Heute Abend (20.45 Uhr im LIVETICKER) wird es knüppelhart für den FC Bayern München. Im Halbfinale der Champions League wartet Atletico Madrid. Wie umgeht der FCB Atleticos Pressing? Wie verteidigt man Griezmann? SPOX blickt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Fußballmanagement auf die taktischen Schwerpunkte.
Die Personal- und Grundordnungswahl
Atletico Madrid wird in einer 4-4-2-Grundordnung auflaufen und diese im Laufe des Spiels auch nur verhältnismäßig wenig anpassen, das ist eine der wenigen Konstanten, auf die Pep Guardiola in seiner Vorbereitung verlässlich zurückgreifen kann. Wie genau dieses 4-4-2 allerdings besetzt wird, ist offen, haben die Spanier doch verschiedene Möglichkeiten.
Besonders in der Offensive kann Trainer Diego Simeone aus zahlreichen verschiedenen Spielertypen wählen. Trotz des Abgangs von Jackson Martinez im Winter ist man mit Fernando Torres, Antoine Griezmann, Yannick Carrasco, Angel Correa und Luciano Vietto breit aufgestellt.
Ausrichtung der Flügelspieler?
Im Hinspiel gegen den FC Barcelona setzte der argentinische Coach auf die Kombination Griezmann/Torres, im Rückspiel aufgrund der Sperre des Spaniers auf Griezmann/Carrasco. El Niño ist derzeit in bestechender Form und dürfte wohl in die Startelf zurückkehren.
Dann verschlägt es Carrasco wohl wieder auf die rechte Seite, während die linke von Koke bearbeitet wird. Hierbei entsteht die altbekannte Symmetrie einer geradlinigeren Seite auf rechts, während links eher der Weg in die Mitte gesucht wird, während der Außenverteidiger breit hinterläuft.
Sollte Saul rechts auflaufen, wie gegen Barca im Rückspiel, hat Atletico zwei Flügelspieler, die weit einrücken und die Flanken komplett für die Außenverteidiger öffnen. Defensiv bleibt alles beim alten, Juanfran, Luis Filipe und Lucas Hernandez stehen nicht zur Diskussion. Einzig Diego Godin wird verletzt fehlen und von Jose Gimenez ersetzt. Augusto Fernandez und Gabi teilen sich die Mitte, Saul könnte ebenfalls dort auflaufen.
Überzahl in erster Linie
Die Bayern könnten gegen das gegnerische 4-4-2 gut eine 3-5-2-Grundordnung einsetzen. Das würde für Überzahl in erster Linie sorgen sowie im Mittelfeld mehr Anspielstationen zwischen Atleticos kompakten Linien schaffen. Die Besetzung ist deutlich freier, besonders mit Jerome Boateng im Hinterkopf, der eventuell zum Einsatz kommen könnte und mit seinen Fähigkeiten bei voller Fitness ein sicherer Kandidat für die Startelf ist.
Allerdings ist das 3-5-2 über die Flügel in Unterzahl und damit eventuell im Konter angreifbar sowie offensiv nicht ganz so durchschlagskräftig wie ein nominelles 3-4-3. Eine Grundordnung mit Viererkette müsste automatisch im Abkippen des zentralen Sechsers resultieren, da Atletico mit zwei Stürmern spielt. Damit könnte sich Xabi Alonso zumindest seiner Bewachung entziehen und seine Fähigkeiten einbringen.
Umstellen wird Trainer Pep Guardiola ohnehin, somit bleibt vor allem die Frage der Anfangself interessant. Thiagos Stärke in engeren Räumen gegen Vidals physische Präsenz. Javi Martinez' und Medhi Benatias Kopfballstärke gegen Joshua Kimmichs Spielintelligenz. Bayerns Personallage ist deutlich entspannter als vor den letzten CL-Halbfinals.
Zwei der vielen möglichen Startaufstellungen der Bayern: 3-5-2 und 4-3-3
Atleticos hohes Pressing gegen Bayerns Spielaufbau
Völlig unabhängig von der eigenen Personalwahl wird sich der deutsche Rekordmeister mit Atleticos Phasenspiel auseinandersetzen müssen. Unter Diego Simeone variiert Atletico die Höhe und Intensität seines Pressings mehrmals im Spiel. Meist wird in einem hohen 4-4-2-Angriffspressing begonnen, das klare Vorgaben hat.
