Rio Ferdinand bezeichnet ihn als Talisman für die Spurs. Pep Guardiola bezeichnete Tottenham als das Harry-Kane-Team. In Südamerika halten sie es mit der naheliegenden Variante Harry Potter. Naheliegend deshalb, weil seine Zahlen magisch genug sind, um ihn völlig legitim mit Cristiano Ronaldo und Lionel Messi zu vergleichen.
Mit acht Toren aus neun Premier-League-Spielen ist Harry Kane auf dem bestem Wege, seinen Titel als erfolgreichster Torjäger der Premier League zum zweiten Mal zu verteidigen und das obwohl der 24-Jährige drei Spiele Anlaufzeit brauchte, um mit dem Treffen anzufangen.
Nach dem Null-Tore-August folgte der Rekord-September. Drei Doppelpacks in vier Ligaspielen, zwei Tore gegen den BVB und ein Hattrick beim selben APOEL Nikosia, gegen das der BVB nur 1:1 spielte. Dazu gesellen sich die beiden Länderspieltore zum jeweils spielentscheidenden 1:0 seiner Engländer gegen Slowenien und Litauen. Macht insgesamt 13 Tore innerhalb eines Monats. Ein Wert, der bislang nur von Cristiano Ronaldo im Oktober 2010 und Lionel Messi im März 2012 erreicht wurde.
Königliche Gerüchte
Wenig überraschend also, dass Tottenham und Kane immer wieder mit wilden Transfergerüchten konfrontiert werden. Besonders vor den Champions-League-Duellen mit Real Madrid wird eben jener Klub mit dem Eigengewächs der Spurs in Verbindung gebracht. Steffen Freund, Tottenhams Co-Trainer von 2012 bis 2015 könnte sich Kane beispielsweise als den neuen Cristiano Ronaldo vorstellen: "Er nimmt eine unglaubliche Entwicklung und wird in jeder Saison besser."
Freund gegenüber steht Spurs-Innenverteidiger Jan Vertonghen, der zuletzt nochmal betonte, wie wichtig Kane für die Mannschaft sei. Er sei einer der besten, wenn nicht der beste Neuner der Welt, den Vertonghen gegen keinen anderen Spieler der Welt eintauschen wollen würde. Nicht mal für Cristiano.
Gerüchte werden nicht befeuert
Vertonghen kann vorerst beruhigt sein, denn die Aussagen derjenigen Menschen, die so einen Wechsel in die Wege leiten könnten, klingen nach Dementi. Gegenüber dem Radiosender Cadena COPE sagte Real-Präsident Florentino Perez kürzlich: "Kane unter Vertrag zu nehmen würde mir im Leben nicht einfallen. Er ist ein großartiger Spieler. Aber wir haben Karim Benzema, mit dem wir sehr zufrieden sind." Benzemas Vertragsverlängerung bis 2021 unterstreicht diese Aussage noch einmal doppelt. Und Kane? Der kann sich sogar vorstellen, für immer bei den Spurs zu bleiben.
"Ich wäre gerne ein One-Club-Man. Es kommt drauf an, wie es mit dem Klub und dem Trainer etc. weitergeht, aber ich habe bereits gesagt, dass ich gerne bleiben würde, weil wir uns in einer guten Position befinden", sagte Kane gegenüber dem Mirror. Ein Wunsch, der sich möglicherweise auf Roma-Legende Francesco Totti zurückzuführen lässt. Denn dessen Abschied hat laut Spurs-Trainer Mauricio Pochettino ordentlich Eindruck hinterlassen.
"Harry war sehr emotional, als er das letzte Spiel von Totti, der nur für einen Klub spielte, gesehen hat. Vielleicht kann er eine ähnliche Karriere hinlegen. Als er den Abschied gesehen hat, hat das einen Extra-Motivationsschub ausgelöst. Er genießt Tottenham und identifiziert sich wahrscheinlich mehr als andere mit dem Klub, da er aus der eigenen Akademie stammt."
Bleibt Kane für den Rest seiner Karriere bei Tottenham? Eine romantische Vorstellung, die trotz der gegenseitigen Sympathien längst nicht in Stein gemeißelt ist. So erzählte der 24-Jährige bei der FIFA-Gala "The Best", dass er Titel gewinnen, in einem der besten Teams der Welt spielen und einer der Besten der Welt sein wolle. Klingt wie der Traum eines kleinen Jungen, aber Kane hat das Potenzial, sich diesen auch zu erfüllen. Und er ruft es derzeit konstant ab. Ob er seinen Traum bei den Spurs verwirklichen kann? Fraglich. Zumindest was die großen Trophäen angeht.
Tottenham ist gut, aber das reicht nicht
"Wir waren die vergangenen Jahre immer nah dran, die Premier League zu gewinnen. Ich hoffe, dieses Jahr wird unser Jahr", sagte Kane. Doch auch in der laufenden Spielzeit sieht es nach zehn Spieltagen nicht mehr danach aus. Die Spurs stehen zwar auf einem guten dritten Platz, aber die Luft zur unteren Konkurrenz ist deutlich dünner als zur oberen, wo City mit acht Punkten Vorsprung thront.
Auch die Spiele gegen die direkte Konkurrenz zeigten noch keinen wahren Premier-League-Champion. Gegen Liverpool gewann Tottenham zwar eindrucksvoll, aber die Spiele gegen Titel-Aspiranten wie Chelsea und Manchester United gingen verloren. Für die Meisterschaft in England muss eine Menge zusammenkommen: Glück, Konstanz, gesunde Spieler.
Und sonst? Wie stehen die Chancen auf eine Trophäe? Der League Cup? Da verloren die Spurs in der 4. Runde gegen West Ham. Die Champions League? In der Hammer-Gruppe mit Real und dem BVB sieht alles nach Weiterkommen aus, aber an den Titel glauben nur die kühnsten Optimisten. Tottenham ist gut, aber es reicht (noch) nicht für die Spitze. Es reicht nicht für die Erfüllung der Träume und Ziele eines Talismans wie Harry Kane.
Ziele vs. Wunschvorstellungen
Der One-Club-Man himself, Francesco Totti, hat längst bereut nicht mal den Verein gewechselt und stattdessen das Angebot von Real Madrid abgelehnt zu haben. Nicht mit den Größen seiner Zeit wie dem brasilianischen Ronaldo gespielt zu haben. Oder nicht mal einen großen europäischen Titel geholt zu haben. Das alles sind Dinge, die Spielern wie Totti und möglicherweise auch einem Kane verwehrt bleiben, wenn sie sich ihr Leben lang für einen Klub verschreiben, der es nur vielleicht an Europas Spitze schaffen wird.
So werden Kanes erste große Titel weiter auf sich warten lassen, wodurch es schwer ist, das Standing eines Cristiano Ronaldo zu erlangen. Der Traum von goldenen Titeln und Pokalen kollidiert also mit der rosaroten Wunschvorstellung eines One-Club-Man. Entweder das Harry-Kane-Team holt Titel oder der Spurs-Mann wird sich einer bitteren Charakterfrage stellen müssen.