Vor 25 Jahren wurde die Champions League als Nachfolger des 1955 erstmals ausgespielten Europapokals der Landesmeister eingeführt. Im Interview erinnern sich die deutschen "Macher" Gerhard Aigner (74/UEFA-Angestellter von 1969 bis 2003), Klaus Hempel (69) und Jürgen Lenz (73) an die Erfindung der Königsklasse. Ein Gespräch über legendäre Nachtessen, die CL-Hymne als Jazz-Version, den Kritiker Uli Hoeneß und perverse Ablösesummen.
Frage: Wo lag der Ursprung der Champions League?
Gerhard Aigner: Ohne den beiden glänzenden Vermarktern Hempel und Lenz zu nahe treten zu wollen, aber das kam aus der UEFA heraus. Es gab eine Entwicklung, die heute wenig erwähnt wird. Da entstand plötzlich das Begehren des Fernsehens, auch Spiele des Vereinsfußballs live zu übertragen.
Frage: Wie war der Ist-Zustand?
Aigner: Vorher waren nur Nationalmannschaften interessant. Mit dem Aufkommen privater Fernsehanstalten wurde beim Kampf um Marktanteile das - ich muss es so bezeichnen - 'Produkt Vereinsfußball' spannend. Wir waren bei der UEFA, das muss ich einräumen, auch manchmal überfordert. Da hatte jeder Verein seine Rechte, der Gegner musste dem Spieltermin und der Anstoßzeit zustimmen. Jeder kam mit seiner Vermarktungsagentur, jeder mit seinem Sender. Da kam es bei Spielen mit Beteiligung großer Mannschaften aus Italien, England, Deutschland, Frankreich oder Spanien zu erpresserischen Methoden. Manchmal wussten wir um 14 Uhr noch nicht, ob um 17 Uhr gespielt wird.
Frage: Das heißt also, es lief nicht alles sonderlich organisiert ab?
Aigner: Wir mussten Ordnung in die Sache bringen. Wobei nicht einmal der Europapokal der Landesmeister das Problem war, sondern der UEFA-Pokal. Bei den Meistern war alles klar. Aber wie den Viertplatzierten einer sogenannten starken Liga gegen den Zweiten einer vermeintlich schwächeren setzen? Da hatten wir Probleme. Es durfte ja auch nicht gleich in der ersten Runde zu einem Knaller kommen.
Klaus Hempel: Nach unserem Ausstieg aus der Firma ISL Anfang 1991 kam es zu einem legendären Nachtessen im Zürcher Hotel Dolder zwischen UEFA-Präsident Lennart Johannsson, Aigner von der UEFA sowie Herrn Lenz und mir. Dabei erfuhren wir von den Plänen der UEFA, den Meisterpokal restrukturieren zu wollen. Und die UEFA erfuhr von uns, dass wir hierzu passend ein Vermarktungskonzept hätten, mit dem die UEFA die Zügel der Kommerzialisierung zentral in der Hand halten würde.
Frage: Herr Aigner, es haben angeblich sechs oder sieben Agenturen um das neue Format konkurriert. Weshalb ist TEAM (The Event Agency of Marketing, d.Red.) ausgewählt worden?
Aigner: Der Markt bestand eigentlich nur aus etablierten Agenturen, die aber vielfach verflochten waren. Wir konnten uns schlicht und einfach nicht mit einem Partner zusammentun, der schon Interessen bei einem Verband oder einem Verein hatte. Wir brauchten einen neutralen Partner, der nichts anderes tat, als die Champions League aufzubauen. Mit all den Hindernissen. Das Endspiel beispielsweise war auf Jahre hinaus an andere Partner verkauft, und Agenturen, die Wind von unseren Plänen bekamen, haben noch rasch ihre Vereinsrechte verlängert, um danach vor Gerichten Entschädigungen zu erstreiten.
