Reus rollt wieder

Von Tristan Ebertshäuser
Marco Reus' Comeback: Setzt er seine Frühform fort?
© getty

Marco Reus ist zurück. Und wie. Borussia Dortmunds Nummer elf zeigte nach langwieriger Verletzungspause ein beeindruckendes Comeback. Bei seinen Startelfdebüts in Champions League und Bundesliga gegen Warschau und Gladbach sprühte er förmlich vor Spielwitz. Auch langfristig dürfte seine Rückkehr entscheidende Auswirkungen auf die Mannschaft des BVB haben.

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Marco Reus steht endlich wieder auf dem Platz, wobei‚ stehen eigentlich der falsche Begriff ist. Beim 4:1 gegen Borussia Mönchengladbach flog er über das Feld und pflügte dabei mit einer Leichtigkeit durch die Abwehrreihen, als wäre er nie weg gewesen.

Drei Torvorlagen verbuchte Reus. Gegen Legia Warschau waren es bereits genauso viele, zählt man den Freistoß vor Sahins Brusttor und die Vorlage zum Eigentor Rzeniczaks in der Nachspielzeit mit. Dazu kamen noch zwei zweifelsfrei selbst erzielte Tore. Das macht acht Torbeteiligungen in den ersten beiden Startelfeinsätzen.

Diese Bilanz ist schlicht herausragend und drückt in Zahlen durchaus angemessen aus, wie groß momentan die Freude beim schwarz-gelben Anhang, bei Trainerteam und Mannschaft darüber sein kann, den Dortmunder Jung' ziemlich genau sechs Monate nach dem verlorenen Elfmeterschießen im Pokalfinale am 21. Mai endlich wieder zurückzuhaben.

Magisches Comeback

Die eigentliche Magie dieses Comebacks besteht allerdings weniger in Statistiken als in der Art und Weise: Reus' Auftritte sind geprägt von Dynamik, Athletik, Spielfreude und Leichtigkeit. Er scheint topfit und spielt schlicht Fußball, der mitreißt - sowohl die Zuschauer als auch seine Mitspieler, die neben ihm aufblühen.

Selten hatte man den Eindruck, der Spruch, man wolle "nach einer Verletzung noch stärker zurückkommen", treffe derart den Nagel auf den Kopf. Und das schon jetzt, obwohl doch die alte Faustregel besagt, man müsse die Hälfte der Verletzungszeit addieren, bis ein Spieler wieder auf dem alten Niveau sei.

"Die Verletzung, die lange Pause im letzten halben Jahr, haben ihn noch reifer gemacht", sagte Thomas Tuchel vor dem Spiel gegen Gladbach. Und tatsächlich wirkt er im Reinen mit seinem Körper, gedanken- und handlungsschnell. Seinen altbekannten Antritt und seine feine Technik ergänzen Ruhe und Übersicht - Eigenschaften, die sich gegen Gladbach vor allem beim Hackenzuspiel auf Aubameyang gesammelt aufs Spielfeld ergossen wie Farbe auf die Leinwand eines Meisters.

Sehen wir den besten Reus erst noch?

Bleibt Reus von Rückschlägen verschont und kann sich in der Winterpause mit der seit seinem Ausfall ja nicht unwesentlich veränderten Mannschaft weiter einspielen, scheint die Möglichkeit durchaus gegeben, dass wir das Beste des Offensivspielers erst noch zu Gesicht bekommen werden. Ein Anspruch, den der sehr ehrgeizige und selbstkritische Reus vor allem selbst hat.

Nach der Gladbach-Gala dämpfte er die Euphorie sofort, mahnte an, man müsse jetzt wieder mehr Kontinuität gewinnen, und prognostizierte, erst in der Rückrunde wieder bei hundert Prozent seiner Leistungsfähigkeit zu sein. In solch geerdeten Kommentaren bricht sich die von Tuchel bemerkte Reife auch abseits des Platzes Bahn.

