Gerade mal 23 Tage ist es her, dass Dzeko den "Niedergang des Barca-Imperiums", wie die Marca am Tag nach Roms Comeback (1:4, 3:0) gegen Lionel Messi und Co. schrieb, einleitete. Nach sechs Minuten saugte er einen langen Ball von Daniele de Rossi an und stieß den Stein, der Barca letztlich überrollen sollte, durch seinen Treffer zum 1:0 an.
Den Elfmeter zum 2:0 holte Dzeko durch sein unheimlich robustes und cleveres Körperspiel gegen Gerard Pique heraus.
Roms Torgarant war hauptverantwortlich für den historischen Halbfinaleinzug der Roma. Erst zwei Teams hatten zuvor in der Königsklasse einen Drei-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel noch aufgeholt.
Für den Traum von Kiew müsste die Roma dieses Wunder nun wiederholen. Mit einer 2:5-Hypothek geht es ins Rückspiel gegen Jürgen Klopps FC Liverpool.
Kann Rom das größte Wunder der Vereinsgeschichte wiederholen?
Die Parallelen zum Viertelfinale sind erstaunlich. Auch gegen Barca waren die Römer nach 80 Minuten beim Stand von 0:3 totgesagt. Dann traf Dzeko. Ein Auswärtstor, das die Chancen seiner Mannschaft um ein nicht zu verachtendes My erhöhte.
Gegen Liverpool war Rom nach 80 Minuten beim Stand von 0:5 totgesagt, leichenblass. Dann traf Dzeko und hauchte seiner Mannschaft wieder Leben ein. Nach dem verwandelten Handelfmeter von Diego Perotti drängte die Roma sogar noch auf das dritte Tor.
So aber geht die Elf von Trainer Eusebio Di Francesco mit derselben Ausgangslage ins Halbfinal-Rückspiel wie drei Wochen zuvor beim Niedergang des Barca-Imperiums. Zwar sei Liverpool nicht Barca, wie Jürgen Klopp betonte, dennoch ist den Römern selbst die Wiederholung des wohl größten Wunders der Vereinsgeschichte zuzutrauen.
Eusebio Di Francesco über Edin Dzeko: "Er ist einer unserer Talismane"
Die Hoffnungen der Roma ruhen dabei wieder auf den Schultern Dzekos. "Die Spieler werden der entscheidende Faktor sein, das trifft aber auf ihn noch mehr zu", sagte Di Francesco auf der Pressekonferenz am Dienstag.
"Er ist einer unserer Talismane. Ich hoffe, er kann dem Spiel seinen Stempel aufdrücken, wie es Salah vor einer Woche getan hat und uns zum Comeback führen", sagte der Roma-Coach.
Dzeko traf in seinen jüngsten vier Champions-League-Spielen. Das gelang nicht einmal Klub-Ikone Francesco Totti. Dzeko avancierte in den vergangenen drei Jahren vom Blinden zur Lebensversicherung.
Edin Dzekos Start bei der AS Roma: Der Blinde
Nicht immer war der Bosnier so unumstritten und unverzichtbar wie heute. In seiner Premierensaison traf Dzeko "nur" zehn Mal für die Roma, die Fans nannten ihren Elf-Millionen-Mann "Cieco", was zwar der Aussprache seines Namens ähnelt, in der Sprache der Liebe jedoch "blind" bedeutet.
Saison | Pflichtspieleinsätze | Tore | Vorlagen |
2015/16 | 39 | 10 | 6 |
2016/17 | 49 | 39 | 15 |
2017/18 | 45 | 23 | 6 |
Es prasselte eine Geringschätzung auf Dzeko nieder, die er ironischerweise schon gewohnt war. Dzekos Karriere nahm in Tschechien bei Teplice Fahrt auf. Zuvor dümpelte er in seiner Heimatstadt Sarajevo bei Zeljeznicar herum, wo er im Mittelfeld als zu groß und technisch unbegabt gesehen wurde. Das 25.000-Euro-Angebot der Tschechen wurde mit großen Augen als Lotto-Jackpot angenommen.
In Teplice machte Dzeko dank seines Beraters schließlich den VfL Wolfsburg auf sich aufmerksam. Auf Basis einiger DVDs schickte der damalige VfL-Coach Felix Magath seinen Co-Trainer Bernd Hollerbach zu einem Länderspiel der Bosnier gegen Malta. Nach dem Spiel sagte er nur zwei Worte: 'Sofort kaufen'", verriet Magath später der Bild.
