Alles wie 2014 - nur anders

Ben Barthmann
28. Mai 201613:17
Diego Simeone und Zinedine Zidane standen sich auch als Spieler gegenübergetty
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Im Finale der Champions League kommt es einmal mehr zum Derbi madrileno . Atletico Madrid duelliert sich mit Stadtrivale Real Madrid um den Pokal der Pokale (Sa., ab 20.30 Uhr im LIVETICKER). SPOX wirft gemeinsam mit dem Institut für Fußballmanagement einen Blick auf die zu erwartenden Taktiken und Schlüsselpunkte.

Was für ein Spiel ist zu erwarten?

Die vielleicht am einfachsten zu beantwortende Frage vor dem Duell zwischen Real Madrid und Atletico Madrid. Im Finale der Champions League werden beide Teams auf große Experimente verzichten und das umsetzen, was sie bis dorthin gebracht hat.

Natürlich sind Anpassungen an den jeweiligen Gegner zu erwarten und doch ist klar, was sich den Fans im Stadio San Siro bieten wird: Atletico nimmt die Rolle als Underdog gerne an und wird sich so auch im Endspiel viel Zeit im und um den eigenen Strafraum positionieren.

Seltene Ausflüge ins Angriffspressing mit hohem Druck auf den königlichen Aufbau wird es ebenso geben, wie die bärenstarke Strafraumverteidigung, die man schon gegen Barcelona und die Bayern unter Beweis stellte. Einen Großteil der Zeit werden die Rojiblancos also mit Verteidigen beschäftigt sein.

Real mit Ball und gegen Konter

Dementsprechend fällt Real Madrid der Ball zu. Mit Zinedine Zidane haben die Blancos entscheidende Fortschritte im eigenen Ballbesitzspiel gemacht, sind allerdings noch nicht auf einem Niveau mit eben jenen Bayern oder Barcelona anzusiedeln - obwohl der Trainer sichtlich Elemente der beiden taktischen Vorbilder eingebaut hat.

Für sein Real wird es darum gehen, ein solides Bollwerk zu zerspielen und gleichzeitig möglichst alle Konter zu unterbinden. Gute Raumeinteilung, sichere Passabstände und schnelle Zugriffsmöglichkeiten nach Ballverlust sind ebenso entscheidend wie die individuellen Fähigkeiten der Offensivspieler, um auch in Unter- oder Gleichzahlsituationen Chancen kreieren zu können.

Dafür geht den Königlichen nur Raphael Varane ab, der Innenverteidiger fehlt mit einer Oberschenkelverletzung. Zidane etablierte bei Real schnell seine Interpretation einer 4-3-3-Grundformation, die für das Finale nur wenige personelle Fragen offen lässt. Rechts defensiv könnten Danilo oder Dani Carvajal beginnen, die Tendenz geht wohl zum Spanier.

Personalfragen weitgehend geklärt

Im zentralen Mittelfeld spielt Casemiro meist den defensivsten Part, könnte angesichts der zu erwartenden Spielsituation aber ebenfalls von einem tieferen Toni Kroos vertreten werden, der wiederum Platz für Isco auf der linken Achterposition machen würde. BBC als offensive Dreierreihe steht nicht zur Debatte.

Auch der Stadtrivale erfreut sich eines nahezu verletzungsfreien Kaders. Im von Simeone bevorzugten 4-4-2 ist mit Stefan Savic Innenverteidiger Nummer zwei wieder fit, große Fragen in der Personalwahl stellen sich somit eigentlich nicht.

Voraussichtliche Aufstellungen:

Real Madrid (4-3-3): Navas - Carvajal, Pepe, Ramos, Marcelo - Casemiro, Modric, Kroos - Bale, Benzema, Ronaldo

Atletico Madrid (4-4-2): Oblak - Juanfran, Godin, Savic, Filipe Luis - Saul, Gabi, Fernandez, Koke - Torres, Griezmann

Wie kann Real Räume gutmachen?

Gegen den kompakten Defensivblock von Atletico stellt sich vorerst vor allem eine Frage für Real Madrid: Wie machen wir Meter in Richtung des gegnerischen Tores? Die Rojiblancos schrecken nicht davor zurück, alle elf Mann hinter den Ball zu holen und überzeugen durch gute vertikale wie horizontale Kompaktheit.

Die beiden Viererketten im defensiven 4-4-2 halten sich eng aneinander, die Stürmer pendeln davor oft relativ frei umher, halten aber immer die Mitte und damit die Anspielstationen im Zentrum im Auge. Diese werden im ersten Schritt des Pressings meist direkt gedeckt, um anschließend weiterhin im Rücken behalten zu werden und somit das Anspiel zu erschweren.

