Atletico am Scheideweg

SPOX
10. Mai 201716:08
Atletico hat das Hinspiel des CL-Halbfinals gegen Real mit 0:3 verlorengetty
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Nach der 0:3-Hinspielniederlage gegen Real steht Atletico Madrid vor dem Aus im Halbfinale der Champions League - erneut würden die Rojiblancos kurz vor dem großen Ziel scheitern. Der Klub befindet sich am Scheidweg: Im Sommer droht der Abgang des wichtigseten Spielers Antoine Griezmann sowie von Trainer Diego Simeone. Darüber hinaus verlässt Atletico das Vicente Calderon. SPOX beantwortet die drängendsten Fragen.

Was bedeutet das bevorstehende Aus in der Champions League?

Atletico hat es zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren ins Halbfinale der Champions League geschafft und sich somit weiter in der europäischen Fußballspitze etabliert. Während die Madrilenen bei den vergangenen Anläufen auf den großen Titel aber jeweils nur äußerst knapp scheiterten, deutet in diesem Jahr alles auf ein deutliches Aus hin. Die Verantwortungsträger werden sich deshalb zwangsläufig hinterfragen müssen.

Große Auswirkungen auf die Zukunft hat das bevorstehende Aus jedoch keine. In der Primera Division haben die Rojiblancos den dritten Tabellenplatz, der zu einer neuerlichen direkten Champions-League-Qualifikation berechtigt, so gut wie sicher. Auch die kommende Königsklassen-Saison wird also mit Atletico-Beteiligung stattfinden. Dabei werden die Madrilenen einen neuerlichen Anlauf auf den großen Titel unternehmen.

In welcher Besetzung dieser Anlauf genommen wird, ist jedoch weitestgehend unklar: Top-Stürmer Antoine Griezmann und Trainer Diego Simeone sind unschlüssig, ob sie es erneut mit Atletico versuchen wollen. Die Gespräche in den Tagen nach dem Halbfinal-Rückspiel werden entscheiden, ob es das Atletico der vergangenen Jahre auch in der neuen Saison gibt, oder ob ein größerer Umbruch bevorsteht.

Was ist am Sommer-Transfermarkt zu erwarten?

Die Frage aller Fragen lautet: Bleibt Antoine Griezmann? Alles hängt bei Atletico von der Zukunft des wichtigsten Stürmers ab. Zuletzt deutete einiges auf einen Abschied des Franzosen hin. Laut der englischen Sun ist Manchester United bereit, die festgeschriebene Ablösesumme von 105 Millionen Euro zu bezahlen und Griezmann mit einem Vertrag über fünf Jahre mit einem Wochengehalt von 330.000 Euro auszustatten.

Ob Atletico überhaupt auf einen möglichen Abgang Griezmanns reagieren könnte, hängt derweil vom Internationalen Sportgerichtshof CAS ab. Derzeit ist wegen Verstößen gegen die Wechselbestimmungen bei Minderjährigen noch eine Transfersperre für das Sommer-Fenster über Atletico verhängt. Die Rojiblancos versuchen aber eine Aufhebung zu erwirken - und rechnen sich dabei gute Chancen aus, denn auch eine Sperre des Stadtrivalen Real (wegen gleichen Verstößen) wurde im Dezember verkürzt

Sollte die Sperre aufgehoben werden und Griezmann den Verein verlassen, ist Berichten zufolge Alexandre Lacazette der auserkorene Ersatz. Der 25-jährige Franzose erzielte in dieser Saison wettbewerbsübergreifend 31 Tore in 42 Spielen für Olympique Lyon. Für Lacazette wäre wohl eine Ablösesumme von knapp 60 Millionen Euro fällig. Somit wäre noch Geld für einen zweiten namhaften Neuzugang verfügbar: zum Beispiel Cesc Fabregas. Beim FC Chelsea ist er nicht mehr unumstrittener Stammspieler und laut Eurosport im Fokus von Atletico.

Darüber hinaus entwickelt sich gerade ein interessantes Transfer-Gezanke um Theo Hernandez. Der 19-jährige Linksverteidiger stammt aus der Jugend von Atletico, ist derzeit aber an den Ligarivalen Deportivo Alaves verliehen, wo er zuletzt mit guten Leistungen auf sich aufmerksam machte. Zum Ende der Saison kehrt Hernandez zwar erstmal zu Atletico zurück, dann wäre er aber für die festgeschriebene Ablöse von 24 Millionen Euro zu haben. Die Rojiblancos würden ihm diese Klausel gerne abkaufen und verlängern, doch Real Madrid und der FC Barcelona sollen an Hernandez interessiert sein. "Beide Klubs haben ein Angebot abgegeben", sagte jüngst sein Berater Garcia Quilon.

Was passiert mit Trainer Simeone?

"Für mich ist Versagen, seine Ziele nicht zu erreichen. Und das Ziel war es, die Champion League zu gewinnen. Ich wusste nicht, ob ich die Stärke besitze, diese Truppe weiterzuführen", sagte Trainer Diego Simeone kürzlich in Hinblick auf die Niederlage im vergangenen Champions-League-Finale. Letztlich überwand er sich aber und startete einen neuerlichen Anlauf - der erneut kurz vor dem Scheitern steht. Es ist fraglich, ob es Simeone noch einmal versuchen wird. Wahrscheinlicher ist es, dass er eine neue Herausforderung annimmt.

