"Van Gaal sorgte für einen Aha-Effekt"

Andreas Lehner
06. Juni 201516:16
Louis van Gaal verlor mit dem FC Bayern das CL-Finale 2010 gegen Inter Mailandgetty
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Wolff Fuss kommentiert am Samstag das Champions-League-Finale zwischen Juventus Turin und dem FC Barcelona (20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Im Interview spricht der Sky-Kommentator über das Endspiel, die Arbeit des Kommentators, Kritik der Zuschauer und ein besonderes Erlebnis mit Louis van Gaal.

SPOX: Herr Fuss, Sie kommentieren am Samstag das Champions League-Finale Juventus Turin gegen den FC Barcelona. Aufgeregt?

Wolff Fuss: Nein, eigentlich nicht. Eher voller Vorfreude. Aber am Ende ist es nur ein Fußballspiel, elf gegen elf - ohne das jetzt kleinreden zu wollen. Das Besondere ist, dass das Spiel in Deutschland stattfindet, in einem Stadion, in dem ich schon bei Hertha gegen Freiburg saß und es bei 35.000 Zuschauern recht zugig war. Jetzt weiß man, das Ding ist voll, es ist alles sehr feierlich und die beiden größten Mannschaften Europas spielen gegeneinander.

SPOX: Sind Juve und Barca für Sie aktuell auch die beiden besten Teams?

Fuss: Barcelona zählte spätestens mit Beginn der Rückrunde zu den absoluten Top-Favoriten. Juventus, da erzähle ich nix Neues, gehörte nicht zum ultimativen Favoritenkreis. Aber das ist eine Mannschaft, die sportlich in der Lage ist, die Größten der Welt zu schlagen und wenn sie das tut, dann steht sie nicht verbotenerweise dort, wo sie steht.

SPOX: Das Spiel wurde schnell unter dem Motto "Kampf der Systeme" angepriesen: Stereotyp oder Wahrheit?

Fuss: Es trifft ein Stück weit die Wahrheit, weil die vielleicht spielstärkste Mannschaft der Welt auf die beste Defensivreihe trifft. Man kann die Partie auf eine Aussage zuspitzen: Es gibt eine Mannschaft in Europa, die sich vor Barca nicht fürchten muss, und das ist Juventus Turin. Klar sagt jeder, Juve ist Außenseiter, aber schauen Sie ins Gesicht von Buffon und Sie sehen keinen Außenseiter. Das gilt auch für Pirlo, Tevez oder Vidal, da kann man alle aufzählen. Wenn ich zu Vidal sage, Juventus ist Außenseiter, lacht er sich kaputt. Im Grunde ist es ein Duell, in dem alles passieren kann und damit kann's kein besseres Finale geben.

SPOX: Zählt das Finale auch für einen Kommentator zu den Highlights der Karriere? Und denkt man vielleicht auch nochmal seine Anfänge zurück, als man mitten in der Nacht bei DF1 quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommentiert hat?

Fuss: Ein Champions-League-Finale ist immer ein Highlight. In solchen Flashbacks lebe ich allerdings nicht. Ich sehe auch nicht die Notwendigkeit, sagen zu müssen, jetzt habe ich es geschafft. Wenn ich das Stadion betrete, habe ich das Gefühl, dass ich richtig bin. Ich freue mich aber auch auf jedes Bundesligaspiel.

SPOX: Der Job sind ja nicht nur die 90 Minuten Spiel, es steckt auch eine Menge Arbeit im Vorfeld drin. Wie sieht die Vorbereitung auf das Finale konkret aus?

Fuss: Es gehört zu meiner täglichen Arbeit, sich über die Großen in Europa zu informieren. Wenn feststeht, du kommentierst das Finale, steigst du bei diesen beiden Mannschaften noch mehr in die Tiefe ein. Ich schaue mir Meilenstein-Spiele der Saison nochmal an, spreche mit Trainern, die mit beiden Mannschaften in dieser Saison zu tun hatten. Außerdem haben wir mit Opta auch einen Datenlieferanten, der uns mit 139 Seiten Information versorgt. Mein Anspruch ist, in ein Spiel zu gehen und auf alles vorbereitet zu sein. Wenn Juventus den dritten Torhüter einwechselt, will ich wissen, was der in seinem Leben bisher gemacht hat. Die Vorbereitung ist die Hauptarbeit, die 90 Minuten sind dann nur noch pure Freude.

SPOX: Mit den Trainern deutscher Teams können Sie als Kommentator auch Einzelgespräche vor dem Spiel abseits der öffentlichen Pressekonferenz führen. Ein großer Vorteil in der Vorbereitung, oder?