Die beiden Stürmer kümmern sich im ersten Schritt um das gegnerische Zentrum und versperren die Wege in die Mitte des Feldes. So geschehen etwa gegen den FC Barcelona, als Torres und Griezmann beide nah an Sergio Busquets blieben. Im zweiten Schritt spielt der Gegner einen der beiden Innenverteidiger an, Atletico rückt heraus, ohne je die Mitte zu öffnen.
Durch eine geschickte Anlaufbewegung und sehr stark am direkten Gegenspieler orientiertes Nachrücken stellen die Colchoneros so eine hohe Kompaktheit her und drängen den Gegner Richtung Seitenaus. Die Mitte bleibt immer besetzt, beide Stürmer nutzen ihren Deckungsschatten und laufen nicht nur an, sondern auch durch.
Bayerns Nachlässigkeiten im Aufbau
Eine beispielhafte Pressing-Szene aus dem Spiel gegen Barcelona
Gerade die Bayern mit Manuel Neuer im Tor und aufbaustarken wie ballsicheren Verteidigern sollten damit eigentlich zurecht kommen. Allerdings spielt Atletico ihr Pressing mit einer einzigartigen Intensität und sehr guten, fließend ineinander übergehenden Abläufen.
Somit könnten sich die zuletzt erkennbaren Nachlässigkeiten der Bayern im Positionsspiel negativ auswirken. Guardiolas Mannschaft zeigte beispielsweise im DFB-Pokal gegen Bremen Doppelbesetzungen einer vertikalen Linie und nutzte Halbräume sowie Zentrum nicht immer ideal aus.
Institut für FußballmanagementSomit nahmen sie sich teilweise selbst Möglichkeiten, um das Spiel zu verlagern oder effektiv voranzutreiben. Gegen ein Angriffspressing wie das von Atletico eine Schwachstelle, auf die man verstärkt achten muss. Alexander Schmalhofer, Leiter des Fachbereichs Spiel-und Taktikanalyse des Instituts für Fußballmanagement, lieferte gegenüber SPOX eine Lösungsmöglichkeit: "Werden die Münchner schon früh im Spielaufbau angegriffen, sind gezielte Chipbälle auf die ballentfernte Seite eine gute Idee."
Schmalhofer weiter: "Damit wird das Pressing der Spanier überspielt und der Raum entgegen der Verschieberichtung genutzt."
Lücke vor dem gegnerischen AV?
Dies muss nicht zwingend ein Innenverteidiger übernehmen, auch Alonso könnte hier Qualitäten ausspielen. Er würde sich in die erste Linie fallen lassen, um anschließend mit einem jener Chipbälle die sehr enge Verschiebebewegung Atleticos auszunutzen und direkt in den Rücken des Mittelfelds gelangen.
Atleticos Verteidiger werden gegen die Bayern mit etwaigem Herausrücken in das Mittelfeld sehr vorsichtig sein müssen, nutzen die schnellen Außen sowie Thomas Müller doch auftretende Lücken in der gegnerischen Defensive gnadenlos. Somit scheint es nicht unwahrscheinlich, dass ballfern eine Lücke vor dem Atletico-Außenverteidiger entsteht.
Atleticos Strafraumverteidigung gegen Bayerns Ballbesitz
Früher oder später im Spiel wird der Moment kommen, in dem sich Atletico zurückzieht. Das Angriffspressing ist sehr fordernd, Simeone hat auch deshalb mehrere Phasen in das Spiel seines Teams eingebaut. Ob mit Auslöser durch Zeit, Spielstand oder auch durch etwaige Veränderungen im Personal, die Rojiblancos verteidigen irgendwann in der Partie am eigenen Strafraum.
Dies muss allerdings für die Hauptstädter kein Nachteil sein, verteidigen sie doch so gut wie kaum eine andere Mannschaft den eigenen Sechzehner. Oft passiert das in einem defensiven 4-4-2 oder 4-5-1, bei dem noch immer die gleichen Prinzipien gelten. Hohe Intensität, Lenken auf die Flügel, ständiges Versperren der Mitte und Verteidigen in einem sehr, sehr engen Block mit zwei flachen Linien.
