Zehn Tage ist es her, dass Louis van Gaal sehr stolz war. Seine Mannschaft hatte ein schwieriges Spiel in Southampton nach einem Rückstand noch gedreht und 3:2 gewonnen. Und United war erstmals Tabellenzweiter unter van Gaal in der Premier League.
Die Partie sei "die Bestätigung unserer Philosophie" gewesen, sagte der Niederländer und feierte den Treffer zum 3:1 durch Juan Mata, das Resultat einer Ballstafette über 44 Stationen, überschwänglich als "unbelievable". Eben jenes Tor sei der Beweis gewesen, dass die van-Gaal-Philosophie angekommen ist bei den Red Devils. Endlich.
"Wenn du so viele Pässe spielst, kontrollierst du das Spiel. Ich habe meinen Spielern gesagt, dass sich immer Lücken in der Verteidigung auftun, wenn du diese Art Ballbesitzfußball spielst."
Am vergangenen Samstag war van Gaal noch stolzer. Seine Spieler kontrollierten Ball, Raum und Gegner erneut und schlugen Sunderland mit 3:0. Die Folge: United ist zum ersten Mal unter van Gaal und erstmals seit August 2013 Spitzenreiter. Damals hielt David Moyes die Pole-Position etwa 48 Stunden lang.
Titelkandidat oder nicht?
Wie lange es diesmal dauern wird, wird auf der Insel erregt diskutiert. Das Thema: Ist United jetzt ein Titelanwärter oder hat es den Rekordmeister eher zufällig an die Spitze verschlagen?
Die Meinungen gehen selbstverständlich weit auseinander und die Conclusio lautet: weder noch.
Louis van Gaal sieht das genauso: "Ich weiß genau, wo wir stehen. Ich sage das jetzt und ich habe es vor sechs Wochen gesagt: Wir haben ein gutes Team, aber wir können auch verlieren. Wir müssen uns verbessern. Das passiert vielleicht nicht jede Woche, aber wir machen Fortschritte."
Smalling hat's begriffen
Diese sind in der Tat unverkennbar, was sich exemplarisch an der eigentlich als Schwachpunkt eingestuften Hintermannschaft ablesen lässt. Dort haben sich Chris Smalling und Allzweckwaffe Daley Blind als das Innenverteidiger-Duo schlechthin etabliert.
Gerade Smalling blüht förmlich auf, hat keine Minute in Premier und Champions League verpasst und trug in Abwesenheit von Wayne Rooney und Michael Carrick sogar schon die Kapitänsbinde.
Die Gründe sind für den 25-jährigen englischen Nationalspieler sonnenklar: "Wir arbeiten unermüdlich an unserer Taktik, üben viel elf gegen elf, sodass jeder seine Rolle aus dem Effeff beherrscht."
Laut Smalling habe es Monate gedauert, wie van Gaal seinen Spielern im Übrigen prophezeite, um sich an die akribische Arbeit des Niederländers an jedem noch so kleinen taktischen Detail und die nicht enden wollenden Wiederholungen zu gewöhnen, doch mache sich dies nun bezahlt.
Van Gaal eilt nicht umsonst der Ruf voraus, den Smalling gerne bestätigt: "Diese Wiederholungen haben mich besser gemacht und viele andere Spieler auch."
Schweinsteiger: Taktgeber und Mentor
Der stete Drill erlaubt es van Gaal nun auch, gerade in der Viererkette zu rochieren. Durch die Ausfälle von Phil Jones, Marcos Rojo und Luke Shaw verschlug es eben Blind ins Zentrum, Matteo Darmian wechselt schon mal von rechts nach links - und der eigentlich offensive Flügelspieler Antonio Valencia musste wie schon in der vergangenen Saison als Rechtsverteidiger herhalten.
Im zentralen Mittelfeld setzt van Gaal auf geballte Routine und geballte Ball- und Passsicherheit. United-Institution Michael Carrick, Bastian Schweinsteiger und Morgan Schneiderlin teilen sich zwei Positionen und verkörpern die Taktgeber des gewünschten Ballbesitzspiels.
Keiner der drei kann bislang mit einer Torbeteiligung aufwarten, doch für die Statik des Spiels sind sie unverzichtbar.
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Schweinsteiger bekleidet zudem die Rolle des verlängerten Arms des Trainers. Keiner kennt van Gaal so gut wie der Neuzugang vom FC Bayern und nur wenige verfügen über seine Erfahrung.
Der 31-Jährige sieht sich zudem als Mentor gerade für die ganz Jungen wie Memphis Depay (21) und natürlich Anthony Martial (19): "Ich werde versuchen, sie zu unterstützen und zu führen, ganz klar."
Schweinsteiger sieht "viel Talent" und "großes Potenzial" in beiden Spielern und prophezeit beiden eine große Zukunft, wenn sie "die richtigen Entscheidungen treffen".
Martial ist einfach "unglaublich"
Vor allem Martial hat gehörigen Anteil an Uniteds momentanem Höhenflug.
Dass sich der junge Franzose nach dem medialen Erdbeben um seinen 50-Millionen-Euro-Wechsel überhaupt auf die Arbeit konzentrieren kann, ist erstaunlich genug. Dass er sich aber wie auf Knopfdruck bei United und in der Premier League zurechtfindet und gleich eine große Verstärkung darstellt, ist fast schon sensationell.
Während sich über die Medien noch darüber gestritten wird, ob der Ex-Monegasse nun ein Flügelspieler oder doch ein Angreifer sei, schießt er als Mittelstürmer Tor um Tor.
Drei Treffer bei drei Einsätzen in der Premier League plus ein Tor im Liga-Pokal. Dazu kommt ein Assist im letzten Match gegen Sunderland, der ihm immens hoch angerechnet wird, verhalf er doch Wayne Rooney, endlich seine Torflaute zu beenden.
"Er ist einfach unglaublich", schwärmt Rooney. "Man darf nicht vergessen: Der Kerl ist 19 Jahre alt und spricht nicht mal Englisch."
Geht's nach Rooney, wird Martial noch für "magische Momente" sorgen.
Noch braucht United Glück
Doch bei allem Verständnis für die gute Stimmung bei United - mit Magie hat diese Spielzeit noch wenig zu tun.
Der Klub ist nach einem Katastrophenjahr und einer nach dem eigenen Maßstab allenfalls akzeptablen Saison auf dem Wege der Genesung.
Das System van Gaal greift zusehends, doch noch fehlen die erstklassigen Referenzen. 16 Punkte aus sieben Ligaspielen sind absolut in Ordnung, doch noch hat man keinem Gegner der Topkategorie gegenüber gestanden. Arsenal, Everton und Stadtrivale City, alle spielt man im Oktober, werden weitere Aufschlüsse liefern.
Die Niederlage in Eindhoven zum Auftakt der Champions League stützt van Gaals eigene Einschätzung: Die Mannschaft sei gut, die Abstimmung viel besser als noch im letzten Jahr, doch vor allem sei man noch auf einen anderen Faktor angewiesen: "Wir brauchen Glück."
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