Schonungslos wurden die Gladbach-Fans in dieser Saison aus ihrem fast vier Jahre währenden Dornröschenschlaf gerissen. Vier Jahre, in denen die durch zwei Abstiege, etliche Trainerwechsel und Misserfolge geschundene Seele der Anhänger heilenden Balsam erfuhr. In denen Lucien Favre die Fohlen vom sicher geglaubten Abstieg zurück auf die europäische Bühne führte.
Die Erfolgskurve zeigte in diesen vier Jahren konstant nach oben und gipfelte in der direkten Qualifikation für die Champions League, die der Borussia "ein Jahr voller Festtage" bescheren sollte. Mitten in diese Wohlfühlzone aus Stolz und Vorfreude legte Gladbach den schlechtesten Saisonstart der Geschichte hin und ging in der Königsklasse 0:3 in Sevilla unter.
Als wenn das nicht schon schwer genug zu verdauen wäre, trat dann auch noch Favre zurück. Der Retter, der Heilsbringer, das Genie - weg. Und das dadurch entstandene Loch sollte nun Andre Schubert ausfüllen? Ein No-Name, der beim FC. St. Pauli beurlaubt wurde, zuletzt die deutsche U15 und anschließend Gladbachs U23 trainierte? Die Skepsis war ebenso groß wie die Angst, sich plötzlich doch wieder nach unten umschauen zu müssen.
Schubidu und der Entenmann
Knapp sechs Wochen später feiern nicht nur die Fans ihren "Schubidu", sondern die ganze Liga. Mit sechs Siegen aus sechs Spielen (21:6 Tore) hat Schubert den Startrekord von Willi Entenmann aus der Saison 1985/86 eingestellt. Mit einem Sieg gegen Ingolstadt am kommenden Wochenende könnte er sich den alleinigen Platz in den Geschichtsbücher sichern.
Das Erreichen des Achtelfinals im DFB-Pokal und starke Auftritte in der Champions League komplettieren Schuberts Arbeitsnachweis. Wer ihm das vor 43 Tagen zutraute? Niemand. Vermutlich nicht einmal er selbst.
Schubert hat in dieser Zeit eindrucksvoll bewiesen, dass er weit mehr ist als ein Verwalter von Favres Nachlass mit guten Motivationsfähigkeiten. Die Mannschaft trägt nun seine ganz eigene Handschrift, nicht mehr die des Schweizers. Das heißt nicht, dass die Einflüsse Favres nicht mehr erkennbar wären. Die Ideen und Vorstellungen des 58-Jährigen sind durch die ständigen Wiederholungen über Jahre hinweg fest in den Köpfen der Spieler verankert.
Stranzl: "Nervig und anstrengend"
Martin Stranzl beschrieb die Akribie Favres schon 2014 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen als "teilweise nervig und anstrengend", wusste die Notwendigkeit ob der dadurch entstehenden Automatismen aber gut einzuschätzen. Schubert profitiert von den taktischen und technischen Fertigkeiten, die sein Vorgänger den Spielern über vier Jahre eingebläut hat, lässt sich dadurch aber nicht fremdbestimmen.
"Wir wollen auch den Rhythmus eines Spiels bestimmen. Es gibt Phasen, in denen wir hoch anlaufen. Und Phasen, in denen wir tiefer stehen, um uns vorne Räume zu schaffen, weil wir Schnelligkeit und gute Konterspieler haben. Wichtig für die Mannschaft ist, dass sie weiß, dass sie aus beiden Ausrichtungen heraus Tore erzielen kann", erklärte Schubert seine Vorstellungen im Kicker.
Schon im ersten Spiel gegen Augsburg waren diese Ideen zu erkennen, als er die Außenverteidiger deutlich höher positionierte als Favre. Gleichzeitig steigerte er die Intensität des Pressings enorm, ohne dabei die Grundordnung im letzten Drittel zu gefährden. Schubert scheut auch keine Personalentscheidungen. Julian Korb, unter Favre zuletzt nur vereinzelt eingesetzt, ist nun ebenso gesetzt wie Youngster Andreas Christensen. Routinier Tony Jantschke bleibt zumeist nur die Bank.
Schubert erkannte auch die Fehlpositionierung Lars Stindls, stellte den Neuzugang neben Raffael ins Sturmzentrum und verhalf beiden Spielern damit zu einer enormen Leistungssteigerung. Stindl und Raffael schaffen sich gegenseitig Räume und harmonieren hervorragend. Mahmoud Dahoud, der unter Favre viermal ein- und einmal ausgewechselt wurde, blüht unter Schubert endlich auf, Nebenmann Granit Xhaka trägt die Kapitänsbinde sichtlich stolz durch die Liga.
