Die Dekonstruktion des Andersseins

Der FC Barcelona hat viel von seinem Status eingebüßt
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Sportlich nicht mehr die Nummer eins, interne Führungs-Querelen, Verwirrung um Vertragsverlängerungen und lange Gesichter auf dem Transfermarkt - der FC Barcelona hat in den vergangenen Monaten einiges von seinem Glanz eingebüßt. Trotz des starken Saisonstarts herrscht vor dem Auftakt in der Champions League gegen den Vorjahresfinalisten Juventus (Dienstag ab 20.45 Uhr im LIVETICKER) keine Euphorie, sondern Unruhe und Ungewissheit.

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Die Welt im Camp Nou ist in Ordnung. Zumindest an diesem magischen Samstagabend um 22.40 Uhr.

Soeben hat der FC Barcelona den Lokalrivalen Espanyol mit 5:0 zerlegt. Lionel Messi glänzte mit einem Dreierpack, der häufig kritisierte Ivan Rakitic legte zwei Treffer auf und auch Rekordneuzugang Ousmane Dembele steuerte einen Assist bei.

Der Saisonstart ist erste Sahne. Drei Spiele, neun Punkte, 9:0 Tore, bereits vier Zähler Vorsprung auf den ewigen Rivalen und Titelverteidiger Real Madrid.

Pünktlich vor dem Start in die Champions-League-Saison hat Barca zu einer starken Frühform gefunden. Passenderweise. Denn am Dienstagabend könnte die Hürde kaum höher sein, wenn Vorjahresfinalist Juventus im Camp Nou zu Gast ist. Im Vorjahr Barcas Endstation im Viertelfinale der Königsklasse - das deutlichste und verdienteste Ausscheiden seit Jahren.

Eigentlich genau das richtige Spiel für einen stolzen Weltverein wie den FC Barcelona. Gerade in dieser Gala-Form. Jedoch sind die positiven sportlichen Schlagzeilen zuletzt deutlich in den Hintergrund gerückt.

Noch vor wenigen Jahren war der FC Barcelona der glanzvollste Verein der Welt. Mit einer weltberühmten Jugendakademie, sozialem Engagement, einer weltweit einzigartigen Identität und Spielweise.

Auf dem absoluten Höhepunkt waren die Popularität und der Glanz des Klubs im Sommer 2009.

Was macht den FC Barcelona so anders?

Beim Gewinn des ersten Triples standen im Champions-League-Finale gegen Manchester United sieben Spieler aus La Masia auf dem Platz, dazu mit Pep Guardiola ein Trainer an der Seitenlinie, der ebenfalls diese Ausbildung genoss. Die Brust der Trikots zierte das Unicef-Logo. Die Mannschaft prangte sportlich deutlich über allen anderen und stand für Traum-Tiki-Taka. Lionel Messi schaffte endgültig den Sprung zum Besten der Welt - am Ende des Jahres gewann er erstmals den Ballon d'Or.

Der FC Barcelona war anders. Ein Gentleman-Klub, allseits beliebt. Er wirkte wie eine verschworene Einheit. Barca war "mes que un club".

Acht Jahre später ist der FCB immer noch einer der größten Vereine der Welt. Zweifelsohne. Es ist gerade einmal zwei Jahre her, dass die Katalanen ihr zweites Triple feierten. Auch in der für Barca-Verhältnisse enttäuschenden letzten Saison stand am Ende mit dem Pokalsieg immerhin ein Titel. Dazu lässt sich der sportlich überragende Start in die neue LaLiga-Saison nicht wegdiskutieren.

Der Glanz des FC Barcelona blättert ab

Und doch hat der Edelklub zuletzt einiges von seinem Glanz eingebüßt. Sowohl die Außenwirkung als auch die Stimmung innerhalb der Anhängerschaft ist nicht mehr ausschließlich rosarot. Die letzten Jahre waren eine schrittweise Dekonstruktion des Andersseins. Auf mehreren Ebenen.

Der Stellenwert von La Masia hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Vor allem unter Luis Enrique litt die Durchlässigkeit der Nachwuchskicker in die A-Mannschaft. Auf der Spielerliste der Katalanen befinden sich kaum potentielle Stammspieler für die Zukunft. Vielversprechende Talente bringt La Masia immer noch hervor, sie sehen jedoch keine Perspektive. Im Sommer verließen einige davon Barcelona in Richtung Monaco (Jordi Mboula) oder Manchester (Eric Garcia).

Barca kommerzialisiert wie jeder andere Klub

Auch vom Credo, ohne Trikotsponsor aufzulaufen und sich danach mit dem werbezahlungsfreien Unicef-Schriftzug nicht nur vom Rest abzugrenzen, sondern sich als sozial engagierten, eben andersartigen Klub zu positionieren, ist Barca mittlerweile abgerückt. Jahrelang warben sie für Qatar Airways - nicht gerade ein sanfter Übergang - und haben seit dieser Saison einen fetten Werbevertrag mit dem japanischen Online-Händler Rakuten, der jährlich über 60 Millionen Euro garantiert.

Damit ist Barcelona kein schwarzes Schaf unter den internationalen Topklubs. Real Madrid wirbt mit Fly Emirates, die Betreibergesellschaften von Manchester City oder Paris Saint-Germain kommen aus dem arabischen Raum und seit dieser Saison wirbt selbst der FC Bayern auf seinem Ärmel für den Hamad International Airport.