Der eher als medienscheu und zurückhaltend bekannte 27-Jährige - früher ein regelmäßiger Anwärter auf das nichtssagendste Post-Match-Interview des Tages - überrascht zudem neuerdings mit erfrischenden Ausbrüchen wie zuletzt, als er auf die Frage, ob er Marcel Schmelzer nun das Kapitänsamt streitig machen werde, sympathisch direkt herausplatzte: "Mir ist das latte. Wir sind alle Kapitäne."

Reus - die vierte Säule

Sprach man in der Vergangenheit vom personellen Umbruch, den vielen Neuzugängen und Jugendspielern, so fielen vor allem die Namen Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Ilkay Gündogan. Drei Säulen seien weggebrochen, doch eine vierte, die den BVB der letzten Jahre maßgeblich geprägt hat, wurde oft übergangen.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass Reus' Ausfall vonseiten des Vereins entweder zunächst drastisch unterschätzt wurde oder zumindest fragwürdig kommuniziert.

Noch Anfang August bestand man offiziell auf einer planmäßigen Rückkehr ins Mannschaftstraining Mitte August. Das schien aufgrund der Verletzungsart, einer schwer zu behandelnden Schambeinentzündung, von Anfang an sehr optimistisch. Dann gab es ein Hin und Her im Trainingslager. Tuchel äußerte, eine baldige Rückkehr würde ihn "extrem überraschen - ich halte das für ausgeschlossen." Das tat man zunächst als "Missverständnis" ab, bevor man Mitte September beschloss, sich weitere Termin-Angaben zukünftig gleich ganz zu sparen.

Dieses undurchsichtige und sprunghafte Kommunikationsverhalten bei Verletzungen ist vielen Fans schon lange ein Dorn im Auge und droht, sich gerade erneut zu wiederholen, plagen doch Raphael Guerreiro seit der EM immer wieder muskuläre Probleme, von denen keiner so genau weiß, was und wie schwerwiegend sie eigentlich sind.

Reus macht Mitspieler besser

Man wolle Marco Reus fit durch die ganze Saison bringen, äußerte Tuchel wiederholt und man kann ihm nur wünschen, dass das gelingt und er von weiteren Rückschlägen verschont bleibt, die Reus bereits eine WM und eine EM kosteten.

Reus' Rückkehr ist nicht nur aufgrund seiner individuellen Qualitäten enorm wichtig für den BVB. Er hat die Fähigkeit, seine Mitspieler besser zu machen. Das merkt man nicht nur an seinem Kumpel Aubameyang, dem Reus neben der Hackenvorlage auch vor dem 1:1 gegen Gladbach den Ball so zuspielte, dass dieser gar nicht anders konnte, als ihn ohne zu überlegen reinzuzimmern. Spätestens seit Aubameyangs misslungenem Lupfer beim 1:1 gegen Hertha BSC weiß man, dass Nicht-Überlegen oft die bessere Option ist.

Gibt es Verlierer?

Auch der junge Ousmane Dembele scheint wie verwandelt. Man merkt, dass er mit Reus an der Seite das Gefühl abgelegt hat, mit seinen 19 Jahren das Offensivspiel alleine regeln zu müssen. Seit Reus' Comeback ist auch er an sechs direkt und gefühlt an allen Torentstehungen beteiligt.

Die Verlierer von Reus' erstaunlicher Frühform könnten auf den ersten Blick vor allem Andre Schürrle und Mario Götze sein, die beide zwar keine schlechten Leistungen zeigten, sich in Reus' Abwesenheit aber auch nicht gerade aufdrängten - auch wegen eigener Probleme mit Blessuren.

Ebenso vorstellbar ist jedoch, dass auch diese beiden von Reus' Spielfreude profitieren, genauso wie die jungen Spieler wie Emre Mor und Christian Pulisic. Ganz egal, ob es persönliche Verlierer geben wird oder sich moderiert durch Tuchels umsichtige Rotation am Ende alle an der "Säule" Reus aufrichten können: Gewinner ist auf jeden Fall der BVB und seine Zuschauer.

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