Fuss: Ja, nur Guardiola spricht nicht. Es ist schade, dass sich Guardiola in diesem Punkt verschließt. Jupp Heynckes hat die Gespräche gemacht, Louis van Gaal auch. Wobei ich Guardiola verstehen kann, er hat zum Teil schlechte Erfahrungen mit der spanischen Presse gemacht. Van Gaal musste man ebenfalls in extremem Maße daran gewöhnen. Er brauchte eine gewisse Zeit, um Vertrauen zu gewinnen. Wenn man das Vertrauen aber hat, kann man extrem davon profitieren.

Wolff Fuss kommentiert für Sky das CL-Finale Juve vs. Barcagetty

SPOX: Können Sie ein Beispiel nennen?

Fuss: Van Gaal hat mir beispielsweise auf dem Platz Dreiecke gezeigt, die ich bis dahin nie gesehen hatte. Er hat mir erklärt, wie Einwürfe zugestellt werden. Und dann gab es diese eine Situation mit Manchester United. Er sagte zu mir: ‚Sie müssen aufpassen, Manchester United spielt den ersten Ball nach dem Anstoß immer lang rechts raus, das habe ich meinen Spielern gesagt.' Viertelfinalhinspiel in München. Anstoß Manchester United. Ein bisschen Gefimmel im Mittelfeld, langer Ball rechts raus, Foul Badstuber. Da sah ich ihn schon unten in sein Häuschen beißen.

SPOX: Nach dem fälligen Freistoß erzielte Rooney das 0:1.

Fuss: Und van Gaal flippt an der Seitenlinie total aus. Ich konnte dem Zuschauer erzählen, warum er so ausflippt. Das war eine Information, die dir als Reporter normalerweise verschlossen bleibt, weil du eine Mannschaft im Tagesbetrieb nicht so akribisch auseinander nehmen kannst. Dazu bräuchtest du eine eigene Scoutingabteilung. Van Gaal hat mich an seinen Gedanken teilhaben lassen. Er sorgte bei mir für einen Aha-Effekt. Man redet ja häufig über Matchpläne, in diesem Fall habe ich gesehen, wie viele Gedanken sich Trainer vor einem Spiel machen.

Seite 1: Fuss über das CL-Finale und sein Aha-Erlebnis mit van Gaal

Seite 2: Fuss über Kommentatoren-Kritik und den Unterschied zum Musikantenstadl

SPOX: Wie sieht der Matchplan des Kommentators aus: Legen Sie sich eventuelle Kommentarstrategien zu Recht?

Fuss: Überhaupt nicht. Ich gehe komplett verlaufsoffen an das Spiel. Ich erwarte nichts und erhoffe alles. Es gibt kein Drehbuch, keinen Plan, nichts Vorbereitetes. Man kann sich statistisch gesehen auf alle Eventualitäten vorbereiten und muss dann den Mut haben, 95 Prozent in die Wupper zu werfen.

SPOX: Ist Spontanität und Schlagfertigkeit die zentrale Komponente als Kommentator?

Fuss: Um nichts anderes geht es. Rhetorisch hübsch verpackt und mit fußballerischem Sachverstand.

SPOX: Kann man sich diese Qualitäten antrainieren oder waren Sie schon in der Schule nicht auf den Mund gefallen?

Fuss: Ich habe immer viel und gerne geredet, aber auch viel dummes Zeug, ehrlich gesagt.

SPOX: Das sollte man als Kommentator abstellen.

Fuss: Vielleicht muss man mal etwas Grundsätzliches sagen: Kommentatoren machen nicht absichtlich Fehler. Der Job wird von unserem Berufsstand in Deutschland gut ausgeführt. Wesentlich besser, als häufig dargestellt.

SPOX: Warum fällt die Kritik an den Kommentatoren dann so heftig aus? SPOX

Fuss: Die Wahrheit im Fußball gibt's nicht, deshalb diskutieren wir so gerne, heftig, vehement und emotional. Und das ist alles vollkommen okay. Du kannst es als Kommentator nicht allen Leuten rechtmachen. Wenn du versuchst, es allen Leuten rechtzumachen, machst du es auf jeden Fall falsch. Ich muss in Kauf nehmen, dass nicht alle Leute gut finden, was ich mache. Ich versuche, 90 Minuten das Spiel zu genießen und Spaß zu haben. Wenn der Zuschauer auch Spaß hat, freue ich mich. Aber dass alle Spaß haben, ist eine Utopie.

SPOX: Hat die Kritik an Kommentatoren in den letzten Jahren zugenommen?

Fuss: Ich glaube, dass sich die Zuschauer in den 60er und 70er Jahren genauso über den Kommentator aufgeregt haben, aber das passierte im heimischen Wohnzimmer. Heute wird viel in Rudeln geguckt und es wird sich gerne über soziale Netzwerke unterhalten. Dort musst du deine Gedanken idealerweise schnell, in relativ kurzer, knapper, zugespitzter Form emotional hochgekocht wiedergeben.

SPOX: Das führt dazu, dass manche den Fuss Weltklasse und manche unterirdisch finden.