Jürgen Lenz: Wir hatten einfach das passende Szenario. Es basierte auf der Philosophie, das Ganze ist größer als die Summe der Einzelteile. Vorher haben die Vereine immer nur auf ihr kleines Scheibchen geguckt. Es gab bei ihnen viel Skepsis. Sie unterschätzten die Kraft, welche die Bündelung der Rechte nach sich ziehen konnte. Wesentlich war unser Standpunkt: Weniger ist mehr. Da hatten wir besonders die Sponsoren im Auge.
Hempel: Die Exklusivität - sowohl insgesamt wie auch innerhalb der Produkt- bzw. Dienstleistungskategorie - war ein entscheidender Punkt. Und dies bei der Veranstaltung selbst wie auch in den Medien.
Frage: Wie sind Sie auf den Namen Champions League gekommen?
Hempel: Wir hatten eine Liste unterschiedlicher Namen erarbeitet.
Lenz: Da war sogar Europa League dabei...
Hempel: Und dann sind wir mit unserer Auswahl zu Gerhard Aigner gefahren und haben ihn gefragt: 'Welcher Name gefällt Dir?'
Lenz: Gerd hat die Vorschläge studiert und uns gefragt: 'Habt Ihr einen Favoriten?' Dann haben wir gesagt: 'Ja wir haben einen.' Er antwortete: 'Ich auch.' Und es war: Champions League. In dem Moment wussten wir, dass zwischen uns ein perfekter, harmonischer Dreiklang herrscht.
Aigner: Es lag ja auch eine Logik darin. Wir wollten natürlich die Meister aus dem ehemaligen Europapokal der Landesmeister haben. Nur wollten wir ihn auch aufwerten, nach oben bringen. Wir hatten schon den zweiten Schritt im Auge, eben auch Nicht-Meister zur Teilnahme zuzulassen und somit eine Anleihe aus dem UEFA-Pokal zu nehmen. Es sollte der Wettbewerb der Besten sein. Und dass ein Zweiter der Bundesliga spielerisch besser ist als ein Meister aus Irgendwo, war ebenfalls klar. Aber diese Meister aus den sogenannten kleinen Ländern sollten auch ihre Chance bekommen - gegen die Großen.
Frage: Gab es Widerstand gegen die Einführung, weil in Ihren Personen drei Deutsche sehr, sehr maßgeblich an der Einführung der Champions League beteiligt waren?
Aigner: Es gab auch innerhalb meiner eigenen Organisation, der UEFA, Vorbehalte. Ich spürte das. Ich nehme an, dass einige angesichts der damals anscheinend gebräuchlichen Methoden, annahmen, dass was unter dem Tisch gegangen ist. Es gab seinerzeit ja auch viele andere Interessen. Man hat mich verdächtigt, dass ich besonders behandelt worden bin, weil ich so für das Projekt gekämpft habe. Aber irgendwann sind diese Zweifel verflogen und es ist allen klar geworden, dass es nur Gewinner gibt. Doch, es gab Widerstände, vor allem von den anderen Agenturen.
Lenz: Es gab ja damals erst noch Qualifikationsrunden vor der Gruppenphase. Stuttgart ist ausgeschieden, weil Trainer Christoph Daum einen Wechselfehler beging und einen vierten Ausländer einwechselte. Barcelona war nicht mehr dabei, kein englischer Klub. Keiner der fünf großen Märkte. Da haben sich einige schon die Hände gerieben.
Hempel: Ich erinnere mich noch an Günter Netzer, damals Vertreter der Agentur von Lüthi. Bei der Gruppenauslosung hat er mir mit ironischem Lächeln alles Glück gewünscht.
Lenz: Wir müssen vor allem den Fernsehanstalten ein großes Kompliment machen, allen voran RTL. Der damalige Programmchef Helmut Thoma ist seinerzeit eisern zu uns gestanden. Die haben wirklich gezahlt, keine Ausflüchte gesucht und all ihre vertraglichen Verpflichtungen eingehalten. Wir konnten den Sendern ja nur sagen, ihr kriegt die besten Mannschaften, aber wir wissen nicht, wer es ist.
Hempel: Das war ein großer Vertrauensvorschuss von Thoma, der wirklich von dem Konzept überzeugt war. Das war nicht selbstverständlich damals.