Dicke Sponsorendeals sind alternativlos, um im Millionengeschäft Fußball konkurrenzfähig zu bleiben. Sie sind normal. Aber eben nicht anders - wie es der FC Barcelona sein will.

Sportlich von Real Madrid überholt

Auch sportlich ragt der Klub nicht mehr weit über den Dingen. "Zum ersten Mal in den neun Jahren, die ich nun in Barcelona bin, habe ich das Gefühl, dass wir Real unterlegen sind", sagte ein sichtlich niedergeschlagener Gerard Pique nach der verlorenen Supercopa gegen den großen Konkurrenten. Ausgerechnet Pique, ein Lautsprecher der Hassliebe zwischen den Erzrivalen, gibt sich kleinlaut.

Zwar muss Barca nicht das Fernglas herausholen, um Real zu sehen. Die Entwicklung lief jedoch jüngst gegen die Blaugrana. Die beiden Champions-League-Siege in Folge und zuletzt auch die spanische Meisterschaft für die Königlichen bestätigten den Trend.

Darüber hinaus hat die Mannschaft in den vergangenen Jahren ihren distinktiven Spielstil abgelegt. Vom kurzpassdominierten Mittelfeldfußball, der auf der Welt einzigartig war, hat sich Barca in den letzten Jahren zum Sturmfußball mit drei Superstars, die alles überstrahlen, entwickeln. Der Grundsatz "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" steht zumindest nur noch eingeschränkt für das Team der Katalanen.

Das gilt auch für die innere Geschlossenheit des Klubs. Stattdessen existieren spätestens seit diesem Sommer tiefe Gräben.

Gegenwind für die Vereinsführung

Den Verantwortlichen um Präsident Josep Maria Bartomeu bläst ein heftiger Gegenwind ins Gesicht. Aus nachvollziehbaren Gründen, war der Transfersommer für die Katalanen doch ein Desaster und eine Aneinanderreihung leerer Versprechen.

Neymar wechselte Anfang August zu PSG, obwohl Vizepräsident Jordi Mestre zwei Wochen zuvor versichert hatte, der Brasilianer werde "zu 200 Prozent" bleiben.

Auf der Suche nach Ersatz versicherte Manager Pep Segura Mitte August, man sei "nah dran", sowohl Ousmane Dembele als auch Philippe Coutinho zu verpflichten. Beide Personalien entwickelten sich zur Transfer-Seifenoper, die Reputation Barcas litt enorm und das Verhältnis zu Borussia Dortmund und Liverpool wurde enorm belastet. Das Ende vom Lied: Dembele kam für bis zu 147 Millionen Euro, Coutinho blieb bei den Reds und das Nachspiel mitsamt gegenseitigen Anschuldigungen der Klubs ließ Barca erneut nicht allzu gut dastehen.

Genauso wie weitere leere Versprechungen in den letzten Tagen des Transferfensters, dass mindestens noch ein Star kommen werde. Es blieb dabei. Die Liste der Namen, die angeblich auf dem Einkaufszettel standen, liest sich spektakulär. Die Liste der Neuzugänge mit Nelson Semedo, Paulinho, Rückkehrer Gerard Deulofeu und eben Dembele dagegen weniger.

Dubiose Fälle Messi und Iniesta

Obendrauf kommen die dubiosen Fälle um die Vertragsverhandlungen mit Lionel Messi und Andres Iniesta. Bei beiden verkündete Bartomeu bereits eine "totale Einigkeit" und wiederholte das zigmal. Noch ist nichts offiziell. Noch wären beide im Sommer 2018 ablösefrei. Und speziell Iniesta drückte seinem Präsidenten richtig einen rein, als er entschieden verneinte, dass eine Einigung bestehe.

Dem Präsidenten, den Neymar nach seinem Abgang als "Witz" bezeichnet hatte.

Dem Präsidenten, dem nun wohl ein Misstrauensvotum ins Haus steht. Bis zum Dienstag der kommenden Woche hat die immer größer werdende Opposition im Verein Zeit, 16.570 der 110.000 Klubmitglieder von einer Unterschrift gegen das Präsidium zu überzeugen.

Der 2015 unterlegene Präsidentschafts-Kandidat Agusti Benedito führt die Bewegung gegen die Klubführung an und hat bereits prominente Namen wie den ehemaligen Präsidenten Joan Laporta (2003-2010) in seiner Ecke. "Ich habe als 15.142. Mitglied die Petition VotodeCensura2017 unterschrieben", verkündete Laporta am Sonntag via Twitter und fügte an: "Der Klub gehört den Mitgliedern." Viele Stimmen fehlen also nicht mehr, um formell die Bedingungen für ein offizielles Misstrauensvotum zu erfüllen.

Innere Einigkeit sieht anders aus. Der FC Barcelona steht am Scheideweg. Die letzten Jahre trugen dazu bei, dass "mes que un club" mittlerweile mehr Marketingslogan ist als gelebtes Motto. Barca ist ein Weltklub. Aber wirklich noch anders als alle anderen?

Sportlich werden diese Fragen am Dienstag im Camp Nou nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn Barca auf Juventus trifft, stehen zwei der stärksten Mannschaften Europas auf dem Rasen. Zwei Favoriten auf den Titelgewinn.

Und wenn Barca die Partie gewinnt, ist die Welt in Ordnung. Zumindest an diesem Dienstagabend.

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