"Mbappe spricht wie ein 30-Jähriger"

Jochen Tittmar
11. April 201710:11
Kylian Mbappe gehört zu den größten Talenten des AC Monacogetty
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Am Dienstagabend empfängt Borussia Dortmund den AS Monaco zum Hinspiel im Viertelfinale der Champions League (20.45 Uhr im LIVETICKER). Die Mannschaft aus dem französischen Fürstentum wird in dieser Saison vor allem für seine beeindruckende Offensivabteilung gefeiert. Im Interview spricht Monaco-Experte Yann Pecheral über die Arbeit von Trainer Leonardo Jardim, Stärken und Schwächen des Teams, Shootingstar Kylian Mbappe und den mysteriösen Klubbesitzer Dmitri Rybolowlew.

SPOX: Herr Pecheral, der AS Monaco hat in der Ligue 1 schon 88 Tore geschossen. Das ist beinahe der Wert der gesamten beiden vergangenen Spielzeiten zusammengenommen. Was sind die Gründe dafür?

Yann Pecheral: Die Mannschaft besitzt ein perfektes Gleichgewicht, die Schwachpunkte der vorherigen Spielzeiten wurden ausgemerzt. Die Spieler sind gereift, gewachsen und entwickeln sich wie beispielsweise Thomas Lemar und Bernardo Silva immer weiter. Hinzu kommt die Wiedergeburt Falcaos, der nach seinem Kreuzbandriss zwar nicht mehr derselbe Spieler ist wie früher, doch er verleiht seinen Mitspielern Zutrauen und ist vor dem Kasten immer noch ein großer Torjäger. Kylian Mbappe bringt vor allem Geschwindigkeit, Frische und sein riesiges Talent ein. Am bemerkenswertesten ist für mich jedoch, dass jeder in dieser Mannschaft Tore schießt. Gabriel Boschilia und Guido Carrillo zum Beispiel waren vor ihren Verletzungen ständig Bankspieler, haben aber dennoch sechs beziehungsweise sieben Saisontore auf dem Konto. Auch das Zusammengehörigkeitsgefühl ist deutlich besser als zuvor, die Grüppchenbildung geringer - und das spürt man in ihrem Spiel.

SPOX: Was hat Trainer Leonardo Jardim verändert?

Pecheral: Jardim hat taktisch immer einige Einfälle, in dieser Saison sind sie aber äußerst selten geworden. Die Umstellung auf das 4-4-2 war ein Erfolg, an dem nun nicht mehr gerüttelt wird. Die Mannschaft wurde für dieses System aufgebaut, gerade die Offensivspieler sind dafür ideal geeignet. Die Art und Weise, wie Jardim den Fußball sieht, hat sich aber nicht stark verändert. Es wäre daher ein Fehler zu glauben, die aktuelle Saison sei erfolgreicher, weil Jardim irgendetwas großartig verändert habe.

SPOX: Worin besteht seine größte Stärke?

Yann Pecheral (41) arbeitet für Radio Monte Carlo und kommentiert jedes Heimspiel des AS Monaco und von OGC Nizza. Als TV-Journalist ist er zudem für die Sender BFMTV und BFMSport tätig

Pecheral: In seiner Anpassungsfähigkeit. Vor seiner ersten Spielzeit hatte man ihm Neuzugänge und eine große Mannschaft versprochen, dann aber waren Falcao und James Rodriguez plötzlich weg. Er hat sich darüber nie beschwert. Er musste dann mit einer schwächeren Mannschaft arbeiten und hat viele junge Spieler weiterentwickelt.

SPOX: Worauf fußen seine Spielprinzipien?

Pecheral: Besonders auf dem Pressing. Er möchte, dass seine Mannschaften sehr hoch stehen. Das hat anfangs in Monaco allerdings nicht so recht funktioniert. Also hat er mit den Spielern gesprochen und der Truppe ein solides Defensivkonzept eingeimpft - und das hat geklappt. Er hätte schon damals gerne offensiver spielen lassen, hatte dazu aber nicht die nötigen Mittel. Im Vorjahr war es ähnlich, allerdings hatten einige Neuzugänge Probleme bei der Anpassung und am letzten Transfertag ist ihm auch noch sein bester Stürmer Anthony Martial weggeschnappt worden. Doch auch da hat er sich nicht beschwert und ist lautlos mit der Situation umgegangen. In dieser Spielzeit ist der Kader nun komplett. Jetzt kann Jardim auch so spielen, wie er es sich wünscht. Er hat in Benjamin Mendy und Djibril Sidibe neue Außenverteidiger geholt, die stark aufspielen und offensiv wie defensiv ein enormes Programm abspulen. Kamil Glik sichert die gesamte Defensive ab. Ich sehe kaum Schwächen im aktuellen Team.