Alternativen gäbe es für ihn reichlich, denn die Arbeit, die Simeone in den vergangenen Jahren bei Atletico leistete, blieb niemandem verborgen. Besonders konkret soll das Interesse von Inter Mailand sein, wo Simeone bereits von 1996 bis 1999 als Spieler aktiv war. Ob der finanziellen Ressourcen der neuen Besitzer wäre es für Simeone zweifelsohne eine reizvolle Aufgabe. Goal berichtete kürzlich, ein Treffen zwischen Simeone und den Inter-Verantwortlichen sei bereits anberaumt. Dabei soll ihm ein Dreijahresvertrag mit einem Jahresgehalt von sechs Millionen Euro unterbreitet werden.

Kurz darauf berichtete Premium Sport, auch Paris Saint-Germain sei an einer Verpflichtung von Simeone interessiert. Mit seiner Aussage, "ich könnte auch ein anderes spanisches Team trainieren", brachte sich Simeone darüber hinaus auch als potenzieller neuer Trainer des FC Barcelona ins Gespräch. Die argentinische Nationalmannschaft zu übernehmen ist derweil noch keine Option für ihn: "Ich würde die Albiceleste gerne trainieren, aber dazu muss ich mich als Trainer noch verbessern. Ich könnte mir das als letzte Station vor meinem Karriereende vorstellen - wenn ich dann noch will."

Letztlich käme es für Simeone sicherlich auch in Frage, ein Sabbatical einzulegen, um neue Kraft zu tanken und sich zu erholen. In dieser Zeit könnte er darüber hinaus den Trainer-Markt in der englischen Premier League beobachten. Manchester United und dem FC Chelsea wurden in der Vergangenheit bereits Interesse an Simeone nachgesagt, beide verfügen mit Jose Mourinho und Antonio Conte im Moment aber über unumstrittene Trainer - dies könnte sich im Laufe der folgenden Saison aber natürlich ändern und Simeone eine Tür in die lukrativste Liga der Welt öffnen.

Ist ein Umdenken hinsichtlich der Spielidee nötig?

Direkt nachdem Diego Simeone im Dezember 2011 das Traineramt bei Atletico übernommen hat, begann er der Mannschaft seine sehr spezielle Spielidee einzuimpfen. Bissig, intensiv, konterstark agierte Atletico fortan und entnervte damit etlich Gegner. Simeone holte mit dieser Ausrichtung einmal den Pokal (2012), einmal die Europa League (2012) und einen Meistertitel (2014). Darüber hinaus qualifizierte er sich zweimal fürs Champions-League-Finale (2014 und 2016).

Mit einer Mannschaft, die deutlich kostengünstiger und fußballerisch weniger talentiert ist, als die der Rivalen von Real und Barcelona ist das eine mehr als beachtliche Leistung. Simeones Elf glaubt an diese Spielidee und setzt sie annähernd perfekt um - das es nicht zum ganz großen Triumph in der Königsklasse reichte, ist einzig fehlendem Glück zuzuschreiben.

Sollte Simeone im Amt bleiben, wäre es fatal, wenn er die Ausrichtung seiner Mannschaft ändern würde. Das Team bräuchte Zeit, um sich an neue Ideen zu gewöhnen und es könnte schnell passieren, dass Atletico national hinter das aufstrebende FC Sevilla, womöglich sogar hinter die baskischen Vereine aus Bilbao und San Sebastian oder Villarreal zurückfällt.

Falls Simeone den Klub im Sommer aber verlassen sollte, hängt alles vom neuen Trainer und seinen Vorstellungen ab. Es wäre sicherlich ein schwieriges Unterfangen, die aktuelle Mannschaft von einer gänzlich neuen Ausrichtung zu überzeugen.

Was bedeutet der Stadion-Umzug?

Am 2. Oktober 1966 eröffnete Atletico Madrid das Estadio Vicente Calderon (das damals noch Manzanares hieß) mit einem 1:1 gegen den FC Valencia. Die Spielstätte im Süd-Westen des Madrider Zentrums sah legendäre Spiele, speziell im Europapokal diente es Atletico immer wieder als schwer einnehmbare Festung. Dann liefen die Fans auf Hochtouren und sorgten für furchteinflößende Atmosphären. Umso bitterer ist es für den ganzen Verein, dass das letzten Europapokal-Spiel, das dieses Stadion sehen wird, wohl eine CL-Aus gegen den Lokalrivalen sein wird.

Ab der kommenden Saison spielt Atletico im östlich des Zentrums gelegenen Stadion Wanda Metropolitano. "Wanda" ist ein chinesischer Sponsor des Klubs, das Wort "Metropolitano" soll Bezug zum Vorgänger-Stadion des Calderon schaffen. Zwischen 1923 und 1966 spielte Atletico im Estadio Metropolitano. Fernando Torres ist davon begeistert: "Ich weiß durch meinen Großvater vom Metropolitano, es ist ein wunderschöner Name. Für alle mit Atletico im Blut ist dieser Nachname emotional. Ich kann meinem Großvater sagen, dass ich im Metropolitano gespielt habe."

Verein und Mannschaft werden trotzdem sicherlich Zeit benötigen, um sich an die neue Spielstätte zu gewöhnen. In finanzieller Hinsicht befördert das neue Stadion Atletico jedoch in neue Sphären. Mit knapp 74.000 Plätzen bietet es etwa 20.000 Zuschauern mehr Platz als das Vicente Calderon, darüber hinaus verfügt es über größere und besser vermarktbare Hospitality-Bereiche.

Genutzt kann das Stadion aber wohl erst ab September werden, da es zu Verzögerungen beim Bau kam. Mindestens die ersten beiden Begegnungen der Saison wird Atletico deshalb auswärts antreten müssen.

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