Schafft der FC Bayern gegen Atletico (20.45 Uhr im LIVETICKER) nach dem 0:1 im Hinspiel die Wende und den Einzug ins Champions-League-Finale 2016 in Mailand? Drei SPOX-Redakteure, drei Meinungen.
Bayern und die Müdigkeit im Kopf
Von Thomas Gaber
In seiner Bankett-Rede nach dem 0:1 in Madrid sagte Karl-Heinz Rummenigge: "Wir wollen ins Finale nach Mailand, ich will nach Mailand." Kein Befehl, eher eine Bitte. Niemand wird Rummenigge an einer Reise nach Mailand zum Finale der Königsklasse hindern. Doch vom FC Bayern wird ihn niemand begleiten. Die Münchner werden am 28. Mai nicht im San Siro spielen.
Ein Champions-League-Heimspiel gegen Atletico Madrid zuhause zu gewinnen, muss auf den ersten Blick ja möglich sein. Gegen ein Atletico, das sich gegen Eindhoven ins Viertelfinale eierte. Gegen eine Mannschaft, die im Hinspiel gegen die Bayern offensiv wenig furchteinflößend war.
Atletico hat andere Waffen, seinen Gegnern auf den Sack zu gehen. Dafür werden die Rojiblancos gelobt, verehrt, respektiert. Oder auch kritisiert, wie von Barca-Legende Xavi, der meinte, große Mannschaften dürften nicht so spielen wie Atletico. Für den FC Bayern wird die Qualität ausreichen, weil die Bayern seit Wochen ein großes Problem mit sich rumschleppen: die Müdigkeit im Kopf.
Thomas Müller sprach nach dem Gladbach-Spiel offen "fehlende Leichtigkeit" an. Das ist nichts anderes als fehlende geistige Frische. Ob Pep Guardiola, Philipp Lahm oder Xabi Alonso - jeder, der vor dem Hinspiel befragt wurde, versicherte, dass der FC Bayern auf alles vorbereit sei, was im Vicente Calderon passieren könne. Davon war in der ersten Halbzeit nichts zu sehen, die Mannschaft schien komplett unvorbereitet.
Zu viele wichtige Spieler sind derzeit nicht auf der Höhe, das kann sich selbst ein so stark besetzter Kader wie der der Münchner in einem CL-Halbfinale nicht leisten. Und für mich deutet nichts darauf hin, dass wir am Dienstagabend einen völlig anderen FC Bayern sehen werden, als in den letzten zwei Monaten. Unabhängig von jeder Personaldiskussion. Mit Müller oder ohne Müller, mit oder ohne Thiago, mit oder ohne Ribery - die Champions-League-Reise 2016 des FC Bayern München wird am Dienstagabend zu Ende sein.
90 Minuten in der Arena sind lang
Von Andreas Lehner
Wer nach dem Spiel in den Katakomben des Vicente Calderon in die Gesichter der Spiele blickte, der sah erst einmal eins: Enttäuschung. Darüber, dass wieder kein Auswärtstor im Halbfinale gelang und darüber, dass man die erste halbe Stunde zu einfach weggeschenkt hatte. Als man sich aber mit Philipp Lahm, Manuel Neuer und Thomas Müller unterhielt, wurde auch schnell klar: Es ist noch nicht vorbei. Wir schaffen das!
Und warum auch nicht? So schlecht die Auswärtsbilanz des FC Bayern unter Guardiola in der Champions League ist, so stark ist die Mannschaft zuhause. Juanitos berühmter Spruch über Real Madrid im Estadio Santiago Bernabeu lässt sich aktuell auch auf die Münchner anwenden: 90 Minuten in der Arena sind lang. Frag nach bei Juventus.
Natürlich hat man bei Atletico das Gefühl, dass die Rojiblancos irgendwie dran sind nach der bitteren Finalniederlage und dem knappen Viertelfinalaus gegen Real Madrid. Aber auch Bayern hat wieder zwei harte Halbfinalniederlagen hinnehmen müssen, um genügend Motivation für dieses Rückspiel in sich zu tragen. Auf die Münchner wartet ein Spiel, für das sie die ganze Saison gearbeitet haben.
Sie können und müssen kontrolliert explodieren. Das Spiel wird nicht in den ersten zehn Minuten entschieden, aber es kann mit leichtfertig hergeschenkten Toren schnell verloren werden. Deshalb sind Geduld und Disziplin zwei Schlüssel für diesen Abend. Mit dieser Art und Weise haben die Bayern die zweite Halbzeit in Madrid dominiert und Atletico so große Probleme bereitet, wie nur wenige Mannschaften zuvor.
Mit dieser Erkenntnis und Gewissheit werden die Bayern den letzten Schritt nach Mailand machen und Atleticos Trauma in Europa verlängern.
Derbi madrileno wird es nicht geben
Von Benedikt Treuer
Als es am 16. März gegen 21:13 Uhr in der Allianz Arena 2:0 für Juventus Turin stand, war sie endlich da: Eine echte Herausforderung für den FC Bayern. Davon gab es in dieser Saison noch nicht sehr viele. Wie der Abend endete und wer letztlich jubelte, ist hinlänglich bekannt. Das hatte mit Mentalität zu tun - und mit enormer Qualität.
Zugegeben, diese beiden Attribute gingen dem FCB-Spiel in den letzten Wochen etwas abhanden - dem Spiel, wohlgemerkt, nicht dem Team. Wer das in diesen Tagen zum Anlass nimmt, den Bayern im Rückspiel gegen Atletico auch nur die geringsten Chancen abzusprechen, der hat den Verein und den diesjährigen Kader nicht verstanden - oder er will einfach nur provozieren, ein bisschen Stimmung machen.
Denn die aktuelle Situation unterscheidet sich nicht grundlegend von der vor dem Duell mit Juve. Die Bayern spielen keinen schlechteren Fußball, die Ergebnisse sind ebenfalls keinen Deut enttäuschender. Ich erinnere: Nach dem Hinspiel in Turin setzte es die einzige Heimniederlage in dieser Saison - gegen Mainz. In Dortmund gewann man die Woche drauf auch nicht.
Als die Mannschaft - und auch der Trainer - dann aber wirklich gefordert waren, als man große Gefahr lief, eines der wichtigsten Saisonziele dramatisch zu verfehlen, lieferten die Bayern. Genau das werden sie auch im Rückspiel gegen Atletico - weil sie es müssen und weil sie es können. Es ist mal wieder so eine richtige Herausforderung.
20 zu 11 Torschüsse lautete im Hinspiel die Bilanz - bei der vermeintlich besten Verteidigung der Welt. Mit etwas mehr Konsequenz hätte der deutsche Rekordmeister das Spiel im Vicente Calderon, wo man sein Potenzial augenscheinlich nicht ansatzweise ausschöpfte, sogar noch drehen können. Das wird nun im Rückspiel passieren.
Das "Mia san Mia" funktioniert in dieser Saison zwar nur auf heimischem Rasen, mehr ist im Rückspiel aber auch gar nicht gefordert. Guardiolas Truppe wird treffen, mit oder ohne Müller und Ribery. Sollte der FCB drei Tore brauchen, weil Atletico einen seiner Konter gnadenlos vollendet, dann werden die Bayern auch drei Tore schießen. Ein weiteres Derbi madrileno wird es in dieser Saison jedenfalls nicht mehr geben - ganz unabhängig davon, was sich Real am Mittwoch zurechtschustert.