SPOX: Welchem Trainer kommt Jardim für Ihre Begriffe am nächsten?

Pecheral: Er ähnelt Jürgen Klopp: Viel Bewegung, ausgerichtet in die Offensive. Er stützt sich aber nicht nur auf die Physis der Spieler, sondern lässt den Technikern Platz für ihre Kreativität. Bernardo Silva oder Lemar arbeiten auf den Flügeln viel fürs Team, sind zugleich aber die Eckpfeiler des offensiven Konstrukts. Jardim hat zudem Grundsätze in Sachen Trainingsarbeit, die zumindest in Frankreich für Erstaunen gesorgt haben.

SPOX: Welche sind das?

Pecheral: Keine körperliche Betätigung ohne Ball und niemals lässt er um das Spielfeld laufen - zwei Runden zum Aufwärmen, das war's. Alles wird mit dem Ball gemacht. Auch die Spieler hat das anfangs erstaunt, doch sie haben Gefallen daran gefunden - es funktioniert ja schließlich.

SPOX: Wie würden Sie ihn als Typ beschreiben?

Pecheral: Er ist ziemlich zurückhaltend, um nicht zu sagen scheu, wenn man sich ihm erstmals annähert. Doch mit der Zeit kann man als Journalist eine sehr gute Beziehung zu ihm aufbauen. Er ist kultiviert und belesen sowie privat ein Spaßvogel. Auf Pressekonferenzen bleibt er aber verschlossen und hat sich unter Kontrolle. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass es von ihm niemals eine aufsehenerregende Aussage vor der Presse geben wird. Sein Image in Frankreich ist allerdings zweifelhaft. Er wird häufig wegen seines Akzents verspottet, dennoch bemüht er sich, französisch zu sprechen. Ungeachtet der Resultate wurden seine ersten beiden Spielzeiten sehr kritisiert. Man warf ihm vor, dass das Spiel zu wenig spektakulär sei. Die aktuelle Saison ist nun seine süße Revanche.

SPOX: Wie geht er mit seinen Spielern um?

Pecheral: Er kann bisweilen einen sehr engen Draht zu ihnen pflegen, um sie für seine Ideen zu begeistern. In dieser Saison hat ein Junge wie Benjamin Mendy dank ihm einen großen Schritt gemacht, er schlägt viele gute Flanken. Jardim zögert nicht, die Spieler auch während eines Spiels zu sanktionieren, wenn er nicht zufrieden ist. Er hat die Leute hier schon nach 25 Minuten vom Feld geholt.

SPOX: Worin bestehen die größten Stärken der Mannschaft, wenn man die effiziente Offensive mal außen vor lässt?

Pecheral: Die größte Stärke dieser Mannschaft ist es, eigentlich kaum Schwächen zu haben. In der letzten Saison war die zentrale Achse überaltert, die Außen schwach, es gab keinen Torjäger. Nun wurde alles getan, um all diese Problemstellen zu beheben. Zum ersten Mal in Jardims Amtszeit hat kein Spieler den Verein in den letzten Tagen des Sommertransferfensters verlassen. Stattdessen war die Einkaufspolitik kohärent und brachte große Stabilität. Dabei muss die Arbeit des ehemaligen technischen Direktors Luis Campos gewürdigt werden, der aber im vergangenen Herbst zu OSC Lille ging. Campos hat praktisch alle Spieler der aktuellen Mannschaft geholt.

SPOX: Was wäre denn eine der seltenen Schwächen?

SPOXspoxPecheral: Die Bank. Das hat man nicht zuletzt in der Champions League gegen Manchester City gesehen, als aufgrund von größeren Verletzungsproblemen der 20-jährige Irvin Cardona der einzige noch verfügbare Mittelstürmer im Kader war. Dazu ist Monaco in Europa die Mannschaft mit den meisten Spielen, bereits 51 Pflichtspiele wurden absolviert. Das ist ein großes Problem für den nicht besonders tiefen Kader. Jardim lässt zwar rotieren, doch das Programm besteht aus Ligue 1, Coupe de France, Champions League und bis zuletzt noch dem Coupe de la Ligue - die Spiele mit den Nationalmannschaften nicht mit eingerechnet. In diesem dichten Rhythmus ist das kaum durchzustehen. Es gab zwischendurch einige Spiele wie in Nizza oder Toulouse, in denen die Mannschaft überrannt wurde, da hat kollektiv nichts funktioniert. Das war selten, aber es kam vor. Sobald die Außen blockiert und die beiden Stürmer früh attackiert werden, ist der Mannschaft enorm der Spielfluss genommen.

