Ronaldo trottet sichtlich gereizt Richtung Seitenlinie. Genervter Blick nach links, genervter Blick nach rechts, dann verzieht der Portugiese seine Mundwinkel. Nach einem halbherzigen Abklatschen erwidert er immerhin Zidanes ausgestreckte Hand. Eines Blickes würdigt er seinen Coach aber nicht.
Immerhin hat Zidane ihn gerade nach 72 Minuten gegen Las Palmas ausgewechselt. Ronaldo, den unumstrittenen Superstar des Teams. Ronaldo, der jedes Spiel von der ersten bis zur letzten Sekunde ackern will. Ronaldo, der vor Ehrgeiz förmlich aus allen Nähten platzt.
Dabei war die Entscheidung des Franzosen durchaus nachvollziehbar. Nach dem dramatischen Gewinn der EM erlebte Ronaldo einen holprigen Start in die Saison. Er verpasste drei der ersten vier Ligaspiele, am sechsten Spieltag beorderte Zidane ihn wie eingangs beschrieben vorzeitig vom Platz.
Ronaldo wurde Anfang Februar 32
Und der verhaltene Auftakt in die Serie ist kein Zufall, denn Ronaldos unersättlicher Ehrgeiz hat eine Kehrseite. Der Angreifer spielt auch mit kleineren Verletzungen und arbeitet sich auf. Was in der Vergangenheit funktioniert hat, erweist sich mit zunehmendem Alter als Problem - und Ronaldo feierte Anfang Februar bereits seinen 32. Geburtstag.
"Ich liebe es zu spielen, aber die Leute sagen zu mir: 'Cris, du bist nicht mehr 20'. Ich muss lernen, mich selbst zu zwingen, alle paar Spiele eine Pause zu machen", gestand Ronaldo nach dem Champions-League-Triumph im Sommer.
Ronaldo muss mehr denn je auf seinen Körper achten, zu seinem Glück hat er in Zinedine Zidane einen hervorragenden Lehrmeister an seiner Seite. Der Coach hat keinen falschen Respekt davor, seinem besten Spieler Verschnaufpausen aufzuzwingen. Egal, wie viel sein Schützling meckert.
"Er hat nicht schlecht gespielt. Aber wir spielen am Dienstag wieder und Ronaldo muss sich ausruhen. Wir müssen ihn manchmal rausnehmen und das haben wir heute getan", erklärte Zidane nüchtern die Auswechslung gegen Las Palmas im September.
Schwindender Einfluss von Ronaldo
Die neue Rolle des Europameisters beschränkt sich nicht auf die Spielzeit, auch auf dem Platz erfüllt Ronaldo eine neue Funktion. Während CR7 in der Vergangenheit ausschließlich als Luxus-Notnagel in das Sturmzentrum delegiert wurde, ist das in dieser Saison durchaus ein regelmäßig eingesetzter Kniff von Zidane. Dabei ist die Konkurrenz mit Karim Benzema und Alvaro Morata durchaus prominent.
Der Grund für die Versetzung liegt an der Entwicklung Ronaldos, denn der Angreifer hat an Explosivität verloren. Eine andere Interpretation lassen die Zahlen nicht zu: Während der 32-Jährige in seiner Premierensaison bei den Königlichen 2009/10 noch in durchschnittlich 6,5 Dribblings pro Match ging, beschränkte er sich zuletzt auf magere 2,4 Dribblings pro 90 Minuten. Eklatanter ist allerdings die Tatsache, dass Ronaldo nicht mal jedes dritte seiner Dribblings für sich entscheidet (2009/10: 50,8 Prozent).
Überhaupt hat sein Einfluss auf das Spiel der Königlichen nachgelassen. Die Anzahl seiner Pässe pro Spiel reduzierte er sukzessive von über 40 pro Spiel auf durchschnittlich 27,3. Feuerte er zu Beginn seiner Zeit als Real-Profi zwischenzeitlich satte 7,8 Mal pro Match auf das Tor, hält er sich mittlerweile zurück und verbucht im Schnitt nur noch sechs Torschüsse. Erstmals seit seiner Ankunft in Madrid produziert Ronaldo durchschnittlich weniger als eine Torschussvorlage pro Spiel. Nie zuvor im Trikot der Königlichen war Ronaldo an so wenigen Torschüssen wie in dieser Saison beteiligt.
Ronaldo muss Spielstil ändern
"In diesem Jahr wird es anders als in den vergangenen. Es kann ihn frustrieren, wenn er nicht so viele Tore schießt und er muss sich selbst neu definieren und anders spielen", wird der portugiesische TV-Experte Lluis Mateus von ESPN zitiert. "Diese Entwicklung hat schon begonnen, aber sie wird noch tiefgreifender sein."
Trotz seines durchtrainierten Körpers wird er physisch in den nächsten Jahren abbauen. Da Ronaldo wie kaum ein zweiter Profi von seiner Athletik lebt, muss er anfangen, seinen Spielstil zu ändern und sich selbst eingestehen, dass er nicht mehr blind zwei Mal die Woche 90 Minuten Powerfußball bieten kann. Besonders Zidane hilft Ronaldo dabei, diesen Schritt zu gehen. Die zeitweise Versetzung ins Zentrum ist so etwas wie das erste Anzeichen der Metamorphose.
Ronaldo: 33 Torbeteiligungen in 31 Spielen
Es ist kaum vorstellbar, dass Ronaldo mit 32 Jahren nochmal einen erheblichen Leistungssprung macht. Allerdings liegt sein Standard so unfassbar hoch, dass er immer noch unumstritten einer der zwei besten Fußballspieler der Welt ist und realistische Chancen auf den fünften Ballon d'Or hat.
Seine Bereitschaft, seine Spielweise an sein Alter anzupassen, entscheidet darüber, wie lange er dieses Niveau halten kann. Denn trotz seiner veränderten Rolle wäre es albern, dem Portugiesen momentan eine Krise anzudichten. Ronaldo war wettbewerbsübergreifend in 31 Spielen an 33 Toren beteiligt (25 Tore, 8 Vorlagen).
Mit dieser Fabelquote bleibt Ronaldo Reals Heilsbringer, auf dessen Schultern die Königlichen endlich die Champions League verteidigen und die Meisterschaft gewinnen wollen. Allerdings hat sich die Rolle von Ronaldo verändert und sein Einfluss auf dem Platz ist geringer geworden. Plötzlich sind auch Auswechslungen kein Tabu mehr.
Cristiano Ronaldo im Steckbrief