Frage: Zu den drei deutschen Machern gesellten sich ja auch noch zwei deutsche Geldgeber. Angeblich wollte die UEFA eine Garantiesumme von 150 Millionen Schweizer Franken haben.
Hempel: Ja, das war für die ersten zwei Spielzeiten. Die UEFA brauchte von uns eine finanzielle Ausfall-Garantie, um eine Zentralvermarktung gegenüber den Klubs durchsetzen zu können. Wir sind dann auf Tournee gegangen, um hierfür Geldgeber zu finden. Interpublic, UFA, Metro sowie diverse Banken haben wir angesprochen, zunächst ohne Erfolg.
Lenz: Es war im Endeffekt ein Segen, dass Banken uns reihenweise absagten, und wir in Arend Oetker und Otto Wolff von Amerongen deutsche private Geldgeber gefunden haben.
Hempel: Zunächst hatten wir Arend Oetker in Köln getroffen. Er verstand nichts vom Fußball, war aber vom Konzept überzeugt und hat uns gebeten, seinen Ex-Schwiegervater und Geschäftspartner - Otto Wolff von Amerongen - am Wolfangsee aufzusuchen. Dort haben wir uns dann erneut präsentiert. Nach einem kurzen Telefonat mit Oetker kam Otto Wolff dann freudestrahlend zu uns und sagte: 'Meine Frau hat Forellen zubereitet, Haben Sie Zeit, mit uns Mittag zu essen? Wir sind jetzt Partner!'
Frage: Die Champions League also ein Konzept der Deutschen?
(Alle lachen) Aigner: Wenn Sie so wollen: Ja.
Hempel: Oetker und Wolff haben dann über die Deutsche Bank die verlangte Garantie gestellt, wobei wir beide mit unserem Hab und Gut ebenfalls zu haften hatten. Aber das war in Ordnung: Wir waren überzeugt von dem, was wir taten.
Frage: Ein herausragendes Merkmal der Champions League ist zweifellos die Hymne. Wie sind Sie auf Georg Friedrich Händel gekommen?
Hempel: Die Idee war es, eine Marke zu kreieren, die den Fußball allgemein und die Marke Champions League insbesondere auf eine höhere Ebene heben sollte. Neben dem Sternen-Emblem sollte die Musik diesen Anspruch untermauern. Beim Ideengespräch habe ich der Agentin des Komponisten Tony Britten gesagt: 'Vielleicht etwas Getragenes aus der klassischen Musik, wie das Halleluja von Händel. Und dann hat Britten Zadok The Priest für uns arrangiert. Das Original wird übrigens bei jeder Krönungsmesse für eine englische Königin oder einem König gespielt - zuletzt also 1953.
Lenz: Wir wollten uns dem Niveau von Länderspielen anpassen. Aber wir durften natürlich keine Nationalhymne spielen. Das Klassische ist dann, vor allem bei den Fernsehanstalten, die es ja spielen mussten, zunächst auf erheblichen Widerstand gestoßen.
Hempel: Vor allem bei RTL und ITV. Unter deren Druck haben wir sogar eine Jazz- und Pop-Version erstellen lassen, die aber nie veröffentlicht wurden. Gott sei Dank ist das nie passiert. Heute ist die Musik ein wesentlicher Bestandteil der Marke. Ich muss gestehen, dass ich sie immer noch als Klingelton auf meinem Handy habe.
Frage: Und dann das Sternenbanner?
Hempel: Das Sternenbanner stand ursprünglich für die acht Mannschaften, die für die Champions League qualifiziert waren. Das Emblem, das von einer englischen Agentur für uns kreiert wurde, war und ist so eindrücklich, dass man daran festgehalten hat: 90 Minuten lang sollen die Spieler nach den Sternen greifen dürfen.
Lenz: Was die Musik betrifft: Wir haben deshalb sogar eine repräsentative Befragung durchgeführt. Und einer der Probanden, ein jugendlicher Fan im Arsenal-Trikot, antwortete: 'Zunächst einmal: Ich hasse klassische Musik. Außer bei der Champions League.'