SPOX: Mbappe ist in aller Munde. Zuvor spielte er in Bondy, einem Vorort von Paris. Wie ist Monaco auf ihn aufmerksam geworden?

Pecheral: Er wurde im Institut National du Football in Clairefontaine vor den Toren von Paris ausgebildet, wo er sehr schnell für Aufmerksamkeit sorgte und umworben war. Seit er zehn, elf Jahre alt war, wollten ihn viele französische Klubs wie Paris oder Monaco holen. Caen hat ihn drei Jahre lang jeden Monat beobachtet. Er war ein sofort entdecktes Phänomen. Jires Kembo-Ekoko, ehemaliger Spieler von Rennes und heute bei Al Ain Club in den Vereinigten Arabischen Emirate, ist übrigens sein Halbbruder.

SPOX: Wer berät Mbappe, wie sieht sein Umfeld aus?

Pecheral: Er hat keinen offiziellen Berater, aber Mino Raiola und Jorge Mendes tun alles, um ihn zu bekommen. Sein Vater ist der Manager und kümmert sich behutsam um seine Karriere. Sie sind 2014 sogar auf Einladung von Zinedine Zidane nach Madrid gereist. Er hat sich die Trainingsanlage angeschaut und sie haben sein Jugendidol Cristiano Ronaldo getroffen. Beinahe hätte er bei Real unterschrieben.

SPOX: Wie haben Sie ihn beobachtet, seit er in Monaco ist?

Pecheral: Er war dem Rest auf Anhieb weit überlegen. Das ist ein in allen Belangen sehr frühreifer Junge, er spricht vor der Presse wie ein 30-Jähriger. Am Ende der letzten Saison hat er dann nach endlosen Verhandlungen seinen ersten Profivertrag unterschrieben. Da dachte man lange Zeit, er würde nicht unterschreiben.

SPOX: Es gibt bereits Gerüchte, wonach Mbappe den neuen Rekord für den teuersten Spieler aller Zeiten aufstellen könnte. Wie bewerten Sie den Hype um ihn?

Pecheral: In Frankreich geht es immer sehr schnell, da muss man aufpassen. Er ist fast jede Woche auf der Titelseite der L'Equipe und wird als künftiger Weltfußballer gehandelt. Alle sind in helle Begeisterung geraten. Er hat aber erst zwölf Mal von Beginn an in der Ligue 1 gespielt. Er ist erst 18 und hat außergewöhnliches Potential, aber man muss ihn wachsen und Fortschritte machen lassen. Manchmal agiert er etwas eigensinnig, verpasst den richtigen Moment zum Abspiel oder spielt einen Pass, obwohl ein Dribbling besser gewesen wäre.

SPOX: Wäre er schon bereit für einen Wechsel zu einem größeren Klub?

Pecheral: Vom Kopf her ist er ein Mann, im Gegensatz zu Anthony Martial beispielsweise. Er könnte morgen gehen und ich glaube, er würde sich überall anpassen.

SPOX: Wie realistisch ist ein Abgang denn überhaupt?

Pecheral: In Monaco steht jeder und niemand zum Verkauf. Es ist alles eine Frage der Angebote. (lacht) Das hat sich ja bei Falcao, Martial, James, Layvin Kurzawa, Geoffrey Kondogbia oder Yannick Carrasco gezeigt. Das gehört zum Geschäftsmodell und dieses funktioniert auch. Im nächsten Sommer besteht die Möglichkeit, dass Monaco einen neuen Einnahmerekord an Spielerverkäufen verzeichnet. Wenn es beträchtliche Angebote gibt - und bei Mbappe wird von über 100 Millionen Euro Ablöse gesprochen -, ist alles möglich.

SPOX: Zwei Drittel des Klubs gehören dem russischen Unternehmer Dmitri Rybolowlew. Anfangs hat er viel Geld in den Verein gepumpt und man schaffte die Rückkehr in die Ligue 1. Ist sein Engagement eine Art Mäzenatentum oder steckt mehr dahinter?

