Die Koninklijke Atletiek Associatie Gent, kurz: KAA, blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Doch außerhalb der Heimat fand der Klub anders als die Konkurrenz aus Lüttich, Brügge, Mechelen oder Antwerpen wenig Widerhall.
Drei Pokalsiege und zwei Vizemeisterschaften in den ersten gut 100 Jahren der Klubgeschichte sind kein Stoff für Legenden.
Dafür taugt schon eher das ausgefallene Logo, das Konterfei eines stolzen Indianerhäuptlings im Profil nebst prächtigem Federschmuck.
Logo wie auch der Spitzname des Teams "De Buffalos" gehen auf den legendären William Frederick Cody, alias Buffalo Bill (1846 - 1917), zurück. Als Goldschürfer, Bisonjäger und Fährtensucher für die Army in Nordamerika zur Legende geworden, schickte dieser sich an, seinen Ruhm als Entertainer zu vergolden.
Mit seiner Wild West Show eroberte Cody Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts Europa und hinterließ seine Spuren. Übrigens nicht nur in Ostflandern.
Sensation folgt Sensation
1991/92 immerhin machten die "De Buffalos" einmal auf europäischer Bühne von sich reden. Über Lausanne, Eintracht Frankfurt und Dynamo Moskau ging es im UEFA-Cup bis ins Viertelfinale. Gegen den späteren Champion Ajax Amsterdam war aber kein Kraut gewachsen.
Doch ein Vierteljahrhundert später ist alles anders. Gent ist nicht nur sensationell belgischer Meister geworden, sondern hat sich noch viel sensationeller für die K.o.-Phase der Champions League qualifiziert.
Erfolg zu haben und endlich aus dem Schatten der Mitkonkurrenten im eigenen Land zu treten, war von langer Hand geplant und vorbereitet. Die schiere Rasanz des Durchbruchs und das Ausmaß hatte niemand geahnt.
Die Vision heißt Vanhaezebrouck
2014 rief Klubchef Ivan De Witte den Beginn einer neuen Ära aus.
Den Grundstein dafür hatte der Unternehmer selbst gelegt. Er hatte mit Weitsicht und Beharrlichkeit einen Schuldenberg von über 20 Millionen Euro abgetragen und nebenbei ein schmuckes neues Stadion, die Ghelamco Arena, für 20.000 Zuschauer gebaut.
Eine Vision war damals schon da, doch der Hauptgrund für den Enthusiasmus des Chefs war die Verpflichtung von Trainer Hein Vanhaezebrouck, der nicht etwa wegen seiner bulligen Statur als idealer Anführer der Büffel gesehen wurde, sondern wegen seines fußballerischen Sachverstands.
Vanhaezebrouck hatte sich einen Namen als Trainer in Kortrijk gemacht mit dem Gewinn der Meisterschaft in der 2. Liga 2008 und dem Einzug ins Pokalfinale 2012, der ihm die Auszeichnung als Trainer des Jahres in Belgien einbrachte.
Über Umwege nach Gent
Ein erster Ausflug zu einem vergleichsweise großen Klub ging komplett daneben. 2009 heuerte er in Genk an, wurde allerdings schon nach wenigen Monaten wegen Erfolglosigkeit gefeuert. Aber nicht nur deshalb. "Ihm fehlt die nötige Portion Selbstkritik", ätzte Präsident Herbert Houben damals. "Er hält sich offenbar für den einzigen intelligenten Trainer, den es gibt, doch die Ergebnisse sprechen eine andere Sprache."
Zum Glück für Vanhaezebrouck kam er gleich wieder beim alten Klub in Kortrijk unter und strickte weiter an seinem Ruf als großer Motivator und exzellenter Taktiker, als hätte es die Episode Genk nie gegeben.
Mit 50 schien er dann reif für die nächstgrößere Herausforderung und ging zu De Wittes großer Freude nach Gent. "Das ist der Beginn einer neuen Ära. Hein war lange auf unserer Wunschliste", sagte der Klubchef im Frühjahr 2014 bei Vanhaezebroucks Vorstellung.
"Größte Überraschung im belgischen Fußball"
Dass die Buffalos aber gleich raketenartig durchstarten und im ersten Jahr unter dem neuen Coach ihren ersten Meistertitel holen würden, das wurde nicht nur in Belgien als fußballerische Sensation gefeiert. Es kam auch für die Verantwortlichen völlig unerwartet.
