drei Tore in Serie der Champions-League-Geschichte. Zudem schoss nie zuvor ein Spieler in 54 Minuten fünf Treffer.
Im Rückspiel beließ er es dann bei gnädigen drei Toren und stellte selbst damit einen Rekord auf. Adriano war der Erste, dem in zwei aufeinanderfolgen CL-Spielen mindestens drei Treffer gelangen und zwar jeweils als lupenreiner Hattrick. Zwar waren die großen europäischen Vereine bereits vor dieser grandiosen Vorstellung an ihm dran, doch dürften sich so manche Bemühungen im Anschluss zumindest etwas intensiviert haben.
Der Lohn der Arbeit
Unabhängig von seiner Zukunft auf Vereinsebene hat er sich seinen größten Traum allerdings bereits erfüllt. Durch seine Leistungen konnte sich Adriano, der nach eigener Aussage vor allem Romario und Ronaldo nacheifert, ganz nebenbei in den Fokus von Brasiliens Nationaltrainer Dunga spielen. Nach dem desolaten Ende der Heim-WM befindet sich die Nationalmannschaft im Umburch, Schachtjors Angreifer scheint eine ernsthafte Option zu sein und absolvierte in den Testspielen gegen die Türkei und Österreich erste Auftritte.
"Ich bin an einem sehr wichtigen Punkt meiner Karriere", übt sich der zweifache Nationalspieler anschließend in Zurückhaltung: "Die Arbeit der letzten Jahre bei Schachtjor hat mich in diese Position gebracht." Die Nominierung habe ihn dennoch überrascht - und motiviert.
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München als große Chance
Denn bei zwei Partien im Dress der Selecao soll es nicht bleiben. Das Achtelfinale gegen Bayern München kommt deshalb gerade recht. Gegen den großen Favoriten aus München bietet sich nämlich nicht nur die Chance, die skandalträchtige Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen, sondern auch gegen eine der besten Mannschaften der Welt Werbung in eigener Sache zu machen.
"Sie sind eines der besten Teams Europas. Wir müssen sehr vorsichtig an die Sache herangehen und uns sehr genau auf die anstehende Aufgabe vorbereiten", zeigte sich der Führende der Torschützenliste entsprechend angriffslustig: "Ich denke nicht, dass es unmöglich für uns ist, sie zu schlagen. Wenn wir unsere Stärken aufs Feld bringen, können wir gewinnen."
Ein Weiterkommen wäre wohl eine der größten Sensationen der Königsklasse. Doch selbst die Tatsache, dass Schachtjor aufgrund des Krieges in der Ost-Ukraine im weit entfernten Lemberg antreten muss, ändert nichts am Selbstvertrauen des Brasilianers, der mit einem Treffer mit den besten brasilianischen Torschützen der Champions League gleichziehen würde. Nur Rivaldo, Mario Jardel und Kaka trafen bislang in einer Spielzeit zehn Mal in der Champions League. Wer Geschichte schreiben will, so Adriano, für den spiele der Ort nur eine untergeordnete Rolle.
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