Schubert bringt den Spaß zurück
Der 44-Jährige wird nicht müde, seine Spieler zu Fehlern zu ermutigen - wohl wissend, dass sie die Angst davor zuletzt zu sehr hemmte. Schubert hat der Mannschaft den Spaß am Fußball zurückgebracht. Dass der zuletzt immer mehr auf der Strecke blieb, erklärte schon Stranzl vor dem CL-Spiel in Turin.
Gleichzeitig ist Schubert aber auch nicht zu stolz, sich selbst Fehler einzugestehen. Im Pokal auf Schalke korrigierte er seine Entscheidung, Josip Drmic als Stoßstürmer aufzubieten, schon nach 45 Minuten. Mit seinen vielen frühen Wechseln hat Schubert ohnehin ein Pflaster auf die Wunde aller Gladbach-Fans geklebt, die Favres sehr zurückhaltende Auswechsel-Strategie erzeugte.
Startrekord? Völlig egal!
Was Schubert neben des sportlichen Erfolgs zum Sympathieträger macht, ist seine Demut. Schubert stellte sich von Anfang an in den Dienst des Vereins und äußerte zu keinem Zeitpunkt öffentlich Ansprüche. Der Startrekord? Völlig egal! Auch Kritik an Favre oder dessen Entscheidungen liegt ihm fern. Vielmehr lobt er seinen Vorgänger für die ausgezeichnete Ausbildung der Mannschaft.
Der geborene Kasseler verhält sich in vielen Situationen - ob bewusst oder unbewusst - komplett gegenteilig zu Favre. Während man sich bei Favre sicher sein konnte, dass er die Abgänge oder verletzten Spieler regelmäßig zur Diskussion machte, verzichtet Schubert trotz der Ausfälle absoluter Leistungsträger darauf. Wo Favre kritisierte, ermutigt Schubert.
Warum also hat dieser Mann noch keinen Cheftrainer-Vertrag in der Tasche? Die Spieler loben das Verhältnis zu ihrem Trainer, den sie sogar duzen, und sprechen sich wie die Fans für eine Weiterbeschäftigung des Übungsleiters mit dem grünen Glückspullover aus. Sportlich könnte es schließlich kaum besser laufen. Doch genau dies ist der Punkt: Schubert macht in Gladbach derzeit viel richtig, die Mannschaft hat einen Lauf und gewinnt jedes Ligaspiel mit mindestens zwei Toren Abstand. Was aber, wenn die Anfangseuphorie nachlässt, die Siegesserie einmal reißt?
Diese Antworten ist Schubert noch schuldig
Schubert muss zeigen, dass er der Aufgabe, Cheftrainer in Mönchengladbach zu sein, gewachsen ist - nicht nur wenn es gut läuft. Wie geht er mit Negativerlebnissen um? Wie hält er die Mannschaft bei Laune, wenn Spieler wie etwa Patrick Herrmann oder Stranzl zurückkommen? Kann er Neuverpflichtungen integrieren? Kann er die Mannschaft neu aufstellen, sollten Leistungsträger den Klub verlassen? Ist er vor allem aber in der Lage, Spieler auf diesem Niveau weiterzuentwickeln? Die stetige Verbesserung der Profis war eines von Favres Steckenpferden und wurde von Neuzugängen immer wieder als Grund für die Entscheidung pro Gladbach angegeben. Kann auch Schubert Strahlkraft auf Wunschspieler ausüben? Die Antworten auf diese Fragen stehen noch aus.
Seine Anstellung als U23-Trainer zeigt aber, dass man ihm dies am Niederrhein generell zutraut. Gladbachs Entscheidung, Schubert nicht sofort mit einem langfristigen Vertrag auszustatten, sondern ihn sich diesen Aufgaben und Situationen stellen zu lassen, um anschließend zu urteilen, ist deshalb ebenso verständlich wie vernünftig. "Trotzdem nehmen wir uns die Zeit, die beste Lösung zu finden. Ob diese Andre Schubert heißt oder es ein externer Kandidat ist, werden wir in Ruhe entscheiden", erklärte Manager Max Eberl.
Dank der aktuellen Leistungen hat Gladbach überhaupt keinen Druck, eine verfrühte Entscheidung zu treffen. Ein Verbleib Schuberts bis zur Winterpause gilt als sicher, eine Beschäftigung bis Saisonende als wahrscheinlich. Klar ist aber auch: Geht die Serie auch nur annähernd so weiter, wird selbst der demütigste Trainer auf den Gedanken kommen, die Hand zu heben und Klarheit einzufordern. Spätestens dann sollten sich Eberl und Co. entschieden haben.
Andre Schubert im Steckbrief