Am Dienstag (20.45 Uhr im LIVETICKER) steht für den FC Bayern München ein richtiger Härtetest an. Juventus Turin will in der Champions League wieder hoch hinaus. Ein Blick auf die entscheidenden taktischen Aspekte im Hinspiel des Achtelfinals.
Die Personalwahl und ihre Folgen
Nicht nur in München kämpft man in dieser Saison mit Verletzungssorgen in der defensiven Zentrale. Auch Juventus macht sich vor dem Duell mit dem FC Bayern einige Gedanken um die Besetzung der Innenverteidigung. Mit Martin Caceres ist der erste Backup-Spieler langfristig verletzt, mit Giorgio Chiellini ist ein entscheidender Faktor noch bis kurz vor dem Spiel auf der Kippe.
Ein Einsatz des Italieners kann alles verändern und Auswirkungen auf das gesamte Gefüge der Gastgeber haben. Setzte Max Allegri zu Beginn der Saison noch oft auf ein Grundordnungen im 4-2-3-1 oder 4-4-2, wechselte er im Laufe der Saison immer mehr zur Variante des 3-1-4-2, vertraut dafür allerdings auf drei zentrale Verteidiger.
Andrea Barzagli und Leonardo Bonucci stehen bereit, fehlt allerdings Chiellini, wird sich Juventus wohl auf eine Viererkette verständigen und damit einige Umstellungen vornehmen. Dann ist ein 4-3-3 mehr als wahrscheinlich, nutzte Allegri diese Ausrichtung doch schon im Spitzenspiel gegen den SSC Neapel ohne seinen beinharten Halbverteidiger.
Allegri bestätigt: Mandzukic und Khedira in der Startelf
Die Variante 3-1-4-2
Für mobile Nutzer: Juventus mit einer 3-1-4-2-Grundformation
Ist Chiellini fit, können die Turiner auf das Modell der 3/5er-Kette zurückgreifen. Die Halbverteidiger sichern die etwas offensiveren Flügelspieler ab, rechts ist dann durchaus Juan Cuadrado statt dem eigentlichen Rechtsverteidiger Stephan Lichtsteiner denkbar. Im Mittelfeld zieht Claudio Marchisio die Fäden, Sami Khedira kann dadurch seine vertikalen Vorstöße in geöffnete Gassen einbringen.
Links ersetzen Dybala und Paul Pogba den fehlenden Flügelstürmer im Wechsel, Patrice Evra - oder der doch fit gewordene Alex Sandro - hinterlaufen viel und suchen Möglichkeiten zum Flanken in den Strafraum. Diese Bewegungen müssen durch einen etwas aufrückenden Chiellini abgesichert werden. Die rechte Seite versucht weniger, bis zur Grundlinie durchzubrechen, sondern bleibt für Kombinationen im zweiten Drittel anspielbar.
Die Variante 4-3-3
Für mobile Nutzer: Juventus mit einer 4-3-3-Grundformation
Ist Chiellini nicht fit, wird es wohl die 4er-Kette werden. Dann verteidigt Lichtsteiner rechts hinter Cuadrado, die rechte Seite gestaltet sich mit Pärchenbildung etwas klassischer als die linke. Dort dürfte Mario Mandzukic viel ausweichen und Bälle hinter den gegnerischen Außenverteidigern festmachen, um auf Pogba abzulegen. Dybala agiert dann mehr im Zentrum, zieht von dort aus aber gerne mit Ball auf die linke Seite.
Evra hält sich dafür links etwas mehr zurück und marschiert nicht bis zur Grundlinie durch. Beispielsweise eine Möglichkeit, um Arjen Robben als Gegenspieler Paroli zu bieten und dem Niederländer nicht zu viel Platz zu geben. Khedira wird abermals von Marchisio abgesichert, kann allerdings nicht immer durchstarten, sondern muss beachten, dass seine Absicherung im Rücken zahlenmäßig abgenommen hat.
Mehr Tempo oder mehr Kontrolle?
Nicht viel anders gestaltet sich die Personalsuche beim FC Bayern. Die Innenverteidigung ist ebenfalls Problemzone Nummer eins, hat mit Serdar Tasci, David Alaba, Joshua Kimmich und auch Medhi Benatia aber sehr unterschiedliche Typen zur Verfügung. Pep Guardiola wird sich vor allem die Frage nach der Länge der Abwehrkette aufdrängen.