Frage: Uli Hoeneß war anfangs ein starker Kritiker der Champions League, hat dann relativ rasch seine Meinung geändert. Hatten Sie, Herr Aigner, engen Kontakt mit ihm?
Aigner: Es ist sicherlich richtig, dass seinerzeit die Verbindung der UEFA über die Verbände lief und kaum über die Vereine, auch wenn Einzelne den Kontakt zu uns gesucht haben. Das Klub-Forum wurde bekanntlich erst später eingerichtet. Es war bei den Klubs natürlich eine gewisse Skepsis vorhanden, wobei auch dort die Frage des Geldes überwogen hat. Die Einnahmen des Ganzen waren größer, als die Summe der Einzelerlöse gewesen wäre, und damit ging es natürlich auch um den Verteilerschlüssel. Was zählen sportliche Erfolge? Was die Marktmacht und so weiter. Da gab es schon Diskussionen.
Hempel: Hoeneß war einer der ersten Kritiker, aber auch einer der Ersten, der sich selbst korrigiert und die Vorteile dieses neuen Konzepts gut geheißen hat.
Aigner: Ob Hoeneß mir gesagt oder geschrieben hat: 'Ich lag falsch', daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall stand Hoeneß damals mehr im Blickpunkt als Karl-Heinz Rummenigge. Hoeneß war das Sprachrohr.
Frage: Mussten die Klubs auch erst einmal lernen, welche Vorteile die Champions League bringt?
Aigner: Die Vereine haben lange gebraucht, um zu kapieren, welches Instrument wir ihnen an die Hand gegeben haben. Abgesehen von der Bundesliga, die von ihrem späten Beginn an - in anderen Ländern bestand der Profifußball ja bereits Jahrzehnte zuvor - zumindest im Fernsehbereich eine solidarische Zentralvermarktung eingeführt hat, haben viele Länder den Vorteil dieses Geschäftsprinzips erst durch die Champions League erkannt. Und darauf können UEFA und TEAM stolz sein. Das bleibt.
Frage: Es gab aber eine Auseinandersetzung 1998 mit Hoeneß rund um ein sogenanntes Media Partner Programm.
Aigner: Das stimmt. Da haben sich die Deutschen mit den Italienern zusammengetan, was mich gewundert hat, denn die Italiener waren bis dahin bei Abrechnungen nicht die ehrlichsten. Die Deutschen haben immer korrekt bezahlt. Das war allgemein bekannt. Es war die Zeit, als die Idee einer Super-Liga durch die Köpfe geisterte. Und die Italiener wollten dazu Freifahrtscheine haben. Das haben wir abbiegen können, indem wir dann auf 32 Teilnehmer gegangen sind. Was mich heute erbost: Wir sind von 17 auf 13 Spieltage runtergegangen, und statt den Ligen die frei gewordenen Termine zu belassen, wird heute das Achtelfinale über vier Wochen gespielt. Ein Wahnsinn! Wir haben seinerzeit die zweite Gruppenphase wegen Überlastung extra wieder abgeschafft!
Lenz: Natürlich gab es anfangs Widerstand. Ich erinnere mich beispielsweise an Borussia Dortmund und Michael Meier (Ex-BVB-Manager, d.Red). Der tobte: 'Ich kann mich nicht in meinem eigenen Stadion bewegen.' Ich fragte ihn: 'Sie haben doch die Teilnahmebedingungen an der Champions League erhalten und unterschrieben. Haben Sie sie auch gelesen? Wenn ja, wussten Sie die Bedingungen und Regeln, die zu befolgen sind.
Hempel: Bei Willi Lemke in Bremen war die Reaktion ähnlich.
Frage: Ex-Bundestrainer Berti Vogts hat die Champions League als Geldbeschaffungspokal madig gemacht. Haben Sie je mit ihm darüber gesprochen?
Lenz: Diese Kritik hat uns nie gejuckt. Wir haben hingegen aufmerksam die Meinungswandlung von Franz Beckenbauer verfolgt. Der war anfangs durchaus ein Kritiker, aber nur, als die Bayern nicht dabei waren und sie nicht an die Fleischtöpfe herankamen. So ist das im Fußball.
