Der FC Bayern geht als klarer Favorit ins Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Sevilla (Di., 20.45 Uhr im LIVETICKER). Vor dem Hinspiel im Estadio Ramon Sanchez Pizjuan geben sich die Münchner selbstbewusst, warnen jedoch davor, den Gegner zu unterschätzen. Die emotionale Fallhöhe für den deutschen Rekordmeister ist trotz aller Vorsicht deutlich höher als bei einem Gegner mit größerem Namen.
Drei Lose sollten es bitte nicht sein. Da waren sich alle Protagonisten des FC Bayern nach dem Einzug ins Viertelfinale einig. Ja, wer die Champions League gewinnen will, muss jeden Gegner schlagen. Sowieso klar. Trotzdem wäre es ganz nett, die ganz dicken Brocken erst ab dem Halbfinale vorgesetzt zu bekommen. Zumal bereits die Gruppenauslosung mit der Partie gegen Paris Saint-Germain happig gewesen war.
Und so sollten es bitte im Viertelfinale weder Real Madrid noch Manchester City oder der FC Barcelona sein.
Entsprechend zufrieden waren die Münchner am Nachmittag des 16. März. Die Auslosung hatte zwei Duelle mit dem FC Sevilla ergeben, neben der Roma die vermeintlich machbarste der sieben möglichen Hürden. Und dann auch noch das Rückspiel im eigenen Stadion. Eigentlich perfekt.
FC Bayern geht als klarer Favorit ins Viertelfinale gegen Sevilla
Die Rollen vor dem ersten Aufeinandertreffen am Dienstagabend in der Hauptstadt Andalusiens sind klar verteilt: Der FC Bayern ist klarer Favorit. Qua Selbstverständnis. Qua Kaderstärke. Qua aktueller Form. Immerhin hinkt Sevilla den eigenen Ansprüchen in der Liga hinterher und die Bayern dominieren die Bundesliga nach Belieben. Stellvertretend stand die 6:0-Demontage des BVB am Samstag.
Dass genau in dieser Denke allerdings die größte Gefahr liegt, ist allen im Verein bewusst. Vom ersten Tag an bestimmten Warnungen die Aussagen: "Ich teile nicht die Euphorie, die nach der Auslosung ausgelöst wurde. Für mich ist das ein schwieriges Los", sagte Jupp Heynckes.
"Das ist eine starke Mannschaft. Ich habe viele Spiele von ihnen gesehen, da ich die spanische Liga intensiv verfolge", warnte Javi Martinez. "Sevilla hat nicht umsonst dreimal in Folge und fünfmal in elf Jahren die Europa League gewonnen", fügte Thomas Müller hinzu.
Vor dem Abflug nach Sevilla stimmte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge am Münchner Flughafen in den warnenden Grundtenor mit ein: "Wir wären sehr schlecht beraten, diesen Gegner zu unterschätzen. Wir haben von Anfang an gesagt, das ist kein Glückslos, kein Traumlos."
Bayern scheiterte in den letzten vier Jahren an spanischen Teams
Zum offensiv nach außen getragenen "Mia san mia" gesellte sich in den Wochen seit der Auslosung aus allen Richtungen eine ordentliche Portion "Mia san vorsichtig".
Zwar ist der FC Bayern ein Klub, der es gewohnt ist, in (nahezu) jedem Spiel als Favorit auf den Platz zu gehen. Doch die Erinnerungen an die letzten Jahre sind noch frisch. In den letzten vier Spielzeiten war viermal in Folge gegen eine spanische Mannschaft Endstation in der Champions League. Und das jeweils auf schmerzhafte, wenn auch unterschiedliche Art und Weise.
Ausgangssituation gegen Sevilla erinnert an Atletico Madrid
Die Ausgangssituation vor dem Duell mit Sevilla erinnert an die vor dem Halbfinale 2016. Damals waren die Bayern froh, bei der Auslosung Real Madrid aus dem Weg gegangen zu sein. Der Respekt vor Atletico Madrid war riesig, auf dem Papier lag die Favoritenrolle dennoch bei den Münchnern. Am Ende stand das Aus nach einer 0:1-Niederlage im Hinspiel und einem 2:1-Sieg im Rückspiel.
Eine umso bitterere Enttäuschung. Atletico hatte zwar über Jahre hinweg eindrucksvoll unter Beweis gestellt, eine Spitzenmannschaft zu sein. Nichtsdestotrotz fühlte sich für den Verein und die Fans ein Aus gegen einen vermeintlich kleineren Namen noch schmerzhafter an als eines gegen Real Madrid oder den FC Barcelona. Diese holten in den jeweiligen Jahren immerhin später den Titel.