Für mehr Kontrolle im Mittelfeld könnte er Philipp Lahm eine Reihe nach vorne ziehen und damit auf klassische Außenverteidiger verzichten. Fraglich allerdings, ob er das gegen die linke Seite von Juventus für sinnvoll ansieht. Somit scheint ein 4-3-3 wahrscheinlicher, um den Flügelfokus der Italiener auffangen zu können und selbst im Mittelfeld zumindest nicht in Unterzahl zu geraten. Dann würde im Aufbau Xabi Alonso als abkippender Sechser gegen die Doppelspitze der Gastgeber spielen.
Offen bleibt die Mittelfeldbesetzung davor. Thomas Müller als vorstoßender Achter ist ebenso eine Möglichkeit wie Arturo Vidal. Spielt der Chilene, ist aber kein Platz für Arjen Robben oder Thiago. Gerade gegen das defensiv starke Juventus können deren Fähigkeiten im Eins-gegen-eins (Robben) oder in engen Räumen (Thiago) entscheidend sein. Vidal in der Defensive könnte angesichts seiner Kopfballstärke ebenfalls eine Option werden, sollten Tasci und Benatia passen.
Punkt 2: Hoch, tief oder mittel verteidigen?
Egal ob Juventus schließlich eine 4er- oder 5er-Kette aufbietet, Allegri wird sich viele Gedanken darüber machen, wie hoch er seine Mannschaft verteidigen lässt. In Italien nur selten mit deutlich weniger Ballbesitz als der Gegner ausgestattet, ist man es nicht unbedingt gewohnt, tief und abwartend zu verteidigen.
Das heißt allerdings nicht, dass die Turiner nicht verteidigen können. Gegen den AC Florenz, der Juventus mit rund 38 Prozent Ballbesitz zurückließ, wurde das eigene Tor in zwei Phasen verschlossen. In einem 5-3-2 versperrte man der Fiorentina im ersten Schritt das Zentrum und konzentrierte sich dabei besonders darauf, den Sechserraum zu schließen.
Zwei-Phasen-Pressing gegen Ballbesitz
Konnten die Stürmer Zugriff herstellen, rückten sie heraus und setzten die gegnerischen Innenverteidiger aus der Mitte heraus unter Druck. Auf links verließ Khedira mehrfach seine Halbposition, um zu unterstützen oder gar selbst eine Pressingaktion auszulösen. Der Rest der Mannschaft folgte natürlich und stellte eine gute vertikale Kompaktheit her.
Schaffte es Florenz allerdings, die erste Phase zu überspielen und in die Hälfte von Allegris Mannschaft vorzustoßen, zog sich die Alte Dame extrem nah zusammen und verteidigte in einem tiefen Mittelfeldpressing nur wenige Meter vor dem eigenen Strafraum. Dabei wurden Zuspiele zwischen die Linien direkt aggressiv angelaufen, um die Spieler der Fiorentina sofort wieder zu einem Rückpass zu zwingen.
Für mobile Nutzer: Juventus Pressingphasen gegen Florenz (GIF)
Khedira stellt nahe des eigenen Mittelkreises Druck her und löst damit die Aktion aus. Florenz verlagert von rechts über den Innenverteidiger zum eigenen Torwart, der wiederum von Mandzukic im Vollsprint angegriffen wird und den Ball nach links weiterspielt.
Mandzukic eilt hinterher, Juventus verschiebt allerdings etwas zögerlich. Weil Pogba zu spät dazu kommt, kann sich die Fiorentina in die Hälfte des Gegners spielen. Dann zieht sich Turin aber sehr schnell zurück und verteidigt mit elf Mann in der eigenen Hälfte. Durch die Fünferkette sind herausrückende Bewegungen weitestgehend abgesichert.
Eine ähnliche Herangehensweise ist auch gegen die Bayern zu erwarten. Juventus wird sich rund um die Mittellinie formieren und bei bestimmten Pressingauslösern auch die Innenverteidiger des FCB anlaufen. Wird diese Phase nicht von einem Ballgewinn gekrönt, werden sich die Italiener auch nicht genieren, sich in der eigenen Hälfte einzuigeln und anschließend den Umschaltmoment zu nutzen.
