Auf der Ancelotti-Kurve

Carlo Ancelotti ist seit Juli 2016 Trainer des FC Bayern München
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Carlo Ancelotti ist seit 15 Monaten Trainer des FC Bayern München. Nach dem Abschied von Pep Guardiola erwarteten sich die Verantwortlichen weniger Diskussionen und eine entspanntere Atmosphäre rund um den Verein, aber auch einen etwas anderen Spielstil. Das Spiel gegen Paris St.-Germain (20.45 Uhr im LIVETICKER) wäre eine gute Gelegenheit, in dieser Hinsicht ein Statement abzugeben.

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Für alle, die es vergessen hatten oder aufgrund der Millionentransfers der Konkurrenz für ausgeschlossen hielten, hatte Uli Hoeneß am Montag im Kicker eine Botschaft bereit. Der FC Bayern kann mit diesem Kader die Champions League gewinnen. Die Aussage war garniert mit dem Zusatz: "Damit das klar ist."

Und damit das klar ist, kann sich keiner mehr hinter irgendwelchen Ausreden verstecken, sofern es im März, April, Mai in die entscheidenden Spiele geht und der Kader dann wie von Hoeneß vorausgesetzt komplett fit ist. Kein Robert Lewandowski, der die Transferstrategie des FC Bayern für diskutabel hält, kein Thomas Müller, der sich nicht genügend wertgeschätzt fühlt, und auch kein Carlo Ancelotti, der die Kritik an seiner Person von allen Seiten für zu viel hält.

Die Ziele sind also klar abgesteckt, auch wenn Hoeneß ja nach Tagesform die Champions League nur für die Sahne auf dem Kaffee oder aber einen Titel für zu wenig hält.

Abschied Ancelottis am Saisonende wahrscheinlich

Die Königsklasse sollte es schon nochmal sein in naher Zukunft. Eigentlich schienen die vergangenen Jahre mit der Generation Lahm die geeignetsten dazu, aber auch nach dem Karriereende des Kapitäns und von Xabi Alonso sind die Möglichkeiten gegeben. Ein paar alte Haudegen, die ihre womöglich letzte Chance nutzen wollen, sind mit Arjen Robben und Franck Ribery auch noch vorhanden.

Zuletzt mehrten sich die Stimmen, die auch Ancelottis letzte Chance auf den Henkelpott mit dem FC Bayern gekommen sehen. Vielen Beobachtern gilt eine Trennung unabhängig vom Ausgang dieser Saison als wahrscheinlich, auch wenn sein Vertrag bis 2019 läuft.

Es ist kurios und faszinierend zugleich, wie Ancelotti seine Zeit in München anhand seiner Erfahrungen im Trainergeschäft in seinem Buch "Quiet Leadership" quasi vorausgesagt hat.

"Vielleicht ist das generell der natürliche Zyklus vieler Trainer, dass genau der Grund, aus dem man sie ursprünglich eingestellt hat, am Ende das Argument wird, mit dem man sie entlässt. Oder vielleicht ist das auch nur das Charakteristische an der Ancelotti-Kurve", schreibt der Italiener.

Ancelotti zeigt sich unerschütterlich

Nach dem sehr fordernden und detailversessenen Pep Guardiola wollten die Bayern einen etwas ruhigeren, weniger peniblen Trainer, dem der Ruf vorauseilte, die Stars bestens bei Laune halten zu können. Es sollte wieder etwas entspannter zugehen an der Säbener Straße. Ähnlich war es in München damals auch als Felix Magath durch Ottmar Hitzfeld ersetzt wurde. Aber irgendwann wird es den Bossen dann immer zu relaxt.

Auch das kennt Ancelotti: Immer wieder kommt er an den Punkt, wo Fragen aufkommen, ob er nicht härter durchgreifen müsse und ob die Spieler nicht zu viel frei hätten. Für Strafen sieht er sich nicht zuständig, das sei Aufgabe des Klubs. Zu wenig Training? Das habe er schon im Blick und die Spieler sollen ja nicht verheizt werden.

Es ist also alles schon mal da gewesen in Ancelottis jahrzehntelanger Laufbahn, die ihn nach Mailand, London, Paris, Madrid und München führte. Er kennt die Prozesse, vielleicht verstärkt sich auch deshalb der Eindruck, die ganzen Diskussionen perlten einfach so an ihm ab. Es ist diese Unerschütterlichkeit, die Mats Hummels Ancelotti am Dienstag in Paris attestierte.

Ancelotti verwaltet Guardiolas Erbe

Die Ancelotti-Kurve, sie nimmt also auch in München ihren Lauf. Die Frage ist nur noch, ob sie schon wieder am Abklingen ist und ihren Höhepunkt im April dieses Jahres erreicht hatte, als bis zum Hinspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid alle Experten von Ancelottis Qualitäten als Leader schwärmten, oder ob der Scheitelpunkt erst noch kommt und alle Nebenkriegsschauplätze bisher doch nur Kleinigkeiten waren.

Vieles spricht für Ersteres. Denn vielleicht hat Ancelotti die Aufgabe in München in einem Punkt unterschätzt. Zwar war das Umfeld von Vorgänger Guardiola ermüdet, nicht aber die Mannschaft. Sie hatte großes Vertrauen in den Katalanen und hätte gerne mit ihm weitergearbeitet. Die Bayern hatten unter Guardiola einen klaren Plan, die Spieler folgten ihm.

Ancelotti ist bisher als Verwalter dieses Erbes aufgetreten. Er wollte keine Revolution starten und hat der Mannschaft ihren Spielstil nicht genommen, nur fehlt ihr an manchen Stellen eben der Input des Gestalters dahinter.

Denn, und das ist ein ganz entscheidender Punkt, neben einer neuen Wohlfühlumgebung sollte Ancelotti auch einen etwas veränderte Spielweise in München etablieren. Weg vom erdrückenden Ballbesitz und extrem hohen Pressing, hin zu einer moderateren Spielweise, die weniger konteranfällig und nach vorne schneller und direkter ist.

Ancelottis Idee braucht ein Erweckungserlebnis

Diese Handschrift des Trainers ist in München bisher nicht zu erkennen. Die Bayern mögen zwar in vielen Spielen weniger Ballbesitz haben, das hat aber in erster Linie damit zu tun, dass ihr Ballbesitz- und Positionsspiel nicht mehr so sauber und gut auf den Gegner abgestimmt ist wie früher. Ein schnelleres, schnörkelloseres Spiel aus einer kompakten Defensive hat er seinem Team aber noch nicht beigebracht.

Das mag daran liegen, dass es mit den Gegnern in der Bundesliga kaum die Möglichkeit gibt, mit dieser Herangehensweise zu spielen. Aber als die Bayern im April gegen Real Madrid eine stabile Defensive gebraucht hätten, war davon kaum etwas zu sehen.

Die Partie gegen Paris St.-Germain ist zwar von der Bedeutung für den Wettbewerb deutlich geringer, aber es wäre die nächste Gelegenheit, um zu zeigen, dass die Bayern unter Ancelotti ihrem Spiel weitere Elemente hinzugefügt haben. Balance, Kompaktheit und Umschaltspiel hat Ancelotti am Dienstag als entscheidende Kriterien gegen PSG benannt.

Die Idee Ancelotti braucht ein Erweckungserlebnis, sonst könnte die Kurve wirklich bald ihr Ende erreicht haben. Der Prinzenpark wäre eine gute Bühne dafür.

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