Durch eine enge Kette im Mittelfeld verschließt Atletico die Mitte und zwingt den Gegner, über die Außen zu spielen. Selbst der FC Barcelona ergab sich im Viertelfinale der Champions League und begann im Laufe des Hinspiels mit einem Flankenfestival, da durch die Mitte schlicht kein Durchkommen war.

Der Flügel lockt

Entscheidend wird es für Real sein, die Zwischenlinienräume zu besetzen, den Passempfänger direkt zu unterstützen und so zumindest Stück für Stück Richtung Tor zu kommen, um Atletico sehr nah an den eigenen Strafraum zu binden. Dann sind Distanzschüsse möglich, gegnerische Konter haben einen längeren Weg zum Tor und die individuelle Qualität der Offensive kann für Durchbrüche sorgen.

SPOXInstitut für Fußballmanagement

Für mobile Nutzer: Eine Möglichkeit des Aufbaus mit zurückfallendem Kroos

Hohe Außenverteidiger und ein zurückfallender Sechser können Überzahl in erster Linie herstellen und damit die beiden Stürmer Atleticos aushebeln. Allerdings provoziert das wiederum ein Anspiel auf die Außen, womit Atletico sein Ziel erreicht hätte. Weichen die Achter Richtung Flügel aus, um aus dem Rücken der beiden Atleti-Stürmer zu kommen, führt auch das wieder zu einem Pass nach außen, da die Mitte unbesetzt bleibt.

Leerer Zehnerraum ein Problem

Ähnliche Probleme plagten Real schon beim Rückspiel in der Liga (0:1), damals blieb das Mittelfeld oft sehr flach, der Zehnerraum stets unbesetzt. Real wies einige Verbindungsprobleme in Richtung Sturm vor und kam vor allem über Einzelaktionen und über die Außen zu Chancen. Mit Kroos auf der Sechs und Isco auf der Acht könnte dem entgegen gewirkt werden. Ebenso wäre ein beweglicherer Karim Benzema eine Option, der gelegentlich ins Mittelfeld fällt.

Das Institut für Fußballmanagement hat hier eine mögliche Lösung, die zuletzt immer wieder praktiziert wurde. Kroos fällt neben die Innenverteidiger. "Es ist auffällig, dass Reals Innenverteidiger nur selten direkt an der Spielentwicklung beteiligt sind. Stattdessen bewegen sich Kroos und Modric vor oder zwischen der Viererkette, um sich den Ball abzuholen und das Spiel zu gestalten. Diesen Moment nutzen die Außenverteidiger, um weit nach vorne zu schieben", erklärt Alex Schmalhofer, Leiter des Fachbereichs Spiel-und Taktikanalyse.

Gleichzeitig muss aber beachtet werden, mit welcher Qualität die Rojiblancos umschalten können. Ballverluste im Aufbau können tödlich sein gegen Antoine Griezmann und Co., weshalb ein sicherer Ballvortrag entscheidend ist. Bei der Rückrunden-Niederlage baute Real sehr eng und mittig auf, die Außenverteidiger hielten sich zurück und rückten erst bei gesichertem Ball weiter nach vorne.

Wie kann Real Chancen erarbeiten?

Sollte Real es in die gegnerische Hälfte schaffen und sich dort Ballbesitzzeiten sichern, wird sich Atletico sehr tief zurückziehen und den Strafraum zur Festung machen. Gerade hier ergeben sich einige Problemstellungen für die Königlichen, verfügen sie doch in der Offensive nicht über das Spielermaterial für Dribblings in derart engen Räumen. Gareth Bale und Cristiano Ronaldo spielen ihre Stärken besonders im Tempo aus, welches sie so nur selten aufnehmen werden können.

Somit müssen andere Wege gegangen werden, um sich Möglichkeiten zum Abschluss zu erarbeiten. Zidane probierte sich zuletzt immer wieder an Überladungen einer Seite oder eines Halbraums, um von dort aus zu flanken oder schnell die Seite zu wechseln. Inbesondere gegen das kompakt verschiebende Atletico scheint die zweite Option eine gute Wahl zu sein.

Schnelle Verlagerung nach Überladen

Schafft Real es, die Rojiblancos anzulocken, sich durch kurze Kombinationen Raum zu verschaffen und anschließend schnell zu verlagern, können sie die gegnerische Defensive ins schnelle Verschieben bringen und damit Fehler erzwingen. Hierbei bietet sich eine Überladung der linken Seite mit Ronaldo, dem ohnehin offensiv ausgerichteten und kombinationssicheren Marcelo, Benzema und Kroos an. Der Deutsche könnte schließlich auch eine seiner präzisen Spielverlagerungen auf die andere Seite zur etwas simpler gestrickten Seite mit Bale und Carvajal spielen.