Punkt 3: Suche nach der italienischen Schwachstelle
Gerade diese Momente, in denen Juventus sehr tief steht und kompakt verteidigt, werden die Bayern extrem fordern. Die Italiener sind kopfballstark, abgeklärt, erfahren und vor allem sehr gut eingespielt. Einzelne Ausfälle, Fehler oder zu schnelles Herausrücken werden stets abgesichert und von Nebenmännern aufgefangen.
Dennoch hat auch die stabilste Defensive - erst drei Gegentore stehen nach der Gruppenphase zu Buche - ihre Lücken. Bei 60 Gelben und 4 Roten Karten steht die Mannschaft insgesamt bereits, andere Top-Teams sind davon weit entfernt. Der FC Bayern (27/2), Borussia Dortmund (20/0), Manchester City (46/0), der FC Barcelona (37/1), Real Madrid (41/3) oder der SSC Neapel (48/1) liegen deutlich dahinter. Die Kartenflut weist auf ein Problem hin, das Juventus nur schwer in den Griff bekommt.
Die Turiner sind gerade in der ersten Phase ihres Pressings angreifbar. Wird das hohe Anlaufen überspielt, werden die Lücken zwischen den Mannschaftslinien oft sehr groß, vertikal ergeben sich Räume für den Gegner. Auch das Gegenpressing ist nicht immer ideal vorbereitet, das Team nach Ballverlusten oft etwas flach oder zentral unterbesetzt. Dann verhindern die Offensivkräfte Konter durch Fouls.
Verteidiger rücken aus Kette heraus
Die großen Lücken versucht man in den meisten Fällen über schnelles Herausrücken aus der letzten Linie zu beheben, geht dabei aber enormes Risiko. Barzagli, Bonucci und Chiellini verfügen über viel physische Präsenz und scheuen kein direktes Duell, sind aber oft auf sich alleine gestellt.
Sie vermeiden Fouls in Strafraumnähe, verhalten sich aber angesichts der Brisanz und Komplexität der Situationen nicht immer ideal. Die Absicherung des Herausrückens ist oft ungenügend, riskante Tacklings sind die Folge. Besonders Chiellini muss für den sehr hohen Linksverteidiger aushelfen, dann entstehen bisweilen Lücken zwischen dem zentralen Innenverteidiger Bonucci und dem nach links fallenden Chiellini.
Guardiola setzte in diesem Jahr bereits mehrfach schnelle, wendige Spieler in der Mitte ein. Douglas Costa kam in beiden Spielen gegen Arsenal durch die Mitte - denkbar ist eine ähnliche Option auch wieder gegen Juventus. Bringt er im Zentrum sein Tempo und seine Qualitäten im Eins gegen Eins ein, kann er alleine auf eine ungesicherte Abwehrkette zugehen. Oder Costa kann hinter die gegnerischen Außenverteidiger ausweichen, dort nach Räumen suchen und so Platz für seine nachstoßenden Mitspieler wie Thomas Müller schaffen. Gleiches gilt natürlich für Arjen Robben.
Punkt 4: Pogba und Dybala gegen wen?
Doch nicht nur Juventus hat Schwächen in der Defensive. Die Bayern müssen sich mit einer uneingespielten Abwehrkette abfinden, jüngstes Verletzungspech spricht zumindest für den Einsatz des noch relativ unerprobten Kimmich. Benatia ist zwar im Kader, sein Einsatz von Beginn an aber unwahrscheinlich, Tasci überzeugte gegen Darmstadt kaum. Gegen den robusten Mandzukic gibt es sicher angenehmere Aufgaben. Der Kroate ist extrem geschickt mit Rücken zum Tor, macht viele Bälle fest, legt sie ab und zieht dann selbst Richtung Strafraum. In der Luft ist er ohnehin eine Waffe.
Juventus setzt im Konterspiel auf einen Wandspieler, der lange, hohe Bälle gut herunterpflücken und halten kann, bis die Mitspieler nachgerückt sind. Gerade hier kann die 1,73-Meter-Kombination Kimmich/Lahm auf der rechten Seite, wie zuletzt in Liga und Pokal, ihre Probleme bekommen.
Nicht nur der Mittelstürmer sollte allerdings Bauchschmerzen bereiten. Die Italiener haben im Angriff mehrere Varianten, um zu Chancen zu kommen, auch wenn sie sich in der bisherigen Champions-League-Saison sehr schwer damit tun. Oft überlädt man den linken Flügel mit Sandro oder Evra als hohem Linksverteidiger, dem ausweichenden Pogba und dem entgegenkommenden Dybala. Entweder kombiniert man sich in die Mitte oder sucht die Flanke.
