Es war kein Geringerer als Pep Guardiola, der am Spielfeldrand ausdrucksstark die Augenbrauen hob und anerkennend applaudierte - die Verdutztheit in seinem Gesicht war so extrem, dass seine Mimik fast schon sarkastisch anmutete. Doch sein Respekt und seine Bewunderung für das Gesehene waren echt. Karim Bellarabi hatte Pep gerade überzeugt.
Für Leverkusen war es wohl der einzige Highlight-Moment in einem durchweg enttäuschenden Spiel: Am linken Strafraum-Eck nahm Bellarabi Tempo auf, spielte den kurzen Doppelpass mit Simon Rolfes und schlenzte den Ball dann aus gut 13 Metern in den langen Winkel. Ein optisches Schmankerl - zum 1:7 aus Bayer-Sicht.
Als sich Guardiola wieder gefangen hatte, wanderte sein Blick rüber zu seinem Trainerkollegen Robin Dutt. Applaus, Applaus. "Da hast du einen feinen Spieler", schien ihm der Barca-Coach über seine Blicke vermitteln zu wollen. Einige Momente später lagen sich die Trainer lachend in den Armen - Bellarabi sei dank.
Neun Sekunden prägten ein ganzes Jahr
Doch Bellarabis Äußerungen nach der Partie ließen vermuten, dass er den persönlichen Erfolg über den Mannschaftsgedanken stellte: "Das ist ein großer Moment für mich", sprach der Deutsch-Marokkaner in die Mikros. Völler nahm es ihm übel. Die eigenwillige Interpretation des Ehrentreffers ließ die Wirkung des Tors abrupt verpuffen.
Das Achtelfinal-Rückspiel am 7. März 2012, in dem Bayer überdeutlich seine Grenzen aufgezeigt bekam, war das letzte Aufeinandertreffen zwischen der Werkself und Barca. Am Dienstag (20.45 Uhr im LIVETICKER) gibt es das Wiedersehen. Auch für Bellarabi - wenngleich sich die persönlichen Vorzeichen seither deutlich verändert haben. Denn Bayers Flügelstürmer hat das ereignisreichste und auch wichtigste Jahr seiner Karriere hinter sich.
Neun Sekunden prägen ein Jahr
Betrachtet man nur die letzte Saison, ist "rasant" wohl eines der passendsten Worte, um den Durchbruch des 25-Jährigen zu beschreiben. Gerade einmal neun Sekunden war die Spielzeit 2014/15 alt, als Bellarabi vor BVB-Keeper Mitch Langerak auftauchte und die Kugel zum schnellsten Bundesliga-Tor der Geschichte ins Tor grätschte.
Viel charakteristischer war jedoch das 2:0, das Bellarabi vorbereitete: Durch seinen großen Einsatz und seine Entschlossenheit erkämpfte sich der Flügelspieler den Ball von Erik Durm, zog mit Tempo in Richtung Strafraum und bediente Kießling dann perfekt in den Lauf. Der Bellarabi-Hype hatte begonnen - und er ebbte bis Saisonende nie mehr so wirklich ab.
Zwölf Tore und neun Vorlagen gelangen dem Überflieger letztlich in der Liga. Seine Profi-Kollegen wählten ihn zum Aufsteiger des Jahres - noch vor Kevin De Bruyne. Die neun Sekunden zu Saisonbeginn hatten sein ganzes Jahr geprägt.
Ruf des Potenzial-Verschleuderers
Dabei war lange Zeit gar nicht klar, wie Leverkusen mit dem Rückkehrer plante. Uneinigkeit herrschte beim Werksklub, nachdem Bellarabi aufgrund seiner enttäuschenden Entwicklung für ein Jahr nach Braunschweig zurück verliehen wurde - dem Verein, bei dem er 2011 so sehr auf sich aufmerksam gemacht hatte, dass sich Bayer ursprünglich für ihn entschieden hatte.