Pecheral: Er hat nichts von einem Mäzen. Er hat anfangs durch die Transfers von Falcao und James die Basis für das Projekt gelegt und damit den Klub wieder nach oben gebracht. Anschließend hat er seine Strategie sehr schnell verändert und in den zwei Transferperioden nach dem Aufstieg seine Ausgaben größtenteils kompensiert. Und damit ist es noch nicht getan, denn der kommende Sommer könnte wie gesagt ein Rekordsommer für Monaco werden. SPOXspox

SPOX: Wie sieht die Strategie aktuell genau aus?

Pecheral: Die Strategie, frühzeitig junge Spieler zu rekrutieren, sie zu entwickeln und sie für viel Geld zu verkaufen, ist für Monaco ideal. Allerdings ist nun Vorsicht geboten, da ein Großteil an Kompetenz, an Netzwerk und an Scouting mit Luis Campos gegangen ist. Antonio Cordon hat ihn im vergangenen Juli ersetzt. Man erwartet das erste richtige Sommertransferfenster unter ihm mit Ungeduld und Neugier...

SPOX: Wie würden Sie Rybolowlew als Menschen beschreiben?

Pecheral: Er ist sehr unauffällig, man bekommt ihn quasi nie zu Gesicht. An manchen Abenden sieht man ihn in der Loge neben Prinz Albert sitzen. Ich selbst habe ihn nur einmal beim Training auf dem Rasen gesehen. Es ist unmöglich, sich ihm zu nähern. Man kann gerade so mit ihm nahe stehenden Personen sprechen. Alles ist mysteriös und das mit Absicht. Man sagt ihm enge Verbindungen zu Jorge Mendes nach, zwischen den beiden werden viele Geschäfte gemacht. Rybolowlew möchte Monaco gewinnen und funkeln sehen, aber das Geschäft muss sich tragen. Die Scheidung von seiner Frau hat ihn enorm viel Geld gekostet, genau in dem Moment, wo er seine Ausgaben in Monaco wieder herausbekommen hat. Zu dieser Zeit war er auch krank, es gab dann Gerüchte um seinen Ausstieg. Auch die Beziehungen zum Fürstentum waren nicht immer großartig. Er kann mit dem Verein oder dem Stadion nicht tun, was ihm gefällt. Er wollte das Stadion und das Trainingszentrum modernisieren, doch damit ist er bei der Regierung angeeckt.

SPOX: In Monaco sind Spieler Thierry Henry, Lilian Thuram oder Emmanuel Petit groß geworden. Ein Problem ist allerdings, dass es sehr wenige Einwohner und noch weniger Kinder gibt. In Frankreich sind zudem Transfers von unter 14-Jährigen verboten, wenn der Spieler außerhalb seiner Geburtsregion transferiert wird. Wie wird dort also Jugendarbeit betrieben?

Pecheral: Der Verein war schon immer ein großer Ausbildungsklub. Die Jugendmannschaften sind jedes Jahr sehr leistungsstark Sie haben die berühmtesten Beispiele genannt, die daraus hervorgegangen sind. Valere Germain, Nampalys Mendy, Kurzawa oder Mbappe gehören in der jüngeren Vergangenheit auch dazu. Im Nachwuchsleistungszentrum ist sehr viel Erfahrung vereint, man macht talentierte Spieler sehr früh ausfindig. Das Netz spannt sich über ganz Europa. Adrien Bongiovanni hat man beispielsweise mit 16 Jahren von Standard Lüttich abgeworben. Kurz gesagt knüpft Monaco wieder an seine europäische Vergangenheit an, aber nicht an seine Ausbildungstradition.

SPOX: Der größte Unterschied zwischen Monaco und Dortmund ist sicherlich die Größe des Stadions und die Atmosphäre. Warum schafft es der Klub nicht, attraktiver für Zuschauer zu werden?

Pecheral: In Monaco leben etwas mehr als 30.000 Einwohner, 8000 davon sind monegassische Bürger. Das Fürstentum ist ein großes Dorf, das im Sommer etwas überlaufen ist. Der Fußball ist eben kein Sport der Reichen. Mit der kalten Stimmung im Stadion Louis II während der Spielzeit in der Liga umzugehen, ist ein Problem für die Spieler. Auch als Tabellenerster mit einer unglaublichen Offensive wird sich das niemals ändern. Nizza ist nur ein paar Kilometer entfernt und obwohl der Klub beliebter ist, ist das Stadion auch nie voll. Die Cote d'Azur ist was die Zuschauer angeht leider kein Fußball-Paradies. Die Spieler dagegen kennen und lieben eine solche Atmosphäre wie in Dortmund, auch wenn die Jüngeren unter ihnen vielleicht etwas beeindruckt sein könnten.