Fuss: Genau. Man muss sich im Klaren sein: Wenn ich den Musikantenstadl nicht mag, dann gucke ich ihn nicht. Wenn ich ein Spiel gucken will, bleibt mir nichts anderes übrig, als den Kommentator zu schlucken. Ich nehme ihn sogar in meine Privatsphäre auf, wenn ich mit meinen Kumpels das Spiel gucke. Das ist ja verrückt. Die Konstellation gibt es so im normalen Leben nicht. Stellen Sie sich vor, Sie machen zuhause eine Feier und es kommt einfach einer, der sich dazusetzt und mitquatscht, obwohl Sie ihn vielleicht gar nicht dabei haben wollen. Deshalb kann ich sehr gut akzeptieren, dass es Leute gibt, die sagen, den mögen wir nicht so gerne.

SPOX: Das Thema hat in diesem Jahr aber schon dramatische Dimensionen angenommen. Ihr Kollege Marcel Reif wurde heftig angegangen.

Fuss: Tätliche Attacken kann ich nicht akzeptieren, da hört für mich der Spaß auf. Wir müssen uns klarmachen, worüber wir reden. Bei allem Respekt vor Emotionen, es ist nur Fußball. Der Weltfrieden wird nicht behandelt, der Hunger in der Welt wird nicht bekämpft, da haben wir ganz andere Themen, über die man wesentlich emotionaler reden kann und sollte, als über ein Fußballspiel. Ich persönlich hatte bisher mit Fans überhaupt keine Probleme und es kommt oft zu netten Begegnungen.

SPOX: Fans, die sich über Kommentatoren aufregen, sehen ihren Verein meist ungerecht behandelt. Dabei ist die Nähe zwischen Journalisten und Protagonisten vor allem im TV-Bereich immer wieder Thema. Sind Kommentatoren distanziert kritisch oder schon Teil der Show?

Fuss: Auch hier ist es so: Kein Kommentator bevorteilt oder benachteiligt bewusst einen bestimmten Verein. Natürlich ist man Teil des Fernseherlebnisses, nur die Show machen andere. Das Spiel macht den Kommentar, nicht umgekehrt. Trotzdem lässt es sich in der Zusammenarbeit mit Klubs nicht vermeiden, dass man Leute mag oder sogar freundschaftliche Beziehungen entwickelt. Wenn man respektvoll mit den Menschen umgeht und da geht's auch mal um einen flapsigen Spruch, ist alles in Ordnung. Dann kann man ein sehr gutes Miteinander pflegen, ohne sich mit der Sache gemeinzumachen. Die Show machen die Protagonisten, wir die Begleitmusik, im Idealfall mehr Dur als Moll.

SPOX: Wie kritisch können TV-Medien überhaupt sein, wenn sie die Rechte für das Programm für mehrere hundert Millionen Euro erwerben?

Fuss: Kritische Berichterstattung spricht ja nicht gegen das Produkt. Es geht um journalistisches Abbilden. Ich bin bei Sat.1 damals als Box-Kommentator zurückgetreten, weil ich gesagt habe: das Zirkuspferd mache ich hier nicht. Wenn ich ein Spiel nicht gut finde, dann sage ich es auch. Da kommt keiner im Sender auf die Idee, mich zu geißeln. Trotzdem ist es meine rhetorische Verantwortung, den Leuten das Spiel so zu verkaufen, dass sie sich zumindest noch ein Stück weit unterhalten fühlen. Ich könnte natürlich auch sagen: Schaltet die Glotze aus! Aber dann hätte ich meinen Job verfehlt, dafür machen wir ja Fernsehen. Ich muss versuchen, den Zuschauer über dürre Phasen des Spiels hinwegzuhelfen, was aber nicht bedeutet, dass ich das Spiel nicht kritisieren kann.

SPOX: Bei Sky wird schon viel mit taktischen Einblendungen und Schalten an den Spielfeldrand gearbeitet. Wird sich die Arbeit des Kommentators weiter in diese Richtung verändern?

Fuss: Wir versuchen, den Leuten das Fernseherlebnis so angenehm wie möglich zu machen und sie am Spiel teilhaben zu lassen. Es ist ein unschätzbarer Mehrwert, einen Mann unten stehen zu haben, der gerade gesehen hat wie Spieler X auf der Trage abtransportiert wurde oder vielleicht sogar mit dem Arzt gesprochen hat. Genauso wertvoll ist es, wenn man dem Zuschauer über ein schöne Grafik erklären kann, wie sich die Dreier- oder Viererkette verschiebt. Wir Journalisten sind die Fachidioten und nehmen das einfach so wahr. Aber wir haben auch Zuschauer, die nur zu speziellen Events einschalten - wie beim CL-Finale. Und diese Leute muss ich etwas mehr an die Hand nehmen.

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