Die hohe physische Präsenz kommt dann zum Tragen, durch die Enge am eigenen Strafraum können Spieler zudem freier herausrücken und Bewegungen der Mitspieler besser auffangen. Zwar verschiebt Atletico noch immer sehr stark, der ballferne Außenverteidiger steht regelmäßig auf Höhe des ballfernen Pfostens, in Ballnähe orientieren sich Juanfran und Filipe aber an ihren Männern und rücken teilweise weit heraus, um diese am Aufdrehen und Tempo aufnehmen zu hindern.
Große Dominanz im 2-5-3?
Dann kann entweder aus dem Mittelfeld einer der zentralen Akteure zurückfallen oder die Viererkette schiebt noch ein Stück extremer. Die Abläufe hierbei sind exzellent, selbst ohne Abwehrchef Godin. Dennoch wird ein Spieler wie Müller die Wechselbewegungen gelegentlich ausnutzen können.
Die Bayern werden gegen das tiefe Verteidigen Atleticos sehr weit aufrücken und eine große Dominanz aufbauen. Einrückende Außenverteidiger könnten hier für mehr Möglichkeiten im Mittelfeld sowie Läufe hinter die gegnerische Defensive sorgen, während die äußeren Flügelspieler, wie bei Pep gewohnt, die Breite halten und für schnelle Verlagerungen bereitstehen.
Ein Szenario gegen Atleticos tiefe Strafraumverteidigung
Über die Flügel zum Erfolg?
Da Atletico im 4-5-1 nur noch einen Stürmer aufbietet, ist das Spielen einer Viererkette dank einer 2-gegen-1-Überzahl möglich, ein weiterer Mann wäre schlicht verschenkt. Barca zog ein ähnliches Spiel in der ersten Begegnung auf und siegte - auch dank dem Platzverweis gegen Torres - nach 0:1-Rückstand noch mit 2:1.
Hier werden Spielertypen wie Martinez, Vidal oder Lewandowski interessanter als beispielsweise Thiago oder Kimmich. Das Spiel entscheidet sich mehr über Kopfballstärke und Präsenz nach Flanken wie Befreiungsschlägen. Luis Enrique beorderte sehr früh in der Partie Innenverteidiger Gerard Pique in den gegnerischen Strafraum.
Möglicher Angriffszug der Bayern gegen tiefes 4-4-2
Verteidigt Atletico weiter im 4-4-2, hat Schmalhofer auch hier einen Ansatz. "Zieht sich Atletico zurück, liegt ein möglicher Schlüssel für ein Tor auf der rechten Seite", denkt er an das Rückspiel gegen Benfica zurück. Dort zog Lahm von rechts ins Mittelfeld und band damit seinen direkten Gegenspieler. Der abgekippte Alonso spielte heraus, Costa konnte den Ball nahe an der Seite im Eins-gegen-eins annehmen.
"Costa kann nun ins Dribbling gegen den Außenverteidiger gehen und selbst den Torabschluss suchen oder den Pass in die Schnittstelle spielen, in die Lahm im Rücken des Außenverteidigers ziehen kann. Erhält Lahm den Ball, kann er per Flanke oder Rückpass eine gefährliche Torchance vorbereiten", führt Schmalhofer aus.
Auch hier kommt das mannorientierte Verteidigen von Filipe Luis zum Tragen. Rückt er heraus, kann Lahm in seinem Rücken davonziehen. Bleibt er in der Kette, muss er einen Spieler verteidigen, der Tempo aufnehmen konnte. Die Absprache zwischen Außenverteidiger und zentralem Mittelfeld wie Innenverteidigern wird entscheidend sein.
Bayerns Flügelfokus: Fluch oder Segen?
Im Verlaufe der Saison wurde immer mehr Kritik am Stil der Bayern laut. Während Guardiola beim FC Barcelona noch das Spiel durch die Mitte forcierte, hat er sich in München mehr und mehr auf ein gezieltes Flügelspiel umgepolt. Die Bayern versuchen, wohl durch die pressingstarke und gegen den Rekordmeister sehr defensiv eingestellte Bundesliga bedingt, über beide Seiten zum Erfolg zu kommen.