"Mit einer Spielverlagerung auf den aufgerückten, rechten Außenverteidiger kann Kroos beispielsweise versuchen, das kompakte Atletico auseinanderzuziehen", knüpft Schmalhofer an das Szenario des abkippenden Sechsers von Seite zwei an. Alternativ könnte "er den hohen Außenverteidiger anspielen oder mit einem vertikalen Pass den eingerückten Ronaldo suchen - je nachdem wie sich Atleticos Außenspieler verhalten."

Lange Bälle aus tiefem Spielaufbau

Die mannorientierten Außenverteidiger Atleticos kommen hier ins Spiel. Sie halten sich im Regelfall sehr nah an ihren direkten Gegenspielern, hindern sie am Tempo aufnehmen und aufdrehen. Klappt allerdings eine Seitenverlagerung, könnte Real eine 2-gegen-1-Überzahl durch einen hinterlaufenden Außenverteidiger herstellen und somit die Mannorientierung geschickt aushebeln.

Das ist jedoch nicht die einzige Methode, die sich Real bietet, haben die Königlichen doch eine Komponente in ihrem Spiel, die ihren Vorgängern fehlte. Durch die physische Stärke von Ronaldo und Bale ist auch eine tiefere Ballzirkulation mit anschließend langen Bällen möglich. Sollte Real den Ball in der Viererkette gemeinsam mit dem zentralen Mittelfeld zirkulieren und dabei stets an der Pressinggrenze von Atletico spielen, wird das Team früher oder später kurz die Kompaktheit verlieren.

Durchbesetzung der letzten Linie?

Dann können die breit gebliebenen Ronaldo und Bale in Eins-gegen-Eins-Laufduelle mit den gegnerischen Außenverteidigern geschickt werden, um dort ihre Schnelligkeit auszuspielen. Bleiben beide Flügelspieler auf der letzten Linie stehen und halten sich eng am Seitenaus, ziehen sie die sonst so kompakte Viererkette auseinander, es entstehen Lücken zwischen Innen- und Außenverteidigung.

Ebenfalls möglich scheint eine Durchbesetzung der letzten Linie Atleticos. Reals Verbindungsprobleme resultierten unter Benitez oft in einer 5-0-5-Staffelung, die für flachen Aufbau keine Option darstellt. Schafft es Zidane, diese Staffelung etwas abgesicherter für zweite Bälle zu gestalten, ist es durchaus möglich, jedem Spieler der Atletico-Viererkette einen direkten Gegenspieler zu stellen und auf dessen Qualität zu bauen, den Ball zu behaupten und sich Richtung Tor zu drehen.

Welche Möglichkeiten hat Atletico im Konter?

Erobert Atletico den Ball wird es in jedem Fall schnell nach vorne gehen. Hier ergeben sich gleich mehrere Räume, die für die Rojiblancos von Interesse sein könnten. Gerade Griezmann wird dabei eine Schlüsselrolle einnehmen, ist er doch mit seiner Schnelligkeit und Intelligenz im Konterspiel Atleticos wichtigste Waffe im Offensivspiel.

Der Franzose wird versuchen, sich in den Rücken der aufrückenden Außenverteidiger zu begeben und dort wohl besonders Marcelo im Auge haben. Der Brasilianer rückt gerne weit mit auf, zieht dabei mit Ball sogar in die Mitte hinein - dementsprechend weit ist der Weg zurück. Ramos rutscht dann weit nach links hinaus, um seinen Mitspieler abzusichern, geht dabei aber oft viel Risiko ein.

Doch Griezmann ist nicht die einzige Gefahr, die Atletico nach Ballgewinn versprüht. Durch kurze, schnelle Kombinationen verschafft sich Atletico oft Luft, um anschließend über das Zentrum den Weg auf die Außen zu suchen oder durch einen der Halbräume direkt einen Spieler in den Rücken der gegnerischen Abwehr zu schicken. Durch die eigene tiefe Platzierung rückt der Gegner weit auf und öffnet gefährliche Räume.

Real im Nachgang angreifbar

In Reals 4-3-3 dürften neben den Räumen hinter den Außenverteidigern zudem die neben dem einzigen Sechser interessant sein. Trotz aller Verbesserungen von Zidane agieren die Königlichen doch noch oft sehr flach auf einer Linie, die Achter stoßen weit vor. Das lässt den Sechser alleine auf weiter Flur, einzig herausrückende Innenverteidiger könnten ihm zur Hilfe eilen, geben dafür aber selbst Räume auf.

