Es ist gemeinhin bekannt, dass sich Pep Guardiola viele, viele Fußballspiele aus vielen, vielen Ligen anschaut und sich somit bestens mit den Stärken und Schwächen von vielen, vielen Vereinen auskennt. Natürlich auch mit denen von Benfica Lissabon. Die deutschen Journalisten kennen sich natürlich nicht so gut mit Benfica Lissabon und der portugiesischen Liga aus wie Guardiola.
Diese Journalisten, die jubelten nämlich, als den Bayern im Champions-League-Viertelfinale Benfica Lissabon als Gegner zugeteilt wurde. "Freilos" hieß es etwa oder auch "Wunschlos". Pep Guardiola wusste da schon längst um die Stärken des portugiesischen Rekordmeisters. Wäre Bayern ein anderer Gegner zugelost worden, es hätte natürlich nicht anders ausgesehen.
So konnte sich Guardiola bei der Pressekonferenz nach dem für viele überraschend knappen 1:0-Sieg seiner Bayern im Hinspiel genüsslich zurücklehnen und den "Freilos"-Schreibern verkünden: "Ich bin sehr zufrieden, weil ich das Niveau unseres Gegners kenne. Die deutschen Journalisten kennen es dagegen nicht, weil sie keine portugiesische Liga und keine Spiele von Benfica schauen."
Vielgelobte Viererkette
Zumindest ein Spiel von Benfica haben jetzt alle deutschen Journalisten gesehen. Anders als die deutschen Journalisten hat Lukas Raeder dagegen schon viele Spiele von Benfica Lissabon gesehen. Nicht aber, weil der ehemalige Bayern-Keeper als ausgewiesener Benfica-Fan bekannt ist, sondern weil er mittlerweile in Portugal bei Vitoria Setubal unter Vertrag steht.
Im Sommer 2014 wechselte Raeder vom deutschen Rekordmeister auf die iberische Halbinsel. Bereits in seinem vierten Ligaspiel traf er mit Setubal erstmals auf Benfica. Nach 90 Minuten stand es 0:5. Lukas Raeder weiß Bescheid über Benfica und dessen Stärken. Womöglich ähnlich gut wie Guardiola. "Sie stehen sehr gut und lassen nicht viel zu. Das ist gerade gegen die Bayern eine wichtige Stärke", sagt Raeder im Gespräch mit SPOX.
Guardiola kam nach seinen Analysen zu einem ähnlichen Schluss, garniert natürlich mit dem klassisch guardiolanischen Hauch von Übertreibung. "Die Viererkette von Benfica ist vielleicht die beste in Europa im Moment", sagte der Bayern-Trainer bereits vor dem Hinspiel. Exakt 109 Sekunden lang hielt diese Viererkette dann dicht ehe sie kurz verschnaufen durfte. Weil die Bayern jubelnd abzogen. In den folgenden 5291 Sekunden plus Nachspielzeit wurde sie dem Lobgesang von Guardiola aber durchaus gerecht. Ins Tor trafen die Bayern nämlich nicht mehr.
Aus 750 Euro werden 80 Millionen
Andre Almeida, Victor Lindelöf, Jardel und Eliseu. So heißen die Vertreter des gepriesenen Quartetts. Der eigentliche Abwehrchef, der brasilianische Recke Luisao, fehlt seit Monaten verletzt. Seine Ersatzleute machen ihre Sache aber gut. Speziell Lindelöf entwickelte sich in dieser Spielzeit enorm. Der schwedische U21-Europameister bildet neben Routinier Jardel die Innenverteidigung von Benfica.
Vor ihnen, im defensiven Mittelfeld, spielt Renato Sanches. Und dieser Renato Sanches sorgt vielleicht bald für einen neuen vereinsinternen Rekord. Und zwar in einem Metier, in dem sich Benfica seit Jahren auf Weltniveau bewegt. "Spieler billig kaufen und teuer verkaufen", nennt es sich. Von Angel Di Maria und Fabio Coentrao über David Luiz und Ramires. Sie alle wurden bei Benfica groß - und dann zu viel Geld.
Renato Sanches kam einst als Knirps für angeblich 750 Euro zu Benfica. Seine aktuelle Ausstiegsklausel beträgt 80 Millionen Euro. Gründe dafür gibt es einige. "Er hat eine super Übersicht und spielt tolle Pässe", sagt Raeder, "und er ist für sein Alter körperlich schon sehr weit entwickelt." 1997 ist als Geburtsjahr in seinem Pass vermerkt. Renato Sanches ist 18 Jahre alt und bereits Hoffnungsträger eines ganzen Vereins.