Extremes Überladen einer Seite mit vier, fünf Spielern ist keine Seltenheit mehr im Spiel, führen zu hoher Dominanz mit Ball und mehr Durchbrüchen, als durch die stets gut bewachte Mitte. Allerdings nimmt die Chancenqualität durch die vielen Hereingaben ab, echte Schnittstellenbälle durch die Mitte sind selten geworden.
Im Rückspiel gegen Benfica vermied Guardiola gar komplett den Raum vor dem gegnerischen Sechzehner. Ohne Robert Lewandowski setzte er komplett auf das Spiel über den Flügel und knackte die Portugiesen so nur bedingt. Großer Vorteil allerdings: Wird der Ball am Flügel verloren, ist der Verlust nicht annähernd so gefährlich wie in der Mitte.
Heatmap der Bayern gegen Benfica im Rückspiel: Der Raum vor dem Sechzehner bleibt unbesetzt
Schnelle Seitenverlagerung zum Durchbruch
Gerade hier hatten die Bayern in den letzten zwei Jahren ihre Probleme im Halbfinale der Champions League. Real Madrid und auch der FC Barcelona warteten geduldig auf ihre Chancen, konterten dann blitzschnell und erzielten so zahlreiche Tore. Das wird schwieriger, da die Ballgewinne weit weg von der Gefahrenzone stattfinden.
Das wird sich auch gegen Atletico nicht anders gestalten. Hier allerdings mit dem großen Vorteil, dass die Colchoneros ihr Spiel darauf aufbauen, den Gegner nach außen zu lenken. Überlädt Bayern dort geschickt, spielt die Überzahl dann aus und kann so eventuell hinter die Abwehr gelangen, kann der so oft kritisierte Flügelfokus zum Schlüssel für einige Chancen werden.
Alternativ schaffen sie es, das Spiel auf eine Seite zu verlagern, sich dort zu befreien und dann die enorme Kompaktheit Atleticos mit einem schnellen Seitenwechsel auszunutzen. Kann in die Mitte gespielt werden und von dort ein Diagonalball durch die Verschiebebewegung auf die gegenüberliegende Seite, hat Atletico ebenso ein Problem, wie wenn Costa oder Ribery ins Eins-gegen-eins gehen können.
Atleticos Konter über Griezmann und Co.
Auch wenn die Bayern die meiste Zeit der Begegnung im Angriff sein werden, muss sich das Trainerteam doch gleichzeitig Gedanken um die Absicherung von Kontern machen. Selbst ausgegebenes, von Guardiola immer wieder betontes, erstes Ziel ist das Verhindern von Gegenangriffen. Der defensive Gedanke muss immer mitspielen, so das Prinzip.
Dass dabei allerdings nicht nur die Defensive gefragt ist, sollte klar sein. Ein kollektives Gegenpressing, um den Ball direkt wieder zu sichern, klingt allerdings leichter als es wirklich ist. Atletico hat nicht nur eine starke Defensive, sondern befreit sich nach vorne auch immer wieder brandgefährlich.
Das Spiel nach vorne im Umschaltmoment findet stets mit viel Risiko statt, baut allerdings auch auf gutem Nachrücken und starker Freilaufarbeit durch die Stürmer auf. Diese versuchen immer wieder direkt in den Rücken ihrer Gegenspieler zu kommen, kreuzen dafür deren Laufwege oder tauschen mit Mitspielern Positionen.
Konter und zweite Bälle
Griezmann sticht hier hervor, beweist er doch gutes Timing bei seinen Läufen, steht nur selten im Abseits und hat durch Schnelligkeit wie enge Ballführung keine Probleme damit, den Ball abzuschirmen oder das Tempo kurz zu verschleppen, um anschließend wieder Bewegung hineinzubringen.
Läuft der Konter, zieht der Ballführende oft in die Mitte und wird von den Außenverteidigern hinterlaufen. Selbst gegen den FC Barcelona, dessen Flügelstürmer Neymar und Lionel Messi kaum mit nach hinten kamen, rückten die Außenspieler Atleticos ohne Gnade Richtung Grundlinie vor, während ihre Vorderleute in die Mitte zogen.
So spielt das Team nicht nur schnelle Konter, sondern gewinnt nach Vorrücken auch abgewehrte Bälle zurück, um den Druck aufrechtzuerhalten. Eine der großen Stärken Atleticos, die im Fokus auf deren Defensivarbeit oft untergeht.