Konter in der Entstehung verhindern
Die rechte Seite wird trotz asymmetrischer Ausrichtung im Angriff dennoch nicht außer Acht gelassen. Oft ist der Sinn und Zweck der Ballzirkulation über die rechte Seite aber, das Spiel dorthin zu ziehen und anschließend mit einem schnellen Seitenwechsel Pogba auf dem linken Flügel ins Eins-gegen-eins zu schicken. Viele der Bälle werden kurz zirkuliert und dann hoch auf den jungen Franzosen weitergegeben.
Es wird nicht nur Aufgabe der Bayern sein, die Konter direkt in ihrer Entstehung zu ersticken, sondern sich auch auf die Einzelkönner Pogba und Dybala einzustellen. Gerade mit der neu formierten Abwehr ein heißes Thema, die gesamte Mannschaft muss mitarbeiten, um Ballverluste schnell aufzufangen und direkt wieder in Ballbesitz zu gelangen. Von diesem werden die Münchner ohnehin so viel wie möglich sammeln wollen. Nicht nur, um selbst Tore zu erzielen, sondern in diesem Fall auch, um den gegnerischen Rhythmus entscheidend zu stören.
Nicht alle Bälle auf Mandzukic werden vermeidbar sein, die Innenverteidiger werden mannorientierter als sonst agieren müssen, um reagieren und die gegnerischen Stürmer noch möglichst bei der Annahme entscheidend stören zu können. Dabei müssen sie allerdings weit auf die Flügel ausweichen und eröffnen damit Dybala oder Khedira neue Möglichkeiten, vorzustoßen.
Punkt 5: Zentrum ist Trumpf - oder doch nicht?
Guardiola wird gerne als Trainer gesehen, dem die Mitte über alles geht. Dominanz muss allerdings nicht immer nur über das Zentrum kommen. Das Spiel gegen Juventus wird über weite Strecken ein Duell um die beiden Flügel werden. Die Fragestellungen sind angesichts der noch offenen Besetzung breit gefächert. Wer wird Überzahl herstellen können? Werden beide Teams die Seiten doppelt besetzen? Weichen beide Mittelstürmer wieder weit auf die Flügel aus?
Vieles hängt davon ab, wie Guardiola und Allegri sich im Vorfeld entscheiden. Wählt einer von beiden die Viererkette mit einem 4-3-3, hat er gegenüber den 3er-Ketten-Formationen des Gegners einen zahlenmäßigen Vorteil, der nur durch ausbalancierende Bewegungen aufgefangen werden kann. Die Anlagen beider Teams sind - trotz ähnlicher Gewichtung von links und rechts - dennoch unterschiedlich.
Während Juventus auf seine Chancen lauern wird, viele Angriffe über lange Bälle aus der eigenen Hälfte heraus auslösen zu können und dann versucht, die Flügel zu nutzen, um schnell zum Abschluss zu kommen, werden es die Bayern anders angehen. Hoher Ballbesitz, der über die dribbelstarken Spieler auf beiden Seiten in Chancen umgemünzt wird.
Konterabsicherung vs. Raumsicherung
Somit scheint das Zentrum etwas in den Hintergrund zu rücken. Doch auf die zentralen Spieler beider Mannschaften kommen nicht minder wichtige Aufgaben zu. Alonso wird den bayerischen Spielaufbau unterstützen, Thiago fällt wohl die Aufgabe zu, sich vor Marchisio und neben Khedira zu bewegen, um von dort zum Offensivspiel beizutragen. Die Absicherung nach Ballverlusten muss direkt greifen, denn sonst kommt Juventus schnell und einfach zu Chancen.
Juventus' Mittelfeldspieler haben dagegen andere Aufgaben. Khedira wird, wie es seiner Natur entspricht, viel nachstoßen, kurze Pässe suchen und sich gemeinsam mit seinen Mitspielern nach vorne kombinieren, während Marchisio oftmals den eigenen Mittelstürmer mit langen Bällen suchen wird. Gegen den Ball geht es weniger um die Absicherung von Ballverlusten, sondern vielmehr um das Versperren des Zentrums und eine hohe Präsenz im Mittelfeldpressing, um die Zwischenlinienräume dicht zu halten.