SPOXInstitut für Fußballmanagement

Für mobile Nutzer: Räume hinter den Flügelspielern und neben dem Sechser für Atletico

Kann Atletico hier den Ball erobern, wird die Verteidigung eher fallen, das Gegenpressing wäre ausgehebelt. Dann können die Rojiblancos nachrücken und der Ballführende durch einen diagonalen Lauf die Zuordnung zusätzlich erschweren. Im Liga-Rückspiel erzielte Atletico so das einzige Tor der Partie: Balleroberung im rechten Halbraum, Griezmann ging mit Ball invers nach innen, spielte einen Doppelpass mit Linksverteidiger Filipe Luis und vollendete ins kurze Eck.

Defensivarbeit der Stars

Die mangelnde Rückwärtsarbeit von Ronaldo wird hier ebenso zum Thema wie das schwache Spiel der Blancos bei zweiten Bällen durch mangelnde Rückwärtsarbeit der Offensivstars.

So sieht es auch Schmalhofer, der anmerkt: "Die Flügelstürmer Bale und Ronaldo laufen zwar vorne an, bleiben aber danach relativ unbeteiligt im weiteren Defensivverhalten. Dahinter steht das Mittelfelddreieck um Kroos und Modric, das hauptsächlich das Zentrum besetzt und den Weg nach ganz außen nur selten macht. Damit bleibt der Raum auf Reals Flügeln oftmals frei - diesen kann Atletico vor allem über Ihre starken Außenverteidiger nutzen."

Atletico beendet einen Konter nur selten mit einem Ballverlust, um sich dann zurückzuziehen. Vielmehr ist das Team anschließend weit aufgerückt, hat seine Kompaktheit wiedererlangt und setzt alles daran, in der gegnerischen Hälfte zu bleiben. Schnelle Kompaktheit - eine Stärke, die Real abgeht.

Fazit - Real oder Atletico?

Viel ungewohntes wird das San Siro am Samstag (ab 20.30 Uhr im LIVETICKER) nicht zu sehen bekommen. Die entscheidenden Fragen liegen einmal mehr in den Qualitäten des Atletico-Gegners. Kann Real eine stabile Ballzirkulation aufbauen und wird nicht von Atleticos kurzen Pressingwellen überrascht? Kann Real auch gegen tief stehende Rojiblancos Chancen herausspielen und wenn ja, wie karätig sind diese?

Zidane wird unter Beweis stellen müssen, dass er die Zeit seit Amtsantritt und dem letzten Aufeinandertreffen genutzt hat, um das Ballbesitzsspiel seines Teams zu verbessern. Bis dato war dieses ordentlich, aber nicht gut genug, um einen Riegel wie den von Diego Simeone zu knacken. Ist es das weiterhin nicht, scheint ein Spiel wie das 0:1 im Februar nicht unwahrscheinlich. Damals sammelte Real 70 Prozent Ballbesitz, schlug 26 Flanken und brachte letztlich ganze drei Schüsse aufs Tor.

Der Weg vom Flügel in die gefährlichen Zonen vor und in den Strafraum hinein ist allerdings nicht minder entscheidend als ein gutes Gegenpressing nach Ballverlusten, um die Konter von Atletico nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.

Für die Königlichen wird es ein Spiel, das sich besonders in den Phasen Ballbesitz und defensivem Umschaltspiel abspielen wird. Möglichkeiten für eigene Konter oder gar lange Phasen ohne Ballbesitz werden nur äußerst selten sein.

Atletico einen Schritt weiter

Für Atletico dagegen werden genau diese Phasen entscheidend sein. Wie lange können sie die Strafraumverteidigung aufrechterhalten, wie lange auch der individuellen Qualität trotzen? Dazu hängt viel von der Form von Griezmann ab, der im Konter definitiv die entscheidende Rolle spielen wird. Aber: Das ist eigentlich ein typisches Champions-League-Spiel für die Rojiblancos. Die letzten Duelle mit Barcelona und Bayern zeigten eine neu gewonnene Nervenstärke, unglaublich konzentriertes und sauberes Abwehrverhalten und die gewohnte Intensität.

Somit scheint das Team weiter zu sein, als noch im Finale von 2014. Damals brachte ein Kopfballtor von Sergio Ramos kurz vor Schluss die Partie in die Verlängerung und ein völlig erschöpftes Atletico in zusätzliche 30 Minuten Spielzeit. Ähnliches werden sie in diesem Jahr um jeden Preis verhindern wollen.

Real Madrid - Atletico Madrid: Die Daten zum Finale