In Leverkusen konnte sich der Individualist aber nie dauerhaft durchsetzen. Kleinen Ausrufezeichen folgten immer wieder mehrere Fragezeichen. Es entwickelte sich der Ruf des unsicheren, unzuverlässigen Nachwuchsspielers, der sein Potenzial verschleuderte.
Doch in Braunschweig gelang ihm die Rehabilitation. Er hatte großen Anteil daran, dass die Eintracht in der Bundesliga bis zuletzt Chancen auf den Klassenerhalt hatte. Die große Frage war aber nach wie vor: Kann er das Gezeigte auch in Leverkusen abrufen - und dann auf das nächste Level hieven?
Persönlicher Glücksfall Schmidt
Er konnte. Vor allem dank seines persönlichen Glücksfalls Roger Schmidt. Mit der Ankunft des Trainers 2014 setzte sich in Leverkusen der Hang zum offensiven Tempofußball fest - ein Spiel, das auf Bellarabis Eigenschaften wie zugeschnitten ist. "Ohne ihn stünde ich nicht da, wo ich bin", sagt auch Bellarabi selbst: "Ein solches Vertrauen wie das von Roger Schmidt habe ich noch nie genossen. Ich werde alles tun, um dies an ihn und an Bayer zurückzuzahlen."
Schmidt wusste von Beginn an, wo Bellarabis Stärken liegen. Er machte ihn zum Prototyp seiner eigenen Philosophie: "Er hat aus unserer Spielidee seine Spielidee gemacht. Er hat erkannt, dass er nicht nur mit Ball schnell ist, sondern auch gegen den Ball, und dass er viele Bälle erobern kann. Es freut mich, dass er das verinnerlicht hat. Dadurch macht er mit Mitte 20 noch einmal einen richtigen Sprung."
Die Aufmerksamkeit, die der Leverkusener erzeugte, zahlte sich schnell aus. Joachim Löws Anruf kam Anfang Oktober, sein erster Einsatz im DFB-Dress folgte nur wenige Tage später beim 0:2 gegen Polen. Inzwischen ist Bellarabi auch in der Nationalelf etabliert.
Nicht ohne Grund ließ Bayer der ersten Vertragsverlängerung im Dezember 2014 (bis 2017) im Februar gleich die nächste folgen. Diesmal bis 2020 - ein deutliches Zeichen dafür, dass man davon überzeugt ist, dass Bellarabi mit seinem wackligen Image aufgeräumt hat. "Für den Klub ist das eine ganz wichtige Geschichte", betonte Völler.
Lieber Enriques Wut als Peps Freude
Das will der selbstkritische Angreifer nun auch in der Champions League unter Beweis stellen. Genau wie für das gesamte Team gilt es auch für Bellarabi, sein Portfolio auf internationaler Bühne zu verfeinern. Wenngleich er in der Liga noch nach seinem Rhythmus sucht, hat er mit seinem Tor in der Quali gegen Lazio Rom und seiner Vorlage im ersten Gruppenspiel gegen BATE Borisov die ersten Schritte bereits gemacht.
Spätestens seit diesem Jahr kennt man ihn auch außerhalb Deutschlands. Bellarabi ist in Europa kein No-Name mehr, schließlich haftet auch an ihm nun das sehr lukrative Werbeschild eines deutschen Nationalspielers. Von daher ist man in Barcelona nicht nur aufgrund des kurzen, außergewöhnlichen Moments von vor dreieinhalb Jahren gewarnt.
Für Bellarabi selbst wird ein erneuter Ehrentreffer im Camp Nou aber sicher nicht noch einmal zum "großen Moment" auserkoren - ein entscheidender Flügellauf oder ein punktbringender Geistesblitz schon viel eher. Außerdem wird ihm ein wütender Luis Enrique an der Seitenlinie am Dienstagabend deutlich lieber sein als der frohlockende Guardiola. Denn den Applaus soll es diesmal aus den eigenen Reihen geben.
Karim Bellarabi im Steckbrief