Aus diesem Grundgefühl heraus ist die emotionale Fallhöhe gegen den FC Sevilla eine höhere als gegen einen Gegner aus den gefürchteten drei.
FC Bayern gegen FC Barcelona hätte mehr 50:50-Charakter
Unterschätzen will den Kontrahenten im Münchner Lager niemand. Die Überzeugung des Weiterkommens schimmert dennoch durch. Aufgrund der Ausgangslage verständlich. Bei Barca wäre das anders. Ein solches Los hätte mehr 50:50-Charakter. Zumindest im Kopf. Die Tatsache allein, dass die Bayern immer wieder vor der Unterschätzung des Gegners warnen müssen, sagt einiges.
Für die ausgegebene Vorsicht gibt es aber tatsächlich gute Gründe. Sevilla ist enorm heimstark, das Estadio Ramon Sanchez Pizjuan kann sich in einen Hexenkessel verwandeln. Das ist in dieser Saison nichts Neues für die Bayern. Immerhin spielten sie bereits bei Celtic und Besiktas.
Im Gegensatz dazu ist die Klasse Sevillas jedoch höher. Der Kader hat großes Potenzial und Trainer Vincenzo Montella einen klaren Plan, wie er das Maximum aus seinen Spielern herausholen kann. Eine Mischung dieser Qualität und der Lautstärke im Stadion kann Kräfte freisetzen.
Sevilla hatte den FC Barcelona am Rande der Niederlage
Das spürte dort zuletzt auch der FC Barcelona, der am Wochenende um ein Haar seine erste Saisonniederlage kassiert hätte und erst in letzter Minute zum 2:2 ausglich. Das spürte in der Endphase des Gruppenspiels im November auch der FC Liverpool. Die Reds führten zur Halbzeit bereits mit 3:0, hatten Sevilla überrollt. Im zweiten Durchgang drehte sich das Momentum, der Lautstärkepegel nahm immer weiter zu, die Partie kippte und am Ende stand es 3:3.
Darüber hinaus mangelt es den Andalusiern nicht an internationaler Erfahrung und Abgebrühtheit. Die zahlreichen Titel sprechen eine deutliche Sprache. Und die sind nicht nur Meriten vergangener Tage, sondern große Titel aus den letzten Jahren.
Zudem verlor Sevilla noch nie ein Spiel gegen eine deutsche Mannschaft. Was die Vorzeichen für das Hinspiel ebenfalls in Perspektive setzt: Den Bayern gelang seit fünf Jahren kein Sieg in Spanien.
FC Bayern: Die letzten Duelle gegen spanische Teams
Saison | Runde | Gegner | Hinspiel | Rückspiel |
2013/2014 | Halbfinale | Real Madrid | 0:1 (A) | 0:4 (H) |
2014/2015 | Halbfinale | FC Barcelona | 0:3 (A) | 3:2 (H) |
2015/2016 | Halbfinale | Atletico Madrid | 0:1 (A) | 2:1 (H) |
2016/2017 | Gruppenphase | Atletico Madrid | 0:1 (A) | 1:0 (H) |
2016/2017 | Viertelfinale | Real Madrid | 1:2 (H) | 2:4 n.V. (A) |
Jupp Heynckes Trainer bei Bayerns letztem Sieg auf spanischem Boden
Letztmals siegreich auf spanischem Boden war der deutsche Rekordmeister in der Triple-Saison 2012/2013, als er im Halbfinale einen 3:0-Auswärtssieg in Barcelona einfuhr. Trainer damals: Jupp Heynckes.
Dieser ist nun wieder am Steuer und will den Kurs Halbfinale halten. Und das tut er - ganz Heynckes - mit großem Respekt.
gettyAllerdings machte er auch klar, dass sein Team mit breiter Brust in die Partie gehen wird: "Wer beim FC Bayern ist, kennt solche Spiele zu Genüge. Das ist Tradition in diesem Klub. Uns kann nichts mehr erschüttern", sagte der 72-Jährige am Montagabend bei der Pressekonferenz im Bauch des Estadio.
Die Negativserie gegen spanische Teams könne ihm ohnehin nichts anhaben: "2012 und 2013 sind wir über die beiden besten spanischen Mannschaften in der Historie ins Finale eingezogen. Deswegen sind die letzten vier Jahre für mich überhaupt nicht relevant. Der FC Bayern hat jetzt eine andere Mannschaft mit einem anderen Trainerteam."
Respekt. Demut. Vorsicht. Aber auch Selbstbewusstsein und Überzeugung waren in Heynckes' Gesicht zu lesen. Wohlwissend, dass seine Mannschaft als klarer Favorit ins Spiel geht. Aber auch im Wissen, dass die emotionale Fallhöhe eine andere ist als bei einem der drei Lose, die man gerne vermied.