In die Hölle, in den Krieg
Benfica ist ein Verein von gewaltigen Ausmaßen. 2012 startete die UEFA eine Umfrage. Welcher Klub in seinem jeweiligen Land prozentual gesehen die höchste Fanquote hat, sollte herausgefunden werden. Der Sieger: Benfica. 47 Prozent, also beinahe jeder zweite Portugiese, outete sich demnach als Fan der Adler. "Den Stellenwert von Benfica in Portugal kann man mit dem des FC Bayern in Deutschland vergleichen", sagt Raeder.
Benfica und Bayern. Die beiden Vereine haben nicht nur die Vereinsfarben gemein. Sowohl Benfica als auch die Bayern sind in ihrem Land Rekordmeister. Darüber hinaus sind es die beiden europäischen Vereine mit den höchsten Mitgliederzahlen. Erst vor einigen Monaten überholten die Deutschen die Portugiesen. 270.000 zu 250.000, so der aktuelle Zwischenstand.
250.000 Menschen werden gegen die Bayern im Estadio da Luz nicht Platz finden. Die Glücklichen aber, die Tickets ergattern konnten, werden für eine dem Anlass entsprechende Stimmung sorgen. Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer erwartet die "Hölle", Verteidiger Juan Bernat gar "Krieg".
Wohl etwas übertrieben, mit dem Teufel oder Waffengewalt werden es die Bayern nicht zu tun bekommen. Dafür aber mit den vermeintlich lautstärksten Fans des Landes. "Das Estadio da Luz ist das Stadion mit der besten Atmosphäre hier in Portugal", sagt Raeder, "noch etwas besser als in Porto."
Im Anflug auf die Meisterschaft
Beim FC Porto waren die Bayern bereits in der vergangenen Saison zu Gast, ebenfalls im Champions-League-Viertelfinale. Vor ziemlich genau einem Jahr erlebten die Bayern da ein böses Erwachen. Nach zehn Minuten stand es bereits 0:2. Erst im Rückspiel in der heimischen Allianz Arena entschieden die Bayern den Schlagabtausch zu ihren Gunsten.
Porto ist seit Jahrzehnten auf nationaler Ebene der große Konkurrent von Benfica. Zuletzt behielt aber zweimal der Klub aus der Hauptstadt die Oberhand. 2014 und 2015 holte Benfica die Meisterschaft und auch in diesem Jahr befinden sich die Adler bei zwei Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze im Anflug auf den Titel.
Den Großteil Portugals wird das freuen, denn Benfica gilt als der Verein des Volkes. Selbst während der Salazar-Diktatur Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatten die Fans Mitbestimmungsrechte im Verein. Nicht selbstverständlich im Portugal dieser Zeit. Eine Mitgliedschaft bei Benfica gewährt aber seit jeher nicht nur Mitbestimmungsrechte im Verein sondern auch finanzielle Vorteile im alltäglichen Leben.
Benfica erleichtert das Leben
Hat man erst einmal seine rote Mitgliedskarte, ist das Leben in Portugal leichter - leichter und billiger. Rabatte bei Energieversorgern und Zuggesellschaften, Preisnachlässe bei Tankstellen und Restaurantketten. Knapp 100 Unternehmen zeigen sich solidarisch mit dem größten und beliebtesten Verein des Landes und dessen Fans.
Billiger ist aber natürlich auch das Entscheidende: Der Eintritt zu den Spielen. Dabei wird meist beste Unterhaltung geboten. "Sie schießen unglaublich viele Tore", sagt Raeder. In der heimischen Meisterschaft 78 in 29 Spielen, beinahe drei pro Partie. Gegen die Bayern fehlt jedoch Toptorjäger Jonas gesperrt und auch Fanliebling Nico Gaitan ist fraglich. Die Hoffnungen auf die nötigen Treffer ruhen jetzt auf Kostas Mitroglou. Er spielte einst für die Jugend von Borussia Mönchengladbach - und schoss in einer Saison mal 38 Tore in 35 Spielen.
Pep Guardiola weiß das bestimmt. Der Bayern-Trainer kennt wohl auch viele weitere, der restlichen Fußballwelt sonst unbekannte Stärken des Griechen - und wird hoffen, die deutschen Journalisten nach dem Rückspiel nicht wieder tadeln zu müssen, dass sie diese Stärken vorher nicht thematisiert haben.
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