"Wir sollten in den nächsten fünf Jahren den Titel holen. Hein hat eine tolle Philosophie und ich bin mir sicher, dass er uns zur Meisterschaft führen wird, aber in dieser Saison wäre das noch zu früh."
So sprach De Witte im Februar 2015 und er hatte sich gewaltig getäuscht.
Wenn ihm damals einer erzählt hätte, Gent stünde zwölf Monate später im Achtelfinale der Champions League, hätte er womöglich an dessen Verstand gezweifelt. Und nicht ganz zu Unrecht.
Als "die größte Überraschung im belgischen Fußball des 21. Jahrhunderts" bezeichnete Het Nieuwsblad den Einzug des Klubs in die Runde der besten 16 Mannschaften des Kontinents.
Vom Beinahe-Aus zum Wunder
Und dort sind die Büffel freilich krasser Außenseiter gegen den VfL Wolfsburg, doch das waren sie auch gegen ihre Gruppengegner St. Petersburg, Valencia und Lyon.
Nach nur einem Punkt aus den ersten drei Spielen der Gruppenphase standen die Büffel genau dort, wo man sie und ihresgleichen - Astana, Borisow, Malmö oder Maccabi Tel Aviv - erwartet hatte: vor dem Aus.
Doch ein 1:0 gegen den FC Valencia und ein 2:1 in Lyon später sah die Situation schon wieder ganz anders aus. Gent hatte die große Chance, vor heimischer Kulisse mit einem Sieg über Zenit St. Petersburg das Wunder perfekt zu machen.
Laurent Depoitre und der Schweizer Danijel Milicevic schossen die Tore beim 2:1 gegen den überlegenen Tabellenführer aus Russland. Dass Gent auch bei einer Niederlage weitergekommen wäre, tat der Freude keinen Abbruch.
Hein, das taktische Genie
Vanhaezebrouck blieb im Augenblick seines größten Triumphs äußerlich gelassen. Die belgische Fußballgeschichte schien ihm völlig gleich: "Ich habe gar nichts getan. Die Spieler haben das gemacht. Sie haben die Qualifikation verdient."
Doch ob er will oder nicht: Gents Erfolg ist ganz eng mit dem Namen Hein Vanhaezebrouck verbunden.
"Was das Taktische angeht, ist Hein unglaublich", sagt etwa Gent-Experte Niels Poissonnier von Het Laatste Nieuws. "Er wechselt zwischen den Systemen hin und her und ist immer in der Lage, den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen."
Die erste Hälfte der Gruppenphase ließ Vanhaezebrouck vornehmlich im 4-2-3-1 spielen, um dann auf sein schon zu Kortrijk-Zeiten geliebtes 3-5-2 oder 3-4-1-2 umzustellen und Sieg auf Sieg einzufahren.
"Vanhaezebrouck ist unser Arsene Wenger"
Doch es sind bei weitem nicht nur die taktischen Manöver, die ihn auszeichnen. Als er Gent übernahm, ließ ihm De Witte freie Hand bei der Kaderzusammenstellung und Vanhaezebrouck krempelte im großen Stil um, freilich ohne viel Geld dabei zur Verfügung zu haben. Rund sechs Millionen Euro ist Gent ins Minus gegangen bei rund 100 Transaktionen unter dem neuen Trainer.
Leistungsträger wie Keeper Matz Sels, Nana Asare, Kapitän Sven Kums, Torjäger Danijel Milicevic oder der wuchtige Stürmer Laurent Depoitre sind international völlig unbekannt und funktionieren als Kollektiv doch hervorragend.
Ob das reicht, um in einer K.o.-Runde gegen ein Schwergewicht aus der Bundesliga zu bestehen, ist fraglich. Unmöglich scheint in Gent aber nichts zu sein.
Überhaupt hat die von Ivan De Witte ausgerufene Ära ja erst begonnen. Geht es nach dem Klubchef darf sie gern eine Ewigkeit anhalten. "Hein Vanhaezebrouck ist unser Arsene Wenger", sagte er jüngst. Das will was heißen.
KAA Gent im Überblick