Frage: Ist der Unterschied der Einnahmen zwischen der Champions League, der Europa League und dann den europäischen Habenichtsen der nationalen Ligen zu groß?
Aigner: Die, die in Europa gar nicht dabei sind, sind arm dran. Da müssten innerhalb der Ligen andere Konzepte angewendet, zum Beispiel Deckelungen eingerichtet werden, die auch Einnahmen aus internationalen Wettbewerben berücksichtigen. Wer im Europacup spielt, ist ja auch national erfolgreich. Die Klubs dürften sich nicht noch einmal stark abheben. Das ist ein Problem. Die Champions League bildet im Grunde eine Superliga für sich.
Frage: Was bedeutet das?
Aigner: Nur noch Vereine aus den fünf großen Ländern können sich eine Mannschaft leisten, welche die Champions League gewinnt. Oder können Sie sich vorstellen, dass noch einmal Roter Stern Belgrad auf dem Treppchen steht? Auch das ist eine Folge des Bosman-Urteils von 1995, wo ausländische Spieler ohne Beschränkung zugelassen und nationale Zugehörigkeiten - und ich meine das ausdrücklich nicht im Sinne eines Rechtspopulismus - nicht mehr beachtet werden. In der Bundesliga war nach meiner Erinnerung Cottbus die erste Mannschaft, die ohne einen Spieler mit deutschem Pass angetreten ist. Das sind schon Dinge, die nicht so gut in der Landschaft stehen, meiner Ansicht nach. Und Inter Mailand ist bei einem Spiel gegen die Bayern genauso verfahren.
Frage: Hat die Champions League den Transfer von Neymar für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris St. Germain erst ermöglicht?
Lenz: Nein. Man muss da genau differenzieren. Der Emir von Katar, Besitzer von Paris St. Germain, will die Champions League gewinnen, aber die Champions League hat trotz allen Erfolges nie die Millionen für PSG generiert, um Neymar kaufen und finanzieren zu können.
Hempel: Und dennoch beweist dieser Transfer die Strahlkraft der Champions League. Rein fußballerisch gesehen hätte Paris ohne die Champions League keine Chance, im Fußball eine Lichterstadt zu werden.
Aigner: Das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. So einfach ist das geworden. Diese Trophäe zu gewinnen, ist das Ziel aller großen Vereine. PSG kann sich bisher nicht dazu zählen, deshalb haben die einen besonderen Appetit. Bei den Geldgebern weiß man, dass die genügend Mittel haben. Nicht nur im Sport.
Hempel: Ja, das ist schon ein bisschen krank. Aber Exzesse wird es leider in jeder Struktur geben.
Aigner: Ja, auch ich finde es ein wenig pervers. Ich kann das nicht begrüßen. Ich weiß auch nicht, ob das Publikum Summen über 100 Millionen Euro noch akzeptieren wird. Ich stelle diese Geldmenge jetzt mal einfach spekulativ in den Raum. Dazu kommen ja noch Nettogehälter und damit Steuern und Sozialabgaben. Das kann doch kein Normalverdienender mehr nachvollziehen. Ich verstehe da ein Stück weit den Fanverdruss am Profifußball.
Lenz: Diese Summe ist dem Ego des Präsidenten geschuldet. Die hat mit Wirtschaftlichkeit nichts zu tun. Es stimmt, wir haben der Champions League neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet. Aber diese Facette ist jenseits von Gut und Böse. Es ist einerseits die lineare Fortsetzung von Abramowitsch, Florentino Perez und anderen. Neu für mich ist der Fakt, dass Neymar selber, also persönlich, sich aus dem bestehenden Vertrag herausgekauft hat.
Aigner: Das ist der Versuch, das Financial Fair Play zu umgehen. Es ist eine Grauzone, die die Vereine versuchen zu erforschen. Es hängt von der UEFA ab, wie streng sie ihr eigenes Reglement handhaben will. Wenn ein Verein nicht mehr ausgeben darf, als er einnimmt, ist die Absicht klar. Wenn ein Spieler aus seiner Privatschatulle 222 Millionen Euro hinblättern kann, auch. Ich bleibe dabei: Das alles ist indirekt eine Folge des Bosman-Urteils von 1995.