Köstner: "Edin Dzeko ist der kommende Weltfußballer"
In Wolfsburg konnte Dzeko sein volles Potenzial ausschöpfen, schoss die Wölfe 2008/09 gemeinsam mit Grafite zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Ein Jahr darauf wurde er Torschützenkönig und verließ die Autostadt als bis dahin teuerster Verkauf der Bundesliga-Historie Richtung Manchester. Interimstrainer Lorenz-Günter Köstner prophezeite: "Edin Dzeko ist der kommende Weltfußballer."
Bei City musste sich Dzeko jedoch hinter Kun Agüero einordnen. Trotz seiner Joker-Rolle erzielte er in 189 - mal längeren, meist aber kürzeren Einsätzen - 72 Treffer. Dennoch flog er unter dem Radar. Nur Wenige teilten zu dieser Zeit die Meinung von Köster oder dem früheren bosnischen Nationaltrainer Miroslav Blazevic, der in Dzeko den besten Stürmer in Europa sah, "besser als Ibrahimovic".
2016 war Dzeko am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt, wenn man bei seiner Trefferquote von einem solchen Punkt reden kann. "In meiner letzten Saison bei City spielte ich kaum und hatte mit Trainer Manuel Pellegrini keine gute Beziehung", erklärte Dzeko seinen Wechsel nach Italien gegenüber UEFA.com.
Edin Dzeko - der perfekte Prototyp
Seit Dzeko seine "blinde" Phase bei der Roma überwunden hat - die italienische Liga sei "sehr taktisch geprägt und es hat eine Weile gedauert", bis er sich daran gewöhnt habe -, ist sein Wert für die Roma nahezu unmessbar.
In der vergangenen Saison schoss der Bosnier 39 Tore in 49 Pflichtspielen. "Wenn ein Trainer sich einen Stürmer machen könnte, dann würde ich mir einen Dzeko machen", schwärmte Romas Ex-Coach Luciano Spalletti. Dzeko sei der perfekte Prototyp: stark, groß, schnell für seine Größe, aggressiv, gute Technik.
Zwar konnte Dzeko in dieser Saison nicht an seine Quote aus dem Vorjahr anknüpfen, dennoch ist er durch seine Qualitäten als mitspielender Wandspieler, als Alleskönner in Roms Offensive, in jeder Partie eine wichtige Waffe von Trainer Di Francesco, die er nur ungern eintauschen würde. "Wenn Dzeko verkauft wird, will ich Messi", sagte der 48-Jährige zum Angebot des FC Chelsea im Winter.
Dauerbrenner Dzeko: 136 Pflichtspiele für AS Rom
Dzeko ist eine Waffe, die scheinbar nie nachladen muss. Gegen Liverpool macht der Angreifer sein 136. Pflichtspiel für die Roma. Im Schnitt spielt er damit alle sechs Tage, verpasst hat er bisher nur zwölf Spiele.
Pausen? Fehlanzeige. Auch am Wochenende musste Dzeko 84 Minuten lang ran. Es ging zwar "nur" gegen den Tabellen-16. Chievo Verona, Rom kämpft allerdings noch um einen festen Startplatz in der kommenden Champions-League-Saison. Dank Dzekos Doppelpack beim 4:1-Erfolg kann Rom in dieser Hinsicht wieder etwas durchatmen.
Erneut unterstrich er seine Wichtigkeit als Torjäger, aber auch als Leader der Mannschaft. "Ein Spieler mit seiner Qualität sollte Verantwortung übernehmen", sagte Di Francesco am Dienstag. So wie er es schon gegen Barca tat.
Wundertüte Rom? Liverpool ist gewarnt
Dann könnte sich diese ganz besondere Nacht wiederholen. Tritt Rom mit dieser Geschlossenheit, taktischen Disziplin und dem Willen auf, muss Liverpool aufpassen. "Ein Wort: Team. Wir haben immer an uns geglaubt, auch wenn sonst niemand an uns glaubte", sagte Dzeko nach der Sensation gegen Barca.
Dass es die Römer mit einem Weltklasse-Angriff wie dem der Reds aufnehmen kann, führten sie gegen Suarez, Messi und Konsorten vor. Der Rest ist eine Wundertüte und Dzeko soll diese öffnen.