Frage: Was meinen Sie genau?
Aigner: Wir Fußballer haben feststellen müssen: Die EU erkennt die Besonderheiten des Sport nicht an. Deshalb gibt es heute all diese neuen Vertragsklauseln. Das Urteil war ein Schlag ins Wasser. Den EU-Leuten muss man vorwerfen, dass sie in eine Materie eingriffen, die sie nicht kannten.
Hempel: Aber trotz dieses Auswuchses, der ja nicht primär von der Champions League zu verantworten ist, ist die Marke Champions League inzwischen zum Gattungsbegriff geworden, sie steht als Synonym für das Beste vom Besten!
Frage: Die Champions League war mal eine paneuropäische Idee. Gleiche Werbung in allen Stadien, gleiche Anstoßzeit in ganz Europa - paneuropäisch. Jetzt werden die Anstoßzeiten auf 19 Uhr und 21 Uhr gesplittet. Ihre Meinung als Erfinder?
Lenz: Ich halte davon gar nichts.
Hempel: Ich wäre auch entschieden dagegen. Aber diese gemeinsame Anstoßzeit von 20.45 Uhr hinzubekommen, das war äußerst schwierig. Wir hatten uns eigentlich auf 20.15 Uhr geeinigt.
Lenz: Und dann kam dein dicker Freund aus Frankreich und erklärte, dass dort die Hauptnachrichten erst um 20.45 Uhr enden...
Hempel: Eine einheitliche Anstoßzeit zwischen Süd-, Ost-, Nord- und Westeuropa zu finden, war ein Mammutakt. Aber gerade die Einheitlichkeit war für die Marke Champions League entscheidend. Der Übergang zu zwei Anstoßzeiten hätte ausschließlich mit Einkommensoptimierung zu tun, was allerdings sehr kurzfristig gedacht wäre.
Frage: Ab der nächsten Saison haben die ersten vier der UEFA-Fünfjahreswertung vier feste Startplätze in der Champions League, also Spanien, Deutschland, England und Italien. Bislang waren das nur die ersten drei, und der jeweils Tabellenvierte musste noch in eine Qualifikation. Damit haben die Großen Vier die Hälfte der Champions League-Startplätze für sich. Gefällt Ihnen diese Entwicklung?
Aigner: Mir gefällt sie ganz und gar nicht. Mir hat schon der dritte feste Startplatz nicht gefallen. Die jetzige Neuregelung ist doch nur gekommen, weil die UEFA ein Jahr lang führungslos war. Der Präsident (Platini, d. Red.) war gesperrt und der Generalsekretär (Gianni Infantino, der heutige FIFA-Präsident, d. Red.) ist zur FIFA gewechselt. Dann haben die großen Klubs, Karl-Heinz Rummenigge (Ex-Chef der europäischen Klubvereinigung ECA und von Bayern München, d.Red.) an der Spitze, die Leere genutzt und ihre Interessen durchgesetzt.
Frage: Ihre Lehre?
Aigner: Verschiedene Dinge gefallen mir nicht mehr, aber ich bin da aus einer anderen Generation. Das muss man auch ehrlich zugestehen. Vieles auf dem und um das Spielfeld herum gefällt mir nicht mehr. Der Fußball bleibt ein tolles Spiel, aber die Leute, die für den Fußball verantwortlich wären, kümmern sich um ihre eigene Karriere und nicht um das Spiel.
Lenz: Die Champions League müsste auch in der Zahl der Teilnehmer aus einem Land ihre Rarität beibehalten. Täglich Kaviar und Champagner schmecken auf Dauer schal.
Hempel: 'Weniger ist mehr' ist eigentlich immer noch der entscheidende Gedanke.
Lenz: Aber die entscheidenden Leute machen sich darüber keine Gedanken mehr, weil sie bei Wahlen Stimmen brauchen.